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Grünen-Politiker Habeck
"Wir wollen nicht Spielball von Stimmungen sein"

In der Politik gebe es derzeit Hypes in einer Geschwindigkeit wie selten zuvor, sagte der Grünen-Politiker Robert Habeck im Dlf. Das irritiere die Menschen. Deshalb müssten die Grünen weiter versuchen, die Menschen zu überzeugen, dass die Partei relevante Antworten auf relevante Probleme habe.

Robert Habeck im Gespäch mit Stefanie Rohde | 17.06.2017
    Der Umweltminister Schleswig-Holsteins, Robert Habeck, bei einer Pressekonferenz in Kiel
    Der Umweltminister Schleswig-Holsteins, Robert Habeck, bei einer Pressekonferenz in Kiel (dpa / picture alliance / Markus Scholz)
    Stefanie Rohde: 99 Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl, und während die Tage runtergezählt werden, müssen die Grünen darauf hoffen, dass ihre Umfragewerte nach oben gehen. Denn die Partei will nach zwölf Jahren in der Opposition wieder in die Bundesregierung zurückkehren. Aber in welcher Konstellation, mit welchem Koalitionspartner, darüber sind sich die Grünen noch nicht ganz einig. Auch darum wird es gehen an diesem Wochenende auf dem Parteitag der Grünen. Mit dabei ist auch Robert Habeck, der bislang Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein war und dem Vernehmen nach auch bleiben soll. Gestern hat er in Kiel mit der CDU und der FDP den Koalitionsvertrag vorgestellt, guten Morgen, Herr Habeck!
    Robert Habeck: Guten Morgen, grüße Sie!
    Rohde: Die Grünen sind auf Landesebene offen für Koalitionen mit der SPD, mit dem Südschleswigschen Wählerverband, jetzt auch mit der CDU, mit der FDP. Kann man vielleicht das Problem der Grünen so umschreiben: Wer für alles offen ist, der ist nicht mehr ganz dicht?
    "Die Umfragewerte sind so volatil"
    Habeck: Das scheint mir nicht so zu sein, denn alle Leute in Schleswig-Holstein wussten, dass wir einen klaren Wahlkampf für die Wiederfortsetzung der alten Regierung, mit der SPD und dem SW geführt haben, dass wir aber auch nichts ausschließen. Und es kann ja nicht richtig sein, dass, wenn die SPD nicht genug Gewicht auf die Waagschale bringt, dass dann die Grünen gleich in die Opposition gehen müssen. Wenn das so wäre, dann würde es immer nur eine Große Koalition unter CDU-Führung geben. Und das haben wir im Wahlkampf gesagt, dass das nicht unser Plan ist, und das halten wir danach ein, und die Wähler haben uns trotzdem gewählt, ja erst recht gewählt, wir haben ja noch ein besseres Ergebnis als 2012 bekommen, bei vollem Gegenwind aus dem Bundestrend. Also, das ist nicht unser Problem.
    Rohde: Aber verstehen Sie die Unsicherheit bei potenziellen Wählerinnen und Wählern, dass sie nicht genau wissen, was ihre Stimme für die Grünen dann am Ende bedeutet, eine Koalition möglicherweise mit der Linken oder mit der CDU?
    Habeck: Ich glaube, wie gesagt, dass das gar nicht so ist, dass die Wähler unsicher sind. Sie wissen, wofür die Grünen stehen, in jeder Koalition. Selbstverständlich gibt es für jede Koalition Besonderheiten, aber ich muss auch sagen, dass wir jetzt in dem Wahlkampf wirklich ein paar Dinge reingeschrieben haben in den Koalitionsvertrag, die ich noch in den letzten Tagen und Wochen mit der SPD gar nicht hinbekommen habe. Also, Kleinigkeiten, verglichen mit den weltpolitischen Lagen, aber das zeigt eben auch, dass die Dinge konkret sind und nicht abstrakt beredet werden sollen.
    Ich glaube, das Problem insgesamt ist, dass die Umfragewerte so volatil sind, dass wir in einer Geschwindigkeit wie selten zuvor Hypes erleben, SPD rauf, Grüne runter, Piraten sind aus dem Landtag rausgeflogen, dabei haben die gute Arbeit gemacht. Und das irritiert die Leute. Politik wird immer mehr zum Modegeschäft, so scheint es.
    "Radikalität auf dem Papier ist nicht relevant in der Wirklichkeit"
    Rohde: Na ja, Sie sagen jetzt, dass die Wählerinnen und Wähler gar nicht so unsicher sind und sich dann einfach neu entscheiden jedes Mal. Aber 80 Prozent der Befragten in NRW haben gesagt, dass sie gar nicht mehr wissen, wofür die Grünen im Bund stehen. Was machen Sie da?
    Habeck: Die Leute überzeugen, was sollen wir denn sonst tun? Also, darauf hoffen, dass irgendwo eine Katastrophe passiert, damit die grünen Themen wieder en vogue sind, das wäre ja nun mehr als zynisch und wirklich bekloppt, sondern es liegt schon an uns selbst, wir müssen uns schon an die eigene Nase fassen. Wenn Leute uns sagen, wir wissen nicht, wofür ihr steht, dann haben wir ein echtes Problem. Das darf nicht weggeredet werden.
