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Großbritannien
Wahlkampf im proeuropäischen Richmond

Nach dem jüngsten Anschlag von London dominiert die innere Sicherheit den britischen Wahlkampf – der Brexit scheint fast vergessen. Ein Problem für die Liberaldemokraten, die eigentlich mit einer proeuropäischen Politik punkten wollten. Auch im Londoner Stadtteil Richmond, einer Hochburg der EU-Befürworter, überwiegen jetzt andere Themen.

Von Friedbert Meurer | 06.06.2017
    Die britische Premierministerin Theresa May und der Abgeordnete der Tories, Zac Goldsmith, im Gespräch mit einer potenziellen Wählerin in Richmond.
    Die britische Premierministerin Theresa May und der Abgeordnete der Tories, Zac Goldsmith, im Gespräch mit einer potenziellen Wählerin in Richmond. (imago stock&people)
    Eine Runde mit den Kandidaten in einem Saal in Richmond am Ende eines heißen Sommertages. Nur wenige hundert Meter entfernt plätschert die Themse. Zac Goldsmith von den Tories lässt sich von Lord Nicholas True vertreten, der für die Konservativen im Oberhaus sitzt. Es ist der Donnerstag vor dem Attentat auf der London Bridge. Die erste Frage des Publikums gilt auch deswegen dem Thema, das im pro-europäischen Richmond vielen unter den Nägeln brennt.
    "Wie verlassen wir die EU, ohne dass uns wirtschaftliche Nachteile entstehen?" Die Zuschauer im Saal sind fast durchgängig gegen den Brexit und verübeln es den Tories immer noch, das Referendum überhaupt angezettelt zu haben.
    "Ich respektiere natürlich diejenigen, die meiner Haltung nicht zustimmen", versichert Lord True. Er hat letztes Jahr für den Brexit geworben. "Aber das britische Volk war insgesamt für den Ausstieg. Also müssen wir jetzt dafür sorgen, dass das funktioniert, in aller Wertschätzung für Deutschland oder die anderen Europäer."
    Einwanderung als Wahlkampfthema nicht unumstritten
    Der Wahlkreis "Richmond Park/Nord-Kingston" könnte – trotz Brexit - von Lord Trues Partei, den Konservativen, wieder von den Liberaldemokraten zurückerobert werden. Beide Seiten investieren viel, um den Wahlkampf für sich zu gewinnen. Und auch in Richmond ist das Thema Einwanderung nicht unumstritten, erst recht jetzt nicht nach drei Terroranschlägen binnen nur von drei Monaten.
    Eine Zuschauerin streitet sich mit dem Liberaldemokraten Vince Cable. Er war Wirtschaftsminister zu Zeiten der Koalition mit David Cameron und tritt im Nachbarkreis Twickenham an. Warum wollen die Liberaldemokraten Studenten nicht mehr als Einwanderer zählen? Weil sie nicht hierbleiben, behauptet Cable. In der Pause geht es dann doch um den Terror. Ein britischer Fernsehjournalist fragt Cable, ob Labour-Chef Jeremy Corbyn nicht Recht habe, auf die britischen Luftangriffe im Irak und in Syrien zu verweisen.
    "Diese Verbindung herzustellen zwischen britischen Bombenangriffen und den Abscheulichkeiten von Manchester ist dürftig und extrem." Der frühere Wirtschaftsminister muss sich dann dafür rechtfertigen, dass doch zu seiner Zeit Waffen an Saudi-Arabien geliefert wurden. Von dort werde aber der IS finanziert. Cable kontert, die Tories ohne ihren kleineren Koalitionspartner würden jetzt völlig ungehemmt noch mehr Waffen an die Saudis liefern. "Ich habe darauf gedrängt, dass Waffen nicht zur Unterdrückung der Opposition eingesetzt werden können."
    Liberaldemokraten fordern zweites Brexit-Referendum
    Im Saal geht es nach der Pause wieder um den Brexit. Als einzige Partei fordern die Liberaldemokraten, dass es ein zweites Referendum geben soll – am Ende der Verhandlungen mit der EU.
    "Ich bin etwas müde von den ganzen Wahlen und Referenden. Die Sache ist entschieden und wir müssen jetzt sehen, wie es abläuft."
    "Es gab eine Abstimmung für ein allgemeines Ziel, das überhaupt nicht näher bestimmt wurde. Eine zweite Volkabstimmung ergibt für viele Leute Sinn."
    Wer macht das Rennen in Richmond? Die EU-freundlichen LibDems oder die Brexiteers von den Tories? Mit dem Terroranschlag an der London Bridge ist jetzt noch ein weiterer Faktor hinzugekommen, der vielleicht der Premierministerin in die Hände spielt. Lord True jedenfalls will die Umfragen ignorieren. Sie sahen letzte Woche Theresa May im Abwind.
    "Es war verrückt anzunehmen, Theresa May bekäme doppelt so viele Stimmen wie Labour. Wenn sie mit 40 oder 50 Sitzen gewinnt, wäre das schön – statt jetzt zehn. Das gäbe ihr mehr Freiheit, Zugeständnisse an die EU zu machen, als wenn die extremen Kräfte in unserer Partei Einfluss nähmen."