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Großer Heimatfilm oder großer Betrug?

1994 gewann Nikita Michalkow mit "Die Sonne, die uns täuscht" den großen Preis von Cannes. Ergreifend hatte er dort die großen "Säuberungsaktionen" der Stalin-Ära dargestellt. Doch der zweite Teil ist ein ärgerliches, fehlerhaftes Propagandafilmchen - und bei Publikum und Kritikern bereits durchgefallen.

Von Robert Baag | 30.04.2010
    Er kommt natürlich vor, setzt die muffig-bedrohliche Duftmarke jener Zeit: Josef Wisarionowitsch Dschugaschwili - vulgo: Stalin.

    Dass Stalin Marmeladebrote liebt und bei deren Verzehr immer an seine Mutter denken muss, das erfährt das Publikum gleich zum Auftakt. Ob so eine historische Lücke aufgefüllt wird oder ob hier nur um eines zweifelhaften Gags willen ein ansonsten wie gewohnt dämonisch daher kommender Diktator zur Karikatur zurechtgestutzt werden soll - die Antwort auf diese Frage fehlt genauso wie Auskünfte, weshalb es in Nikita Michalkows jüngstem dreistündigem "Blockbuster" pünktlich zum 65. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland an historischen Fragwürdigkeiten, schiefen Bildern und krassen Drehbuchschwächen nur so wimmelt.

    Publikum und Kritik sind sich überwältigend einig: Der Film "Die Sonne, die uns täuscht - Teil zwei" des "Hofregisseurs von Premierminister Wladimir Putin", wie ihn die russische Blogger-Szene inzwischen unverhohlen verspottet, darf sich wohl schon nach kurzer Zeit mit dem Prädikat "durchgefallen" schmücken. Und das, obwohl bereits Wochen vor dem Start ein riesiger Werbeaufwand betrieben worden war. Die Publizistin Xenia Larina im Sender "Echo Moskwy":

    "Der 'große Film' hat sich in der Geschichte unseres nationalen Filmwesens als grandioser Betrug erwiesen. Viel Theater ist dort zu sehen, im allernegativsten Sinn dieses Wortes. Das drückt sich aus in einem Überfluss primitiver Propaganda-Versatzstücke, die für die 'Heimat', für den russisch-orthodoxen Glauben agitieren sollen und vorsätzlich aggressive Geschichtsklitterung betreiben."

    Der von Michalkow selbst verkörperte Divisionskommandeur Kotow, im 1995 Oscar-preisgekröntem ersten Teil noch als Todeskandidat verabschiedet, taucht jetzt wundersamerweise höchst lebendig wieder auf - als Gulag-Häftling. Das Lager, in dem er einsitzt, muss wohl gleich hinter der damaligen sowjetischen Westgrenze liegen. Denn kaum dröhnt nämlich aus dem Lautsprecher die Nachricht vom deutschen Überfall, tauchen auch schon deutsche Stukas auf und bombardieren das Gelände. Kotow irrt vor der Front herum. Am Horizont erscheinen deutsche Panzer, besteckt mit übergroßen, blutroten Hakenkreuz-Bannern.

    Unterdessen erinnert sich kein Geringerer als wieder einmal Stalin an Kotow, den er 1936 noch hatte verhaften lassen, und befiehlt, ihn ausfindig zu machen. Denn, so der Allwissende, er wisse, dass Kotow lebe, dass er nicht - wie damals befohlen - erschossen worden sei ...

    Allgemeines erstauntes Raunen in den über tausend Kinosälen zwischen Kaliningrad und Wladiwostok. Doch nicht nur Drehbuch-Ungereimtheiten verstören und verärgern. Dem bisher immerhin anerkannten Handwerker Michalkow werden diesmal sogar Mängel in der Ausstattung der rund 42 Millionen Dollar teuren Produktion vorgeworfen. Anlass für die Filmkritikerin Arina Borodina, zu fragen:

    "Wohin ist dieses Geld geflossen? Ich habe aus der siebten Reihe auf die Leinwand gesehen und mich für die Dürftigkeit bei solch einer Produktion geschämt ... 42 Millionen - wohin?"

    Der Filmkritiker Wladimir Chotinenko glaubt zu wissen, weshalb dieser jüngste Michalkow-Film über den sowjetischen Heroismus im Zweiten Weltkrieg jetzt in die russischen Kinos platziert und deswegen vorab offiziell so vehement propagiert worden ist:

    "Bis jetzt haben wir noch keine andere unser Volk, unsere Vielvölker-Nation verbindende Idee: Unser Sieg in diesem Krieg, die Geschichte dieses Krieges - wir haben doch nichts anderes. Es sieht weiter so aus, dass wir uns nur darauf beziehen und stützen können."

    Sollten Michalkow und seine Förderer aus den oberen Moskauer Machtetagen aber gerade deshalb auf eine Erfolgsgarantie für diesen Streifen spekuliert haben, dann sind sie ganz offensichtlich einer Fehlkalkulation aufgesessen. Schon zur Premiere, berichtet Arina Borodina, ließen sich nämlich weder Putin noch Präsident Medwedew blicken, obwohl dies im Vorfeld noch gestreut worden war.

    "Nicht die Sonne hat uns getäuscht, sondern Michalkow", ist allenthalben enttäuscht zu hören. Auch der Tango aus den 30er-Jahren, immerhin Titel des Publikumserfolgs von 1994/95, klingt heute bezeichnenderweise nur noch als kurzes Zitat in einigen Retro-Szenen an. "Es gibt eben keine Liebe!" - welche Ironie liegt in der Schlusszeile dieses Lieds ...