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Große Kommunion mit der Jugend

Nach dem Willen des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy soll in Zukunft jeweils am 22. Oktober in allen Schulklassen des Landes der Abschiedsbrief des von den Deutschen erschossenen, 17-jährigen Widerstandskämpfers Guy Môquet verlesen werden. Seit dem französischen Schulbeginn regt sich aber auch in der französischen Lehrerschaft deutlicher Widerstand gegen die präsidentielle Einmischung in den Unterricht.

Von Jürgen Ritte |
    Die erste Amtshandlung des frisch inthronisierten französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bestand am vergangenen 16. Mai in einem Ausflug in den Bois de Boulogne, den großen Pariser Park im Westen der Stadt. Dort sammelte er sich im Beisein von jungen Franzosen an einem Mahnmal für Widerstandskämpfer, die im August 1944 einem Erschiessungskommando der deutschen Besatzungstruppen an dieser Stelle zum Opfer gefallen waren. Emotionaler Höhepunkt der Veranstaltung war die Verlesung des Abschiedsbriefs des gerade erst 17jährigen Guy Môquet, der schon am 22. Oktober 1941 zusammen mit 26 anderen Gefangenen in der Nâhe des Straflagers von Châteaubriant von den Deutschen füsilliert worden war.

    Sarkozy, der sich gerne als gefühsintensiver Mann mit Herz gibt, bekräftigte im Anschluss an die Zeremonie seinen Wunsch, fortan möge an jedem 22. Oktober in sämtlichen gymnasialen Schulklassen des Landes der erschütternde Brief des Guy Môquet vorgelesen werden, auf dass der heutigen Jugend, die, wie wir wissen, nur Flausen im Kopf hat, ein Beispiel für mutige und aufopferungsvolle Vaterlandsliebe gegeben werde. Erziehungsminister Xavier Darcos liess sich das nicht zweimal sagen und brachte, zur besseren Instruktion der Schulleiter, in Rekordzeit ein entsprechendes Dekret durch. Auch Bernard Laporte, der Trainer der französischen Rugby-Nationalmannschaft - und ab morgen, trotz ausgebliebener Verdienste, zuständiger Minister für Sport und Leibesertüchtigung - zeigte sich beeindruckt : Vor dem Auftaktspiel zur heute endenden Weltmeissterschaft der Rugbymen liess er, zur moralischen Erbauung seiner Jungs, noch in der Umkleidekabine den Brief des Guy Môquet verlesen. Viele Franzosen hielten dies, wohl zu Recht, für eine ausserordentliche Geschmacklosigkeit : dem Andenken Guy Môquets gegenüber, aber auch dem argentinischen Gegner der französischen Equipe gegenüber, der sich damit implizit mit einem deutschen Erschiessungskommando verglichen sehen durfte. Und motivierend war die Unternehmung auch nicht gerade. Das Spiel gegen den südamerikanischen Aussenseiter ging auf lamentable Art und Weise verloren...

    Seit dem französischen Schulbeginn im September regt und formiert sich aber auch in der französischen Lehrerschaft deutlicher Widerstand gegen die präsidentielle Einmischung in den Unterricht. So sehr der Brief auch vom rein menschlichen Standpunkt aus unter die Haut gehe, sagen die Pädagogen, so wenig tauge er ohne eine fachkundige Kontextualierung als historisches Dokument. Und wenn nun morgen vormittag ausgerechnet der Sport- oder Mathematiklehrer vor der Klasse stehe, dann sei eine solche Lektüreanleitung schlechterdings nicht gegeben. Schlimmer noch : Historiker, die sich zu einem " Wachsamkeitstkomitee über den öffentlichen Umgang mit Geschichte " zusammengeschlossen haben, monieren, dass die gleichsam ritualiserte Lektüre des Briefes, mit Staatspräsident Sarkozy als Zeremonienmeister, zu einer inhaltsleeren Liturgie des Gedenkens verkommen werde. Und genau darin sehen die schärfsten Kritiker der Initiative die eigentliche Absicht des Präsidenten, der mit vibrierendem, patriotischem Pathos wahllos ins Geschichtsbuch greife.

    Womit sie nicht ganz unrecht haben: Bezeichnenderweise vermeidet das entsprechende Dekret jeden Hinweis darauf, dass Guy Môquet ein junger Kommunist war. Ein bedauerliches Versehen, behauptet treuherzig Erziehungsminister Darcos. Und auch über die Umstände, die zur Erschiessung Môquets geführt haben, hat man aus dem Munde des Präsidenten nicht viel gehört. Guy Moquet, Sohn eines Abegordneten der von Ministerpräsident Daladier schon 1939 verbotenen kommunistischen Partei Frankreichs, war im Oktober 1940, gerade erst sechzehnjährig, von französischen Polizisten am Pariser Ostbahnhof verhaftet worden, als er kommunistische Flugblätter verteilte. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte der berüchtigte Hitler-Stalin-Pakt noch Bestand. Mit anderen Worten : die offizielle Popaganda der KP war noch keine Proganda des ant-deutschen Widerstands. Es handelte sich bei der Festnahme also zunächst um eine rein französische Angelegenheit. Ein Jahr später wird die Sache komplizierter : Nachdem der deutsche Wehrmachtsoffizier Karl Hotz in Nantes einen Attentat französischer Widerstandskämpfer zum Opfer gefallen war, beschliessen die deutschen Besatzer als Vergeltungsmassnahme die Erschiessung von 50 Franzosen. Die Wahl der Opfer überlassen sie, in ässerster Perfidie, den Behörden der von ihren Gnaden eingesetzten Vichy-Regierung. Der französische Innenminister Pierre Pucheu zögert nicht lange und designiert 50 inhaftierte Kommunisten, damit - Zitat - " nicht fünfzig gute Franzosen füsilliert werden ".

    Der junge Guy Môquet war das Opfer einer brutalen deutschen Vergeltungsaktion, aber er war auch das Opfer der französischen Behörden, die nicht nur auf Druck der Deutschen gehandelt hatten. Am traurigen Beispiel Guy Môquets liessen sich also trefflich Verstrickungen und Komplexität jener dunklen Jahre demonstrieren. Es ist nur fraglich, ob dies im Sinne des Präsidenten Sarkozy liegt : Im Wahlkampf hatte er noch behauptet, dass Frankreich an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs, insbesondere am Holocaust, keinerlei Mitschuld treffe. Im vergangenen Jahr hatte er, damals noch Innenmnister, für ein Gesetz gestimmt, das den französischen Geschichtslehrern vorschreiben sollte, die positive Rolle Frankreichs als Kolonialmacht herauszustreichen. Entkrampfung des Verhältnisses zur Vergaangenheit nennt man das. Mit der Verklärung Guy Môqutes zur Ikone des französischen Patriotismus fällt Sarkozy hinter die Positionen seines Vorgängers Chirac zurück. Er knüpft wieder an die alte gaullistische Doxa an, derzufolge ausnahmslos alle Franzosen vaterländisch gesinnte Widerstandskämpfer waren.