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Gute Schulden, schlechte Schulden

Wenn man einen Kredit aufnimmt, hat man Schulden. Aber Kredit klingt besser, nach Investition, nach Geschäft, nach Zukunft. Schulden dagegen - da denkt man an Not und Elend, manche fühlen sich schuldig, in jedem Fall vom Schicksal bedroht.

Von Alois Berger | 19.09.2011
    Schulden klingen gefährlich. Vor vielen Jahren hatte mein Vater einen Brief geöffnet, obwohl er an mich gerichtet war- ein ganz normaler Kontoauszug von der Bank. Ich war damals ein bisschen im Minus, 500 Mark, nichts Dramatisches. Mein Vater konnte eine Nacht nicht schlafen, am nächsten Tag ging er zur Bank, um mein Konto auszugleichen. Schulden in seiner Familie - das konnte er nicht ertragen.

    Die Angst vor Schulden scheint zu unserem gemeinsamen kulturellen Erbe zu gehören, zumindest gilt das für Deutschland und ein paar seiner Nachbarstaaten. Selbst fremde Schulden machen uns Angst, Staatsschulden sowieso. Aber nicht nur die. Vor allem unter deutschen Finanzexperten ist derzeit die Warnung vor amerikanischen Kreditkartenschulden ein großes Thema. Denn in den USA besorgen sich viele Leute eine zweite und dritte Kreditkarte, damit sie die Schulden, die auf dem Konto der ersten Karte aufgelaufen sind, überhaupt noch zurückzahlen können. Im Schnitt steht jeder US-Bürger mit gut 3.000 Dollar bei seiner Kreditkartenbank in der Kreide und zahlt dafür bis zu 20 Prozent Zinsen, ob er sich das leisten kann oder nicht. Offenbar können sich das immer weniger Amerikaner leisten, deshalb warnen europäische Finanzexperten, dass die Kreditkartenblase bald platzen werde. Sie warnen schon seit mindestens vier Jahren, aber die Amerikaner wollen einfach nicht hören - im Gegenteil. Die amerikanische Zentralbank hat vor Kurzem versprochen, die Zinsen mindestens zwei Jahre lang nicht anzuheben. Die New York Times sieht darin eine deutliche Aufforderung an die US-Bürger, sich getrost ein paar Kreditkarten mehr zuzulegen und noch ein bisschen Geld aufzunehmen. Lobenswert, findet die New York Times: Dadurch werde der Konsum angekurbelt und die lahmende Wirtschaft komme wieder auf Trab.

    Als Europäer kann man da nur staunen. Zugleich vermittelt diese Geschichte eine leise Ahnung davon, wie es zugegangen sein muss am Wochenende in Breslau, wo der US-Finanzminister zu Gast war bei seinen europäischen Kollegen, und wo beide Seiten sehr intensiv aneinander vorbeigeredet haben. Der überaus giftige Ton der Beratung hatte sicher auch damit zu tun, dass weder Europäer noch Amerikaner genau wissen, wie man aus dieser Krise herauskommt. Doch wenn derart unsicherem Boden steht, dann möchte man wenigstens an seinen tiefsten Überzeugungen festhalten.

    Wer derzeit in den USA unterwegs ist, erlebt, dass nicht die Schuldenkrise die Leute beschäftigt, sondern der sichtbare Niedergang der amerikanischen Wirtschaft. Die meisten Amerikaner erwarten von ihrer Regierung, dass sie jetzt Geld in die Wirtschaft pumpt, das ist in den USA weitgehend Konsens. Schließlich funktioniere die Wirtschaft immer nur mit geliehenem Geld. Sollte es ein Problem wegen der zu hohen Schulden geben, dann könne sich die Regierung später darum kümmern. First things first.

    Europa und Amerika wirken derzeit beide, als ob sie auf einem Auge blind seien. Für die einen geht die Weltwirtschaft nur an den Schuldenbergen zugrunde, die anderen fürchten, dass sie wegen fehlender Kredite austrocknet. Beide Ängste sind nicht aus der Luft gegriffen. Umso erstaunlicher ist die reflexhafte Abwehr der jeweils anderen Sichtweise, die amerikanische Weigerung, Überschuldung als Problem zu erkennen und die europäische Ablehnung, dem Konjunktureinbruch entgegenzuwirken. Der europäische Pessimismus und die amerikanische Gleichgültigkeit gegenüber Schulden machen die Sache nicht einfacher. Würden sich europäische und amerikanische Politiker wieder ernst nehmen, so wäre viel genommen. Mit klarem Blick findet man leichter gute Lösungen.

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