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Guerilla-Marketing in der Popmusik
Alben aus dem Hinterhalt

Drake, Beyoncé, James Blake, Kanye West und zuletzt Radiohead: Die großen Popstars veröffentlichen ihre neuen Alben ohne große Vorankündigung. Dafür aber mit ordentlichen Guerilla-Taktiken vor dem Termin. Warum ist das der neue Standard?

Von Ina Plodroch | 14.05.2016
    Der britische Sänger und Bandleader von Radiohead, Thom Yorke
    Der britische Sänger und Bandleader von Radiohead, Thom Yorke (dpa / CJ E&M/HO)
    "A Moon Shaped Pool", das neunte Radiohead-Album - ein Abschied vom alten Sound? Oder doch eher eine Rückkehr? In jedem Fall: ein großartiges Album. Nur zwei Tage vor Veröffentlichung auf Twitter angekündigt. Ist das noch das gewohnte Radiohead-Veröffentlichungs-Spektakel? 2007 stellten die Musiker beispielsweise ihr Album "In Rainbows" auf ihre Homepage und ließen die Fans dafür zahlen, was sie wollten. Oder ist es der neue Standard für die ganz großen Popstars? Album von heute auf morgen veröffentlichen, ohne große Ankündigung. Jeder hat dabei seine eigene Guerilla-Taktik, um doch auf sich aufmerksam zu machen.
    Beispiel 1: Mach dich rar
    Zumindest digital. Wie Radiohead. Die Band-Website wurde immer blasser, bis sie weiß war. Twitter- und Instagram-Einträge wurden gelöscht. Am Punkt maximaler medialer Aufmerksamkeit: zwei neue Musikvideos und die Gewissheit: Noch 98 Minuten.

    Twitter überschlug sich: #Radiohead, #cantwait
    Wochenlange Vorfreude auf ein neues Album – scheint passé. Passt ja aber auch kaum noch zur Schnelllebigkeit des Netzes. Aus Veröffentlichungsdatum inklusive Werbung, Plakate, Vorabsingle, Interviews, Pressearbeit wird der kurzfristig angekündigte Veröffentlichungscountdown.
    "Natürlich will man Aufmerksamkeit. Im Endeffekt geht es immer um Aufmerksamkeit, das ist die Währung der Währung."
    Kristof Jansen, vom Indie-Label Groove Attack in Köln. Platten veröffentlichen ist sein Kerngeschäft.
    "Aber man merkt natürlich: Es ist ein harter Kampf um Platzierungen in Musikmedien."
    "Man braucht eine gewisse Größe"
    Beispiel 2: Stell dich ins Rampenlicht
    Wie Beyoncé mit ihrem Auftritt beim Superbowl im Februar. Dann noch ein paar kryptische Ankündigungen im US-amerikanischen Fernsehen, und etwa zwei Monate später: das Überraschungsalbum "Lemonade". Eine ähnliche Strategie versuchten auch andere:
    "Sierra Kidd hat das in Deutschland versucht letztes Jahr und ist damit kläglich gescheitert, das hat nicht funktioniert. Man braucht schon eine gewisse Größe, um sowas durchziehen zu können. So eine Beyoncé, bei so einer Größe funktioniert das schon. Aber gerade bei Newcomern oder Leuten, die noch nicht so etabliert sind, glaube ich nicht, dass das ein Weg des Zukunfts-Guerilla-Marketing sein kann."
    Beispiel 3: Mach kein großes Ding daraus
    Eine Woche vorher: geheimnisvolle Andeutungen auf Twitter, zwölf Stunden vorher ein kurzer Tweet. Schon war das Album von James Blake draußen. Musikvideos brauche er nicht, sagte er zur BBC, ein konkretes Veröffentlichungsdatum auch nicht. Er mache halt Musik, sonst nichts. Als wäre es im Pop jemals nur um die Musik gegangen.
    Beispiel 4: Gib Dich als absoluter Beginner
    Tracklist veröffentlichen, Albumtitel andeuten, Tracklist umstellen, Foto aus dem Studio - hups, ein kleiner Song taucht aus Versehen im Netz auf, zwei, drei Wochen vorher das Album ankündigen, verschieben, Tracklist ändern. Kanye West und Rapper Drake inszenieren sich als vermeintliche Dilettanten, die das fertige Album direkt aus dem Studio ins Netz stellen und scheinbar nichts mit dem "Big Business" zu tun haben. Kristof Jansen:
    Radioheads Strategie: Scheinbar nicht mehr ganz so kreativ
    "Ich frage mich aber auch, wie oft sie das noch wiederholen wollen. Wie oft berichten die Medien danach noch darüber, wenn Jay Z jetzt sein drittes Album nur da rausbringt, es nicht ankündigt, einen Kurzfilm dazu herausbringt."
    Ganz so kreativ scheint Radioheads Veröffentlichungstaktik 2016 also nicht mehr zu sein.
    "Man kann ja kaum noch so schnell hören, verarbeiten und vor allem: schreiben, wie nun ständig aus dem scheinbaren Nichts über Nacht irgendwelche Alben veröffentlicht werden."
    Schreibt Thorsten Groß knapp 24 Stunden nach der Veröffentlichung des Radiohead-Albums in der Süddeutschen Zeitung, während Fans das Album längst gleichzeitig mit ihm angehört haben. Musikjournalisten - eigentlich mit neuen Alben lange vor Veröffentlichung vertraut - stehen vor einer neuen Herausforderung. Wie aktuell sein und professionell arbeiten, wenn die Rezension nur zu spät kommen kann? Daniel Gerhardt meint bei Zeit Online:
    "Als 'A Moon Shaped Pool' am Sonntag herauskam, ergoss sich sogleich eine nicht enden wollende Content-Soße aus ersten Eindrücken, 'think pieces', Gebrauchsanweisungen, Rezensionen, Rezensionsrezensionen und anderem satirischem Gegenprogramm über das Album."
    Erkenntnisse dieses Popjahres: Klassische Werbung in sozialen Medien funktioniert nicht mehr. Popstars wissen das genauso wie die großen Unternehmen, die schon lange auf Guerilla-Taktiken oder Branded Entertainment setzen und den Facebook- und Twitter-Nutzer die die PR-Arbeit erledigen lassen. Bisher funktioniert die Strategie für die ganz Großen noch ziemlich gut: Beyoncé auf Platz 1 in den USA und Radiohead nach einer knappen Woche in den iTunes Charts auf Platz 1. Ob trotz oder wegen dieses selbstgemachten Hypes. Hits müssen es schließlich immer noch sein.