    Nur glaube ich nicht, dass das Problem darin liegt, dass wir nicht klar genug in Beschlüssen sind, dass wir das Problem lösen, indem wir die Jahreszahlen noch mal alle fünf Jahre nach unten drehen. Also, Radikalität auf dem Papier ist nicht relevant in der Wirklichkeit. Und wenn wir ein Problem haben, dann, dass wir den Menschen deutlich machen müssen, dass wir relevante Antworten auf relevante Probleme mit einer Ernsthaftigkeit in der Politik anbieten und nicht, wie soll ich sagen, Spielball von Stimmungen sein wollen.
    "Parteien passen ihre der Wirklichkeit an"
    Rohde: Ein großes Problem und ein großes Thema ist ja gerade auch die innere Sicherheit, da gibt es eine lange Debatte drüber. Die Grünen wollten ja früher mal die Videoüberwachung zurückdrängen, können sich jetzt aber einen Ausbau vorstellen. Gefährder sollen inzwischen lückenlos überwacht werden, ausländische Straftäter schneller rückgeführt werden, Asylbewerber mit unklarer Identität nachträglich überprüft werden. Das sind alles Forderungen, die man vor ein paar Jahren noch bei der Union verortet hätte und nicht bei den Grünen. Haben Sie sich da für einen professionellen Schlingerkurs entschieden?
    Habeck: Na, in Teilen ist es nicht ganz richtig, was Sie gesagt haben. Denn Differenzierung gab es schon immer und die Stärkung der Polizei ist seit vielen, vielen Legislaturperioden ein fester Bestandteil im Programm. Nur, in der Tat haben wir es vielleicht nicht laut genug gesagt oder das Augenmerk oder auch die Vorurteile haben dahin geführt, dass man den Grünen immer, wie soll ich sagen, einen laxen Umgang mit der inneren Sicherheit attestierten konnte. Also, wie gesagt, auch unsere eigene Schuld, wenn es denn so ist.
    Und auf der anderen Seite: Na klar, Parteien ändern ihre Ansichten oder passen sie der Wirklichkeit an, die CDU ist aus der Atomkraft ausgestiegen, hat die Wehrpflicht abgeschafft, das fanden alle toll. Die Grünen lassen sich auf die Wirklichkeit ein und sagen, wir haben Gefährder, wir haben Terrorismus in Deutschland, Rechtsradikalismus ist neben Islamismus immer noch ein weiteres Thema, aber der Islamismus, der terroristische Islamismus ist ein Riesenproblem, eine Riesenherausforderung für die liberale Gesellschaft und entsprechend müssen wir auch Antworten geben. Also, ich finde es auch nicht schändlich zu sagen, eine neue Herausforderung bedeutet neue Antworten.
    Rohde: Das heißt aber, dass die Grünen im Endeffekt nicht mehr die Partei der Bürgerrechte sind, sondern jetzt der effektiven Sicherheitspolitik à la Union?
    Habeck: Dieser Gegensatz ist falsch. Wir können doch Sicherheit und Freiheit nur schützen, indem wir tatsächlich auch dafür sorgen, dass sie geschützt werden können. Also, das sage ich jetzt auch als Regierungsmitglied, der alle drei Monate lang den Verfassungsschutzbericht und den Zustand der Gefährder, also die Überwachungsberichte zu lesen bekommt.
    Wir müssen natürlich dafür Sorge tragen, dass Leute, die Böses wollen, mit der vollen Härte des Gesetzes auch verfolgt werden können. Es ist doch eher umgekehrt so: Wenn wir die Partei für Minderheiten, für Homosexuelle, für Frauen, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus sein wollen, dann gilt das natürlich in alle Richtungen. Und so muss man es auflösen. Wer sich sicher fühlen will auf der Straße, der öffentliche Raum ist ein Gut der Demokratie, dann muss der öffentliche Raum auch geschützt sein. Das geht nach rechts, das geht aber auch gegen jede Form von religiösem Fanatismus.
    "Ich werde wohl Minister sein, und das plane ich nicht nur für drei Monate"
    Rohde: Lassen Sie uns noch kurz auf Personalien schauen. Es wird ja gerade darüber diskutiert, wer den Parteivorsitz von Cem Özdemir im kommenden Herbst übernehmen soll. Sie stehen dafür nicht zur Verfügung, habe ich das richtig verstanden?
    Habeck: Genau, ich bin jetzt Minister. Oder wenn meine Basis in Schleswig-Holstein den Koalitionsvertrag annimmt, dann werde ich wohl Minister in Schleswig-Holstein sein, und das plane ich nicht nur für drei Monate zu tun.
    Rohde: Aber hat das Modell Martin Schulz nicht gezeigt, dass ein Neuling auf bundespolitischem Parkett der Partei zumindest zeitweise Aufwind geben kann? Also, sollten die Grünen vielleicht nicht mehr Habeck wagen?
    Habeck: Sie haben Humor! "Zeitweise" haben Sie ja noch eingeführt. Nun ist die SPD bei 23 Prozent oder 25 mit Martin Schulz und ich glaube, es fühlt sich eher an wie zwölf wahrscheinlich, weil man ja schon bei 30 war. Also, klar, natürlich: Jede personelle Veränderung hat erst mal den Zauber des Neuen, es ist ja albern, darüber hinwegzusehen. Aber mein Angebot war während der Urwahl, jetzt werde ich Minister in Schleswig-Holstein. Und ich komme aus einem Land und möchte eher eine Politik so betreiben, wo man Zusagen noch einhält. Das heißt, ich mache das jetzt nicht nur zum Spiel und als Überbrückung.
    Rohde: Das sagt Robert Habeck, bislang Umweltminister in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch!
    Habeck: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.