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Gutes Georgien, böses Russland?

Der Krieg in Georgien hat die NATO vor eine Zerreißprobe gestellt. Denn zahlreiche Sitzungen in der vergangenen Woche im Brüsseler Hauptquartier haben gezeigt, wie unterschiedlich die Meinungen der 26 Verbündeten in der Frage sind, wie das Bündnis mit Russland umgehen und ob sich die NATO auf die Seite Georgiens stellen soll. Befürworter eines besonders harten Kurses gegen Russland unter den osteuropäischen Ländern ist vor allem Tschechien. Von Christina Janssen

    Die Haltung der Tschechen zum Konflikt in Georgien ist eindeutig:

    "Was in Georgien passiert, erinnert mich an 1968. Es ist schrecklich, was die Leute dort erleben. Man muss den Menschen schnell helfen, die NATO oder die EU sollten das tun.

    Die EU sollte eine Friedenstruppe schicken. Und natürlich müssen alle Staaten diplomatischen Druck auf Russland ausüben. Sie dürfen jetzt nicht die Augen verschließen vor diesem Konflikt.

    Es ist wie 1968: Die großen Staaten - egal ob Russland oder Amerika - spielen kleineren Ländern gegenüber immer noch ihre militärische Macht aus. Wir sollten nicht vergessen, was bei uns vor 40 Jahren passiert ist. Ich denke, eine UN-Friedensmission ist jetzt nötig. NATO-Truppen - das würde heißen: Krieg mit Russland."

    Russische Panzer auf fremdem Territorium - in Tschechien ruft das böse Erinnerungen wach. Der 40. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings steht unmittelbar bevor. Und so ist es nicht verwunderlich, dass aus Prag besonders schrille Töne zu hören sind zur Rolle der Russen im Konflikt um Süd-Ossetien. In einem Zeitungsartikel betont Tschechiens Ministerpräsident Mirek Topolanek, man müsse sich gegen russisches Machtstreben zur Wehr setzen:

    "Es geht heute darum, ob wir in Zukunft unter russischem Einfluss stehen werden oder nicht. Die Georgier wollen das bestimmt nicht. Und wenn auch wir das nicht wollen, müssen wir etwas dagegen tun."

    Anders als im Westen, wo ein solches Szenario kaum vorstellbar ist, sieht man Russland in Osteuropa noch immer als militärische Bedrohung. Für Tschechien, Polen und auch die baltischen Staaten ist die Mitgliedschaft in der Nato deshalb eine Art Überlebensgarantie - gegen den Risikofaktor Russland.

    "Wir wissen, wie es ist, wenn ein mächtiger Nachbar einmarschiert. Wir können uns gut in die Lage der Georgier hineinversetzen. Aber dank unserer Nato-Mitgliedschaft sind wir für Russland heute ein gleichwertiger Partner - anders als Georgien. Georgien ist uns sehr nahe, und es hat ein Recht darauf, Mitglied der Nato zu werden."

    Es ist das Trauma der kleinen Staaten, die im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder zum Spielball mächtiger Nachbarn wurden. Als die Truppen des Warschauer Paktes 1968 in Prag einmarschierten, konnten viele Tschechen die Meldungen kaum glauben. Das Stichwort "Okkupation" verbanden sie mit der Besatzung durch die Nationalsozialisten - es war für sie schlicht nicht vorstellbar, dass die sozialistischen Bruderstaaten ihnen nun das Gleiche antun würden. Die tschechische Journalistin Ludmila Rakusanova erinnert sich:

    "In der Früh wurde ich von meiner Mutter geweckt, etwa um fünf. Und sie hat geweint und mir gesagt, schon wieder werden wir okkupiert. Und ich hab gedacht, die ist verrückt geworden; denn für sie war Okkupation natürlich die Okkupation von den Deutschen ... damals, denn sie hatte das ja erlebt als Kind. Und ich hab gedacht, sie meint das, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich das erlebe, in Wirklichkeit."

    Und so stellt sich Tschechien in diesem aktuellen Konflikt - wie schon in der Irak-Krise - an die Seite der Vereinigten Staaten. Die Europäische Union erweise sich im außenpolitischen Ernstfall zu oft als Papiertiger - eine Kritik, mit der sich insbesondere die europakritische Führungsriege der konservativen Regierungspartei ODS immer wieder zu Wort meldet. Der Bitte Georgiens, eine Eingreiftruppe der Nato ins Land zu schicken, solle so schnell wie möglich entsprochen werden, heißt es im tschechischen Außenministerium. Der stellvertretende Außenminister, Jan Pojar:

    "Innerhalb der EU sind sich alle dessen bewusst, dass Russland sehr weit gegangen ist. Und dass es nötig ist, Georgien zu helfen. Deswegen muss sich der Westen gemeinsam mit den USA und den G7-Staaten eindeutig auf die Seite Georgiens stellen und Georgien schnell zu Hilfe eilen."

    Ganz anders Tschechiens Staatspräsident Vaclav Klaus. Er gehört - wie so oft - zu denen, die gegen den Strom schwimmen. Tagelang hatte er geschwiegen, dann stellte er sich explizit gegen seinen Ministerpräsidenten:

    "Ich habe mich bisher nicht dezidiert geäußert, weil ich nicht auf dieser Welle mit reiten möchte, dass Georgien gut ist und Russland böse. Das wäre eine sehr schlichte Sichtweise. So sehe ich die Situation nicht."

    Die Stimmung im Land trifft der Präsident damit nicht. Anti-russische Ressentiments sind in Tschechien weit verbreitet. Man macht zwar gerne Geschäfte mit den Russen, doch das grundsätzliche Misstrauen gegenüber der Großmacht im Osten bleibt. Und so wenig der Vergleich mit 1968 dem zweiten Blick stand hält - für Europäische Union und Nato wird der neue Kaukasus-Konflikt so zum weiteren Belastungstest.