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Gute Bettruhe am gruseligen Tatort

Am 4. August 1892 wurden der Geschäftsmann Andrew Borden und seine Frau Abby in ihrem Haus, im neuenglischen Küstenstädtchen Fall River, brutal erschlagen. Bis heute blieb der Fall ungeklärt. Das Haus der Bordens ist mittlerweile ein Hotel. Und wer will, kann dort sogar im Mordzimmer übernachten.

Von Arndt Reuning |
    Gerade hat der Überlandbus aus Boston eine Handvoll Passagiere in die Sommerhitze ausgespuckt und zuckelt nun weiter die Second Street Hügel aufwärts, vorbei an einer vierstöckigen Wohnanlage, einem Parkhaus und einer Baustelle, wo gerade ein riesiges Verwaltungsgebäude hochgezogen wird, ein Klotz aus Glas und Stein. Gegenüber: ein Relikt aus einer anderen Zeit: das alte, moosgrüne Holzhaus mit den dunkelgrünen Fensterläden, Nummer 92 - einst der Schauplatz eines aufsehenerregenden Verbrechens, heute ein Museum mit Übernachtungsmöglichkeit. Ein kleines Grüppchen von fünf Besuchern wartet schon vor der Tür.

    "Hello, welcome to the Lizzie Borden House. Come in, have a seat in the parlor.”"

    Der Fremdenführer Ben Rose, in einem Trikot der Boston Red Sox inklusive Baseballkappe, winkt die Museumsgäste ins Empfangszimmer: eine Stube mit schweren Polstermöbeln und überladenen Blumentapeten an den Wänden. Rote Brokatvorhänge vor den Fenstern können den Lärm von draußen kaum dämpfen. Aber kühl ist es in dem Raum und ein wenig düster. Zwei Nachzügler schieben sich verstohlen ins Zimmer, ein junges Pärchen, Lindsey und Andrian.

    Er habe eine Weile hier in der Gegend gelebt, sagt Andrian. Die Geschichte um Lizzie Borden kenne er seit seiner Kindheit, aber bisher habe er dem Haus noch nie einen Besuch abgestattet. Inzwischen hat Ben Rose seine Baseballkappe vom Kopf genommen. Lässig an ein Klavier gelehnt, gibt er einen Überblick über die Geschehnisse, die sich hier in Fall River im südlichen Massachusetts am 4. August 1892 zugetragen haben.

    ""Mister Borden und seine zweite Frau, Abby, sind beide in diesem Haus brutal erschlagen worden. Mister Borden ist dort drüben im Raum nebenan auf dem schwarzen Sofa ermordet worden und Misses Borden gerade über unseren Köpfen, im Gästezimmer im ersten Stock. Nach der Beerdigung wurde ihre Tochter Lizzie in diese Zimmer hier gebeten. Der Bürgermeister und der Marshall von Fall River teilten ihr mit, dass sie die Hauptverdächtige ist."

    Die gut 30-jährige Lizzie wurde zwar mangels eindeutiger Beweise freigesprochen, aber ein Leben lang haftete ihr weiterhin der Verdacht an, ihre Eltern ermordet zu haben. Denn das Verbrechen wurde niemals aufgeklärt. An Theorien und potenziellen Tätern jedoch mangelte es nicht. Hatte etwa das Hausmädchen Bridget Sullivan sich an ihren strengen Arbeitgebern gerächt? Welche Rolle spielte John Morse, ein Verwandter des ermordeten Andrew Borden, der sich zur Tatzeit in der Stadt aufgehalten hatte? Hatten die Bordens einen Einbrecher überrascht, der sich daraufhin seiner Zeugen erledigen wollte? Oder steckte doch Lizzie hinter dem Doppelmord? Der Fall hat auch mehr als 100 Jahre später nichts von seiner Faszination verloren, sagt Museumsbesucher Andrian Paquette.

    "Vielleicht wäre das anders, wenn anstelle einer jungen Frau ein Mann der Tat verdächtig worden wäre. Und dann ist da auch die schiere Brutalität, mit der die Morde begangen wurden, die zur Berühmtheit des Falls beiträgt."

    Die Tatwaffe war vermutlich eine Axt oder ein Beil. Den Opfern wurde der Schädel eingeschlagen.

    Lizzie Borden zog nach dem Freispruch in einen anderen Stadtteil. Das Haus, in dem ihre Eltern den Tod gefunden hatten, wechselte mehrmals den Besitzer. Im Jahr 1996 öffnete es dann seine Pforten für die Öffentlichkeit - als Frühstückspension. Insgesamt acht Schlafzimmer stehen zahlenden Gästen zur Verfügung. Die Inneneinrichtung wurde so originalgetreu wie möglich im viktorianischen Stil wiederhergestellt.

    Im ersten Stock steht die Tür zum Gästezimmer sperrangelweit offen und gibt den Blick frei auf ein riesengroßes Bett. Auf dem Fußboden zwischen ihm und der Kommode an der Wand hatten am Tag des Verbrechens das Dienstmädchen und eine Nachbarin den leblosen Körper von Abby Borden entdeckt.

    "Das damalige Gästezimmer ist von allen Räumen in unserer Pension der beliebteste. Alle wollen hier drin übernachten. Natürlich habe ich keine Ahnung, woran das wohl liegt. Es kommt sogar tatsächlich vor, dass Gäste das Laken vom Bett abziehen und auf dem Boden schlafen."

    Als fast alle Museumsbesucher das Zimmer verlassen haben, ergreifen Lindsey und Andrian die Gelegenheit: Der junge Mann zückt seinen Fotoapparat, während sich seine Freundin auf den Fußboden sinken lässt. Genau an die Stelle, wo die Leiche von Misses Borden gelegen hatte. Sehr erquicklich sei das gewesen, dort unten an Stelle des Opfers zu liegen, sagt Lindsey hinterher und streicht sich ihren Rock glatt. Sie möge den Gruselfaktor dabei, interessiere sich aber auch für die geschichtlichen Zusammenhänge.

    Während die Museumstour durch die restlichen Räume zieht, treffen in der kleinen Scheune hinter dem Haus schon neue Lizzie-Borden-Pilger ein. Hier können sie auf die nächste Führung warten - auf einem Sofa, das jenem ähnelt, auf dem Andrew Borden erschlagen wurde. Hinter der Kasse steht in ihrem schwarzen T-Shirt mit bunten Totenschädeln darauf die Leiterin des Souvenirlädchens, Dee Moniz aus Fall River.

    "Wenn sich solch eine Tragödie in einem Haus ereignet, dann hinterlässt das manchmal Spuren. Es gibt viele Leute, die denken, dass Mister und Misses Borden noch immer in gewisser Weise hier anwesend sind. Wir hatten schon einige Gäste, die sind mitten in der Nacht aus dem Haus nach draußen gerannt. Sie haben gesagt, jemand habe sie berührt. Ja, oder sie sehen etwas."

    Weitere informationen:
    http://www.lizzie-borden.com/