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György Ligeti - The Ligeti Project II

* Musikbeispiel: G. Ligeti - Allegro vivace (2. Satz) aus dem Concert romanesc (1951) Wenn Sie raten müssten, von wem diese Musik stammt, würden Sie vermutlich auf Béla Bartok tippen. Und so weit daneben lägen Sie damit nicht: Der Komponist auch dieser Musik stammt vom Balkan, er wuchs in Siebenbürgen im ungarischsprachigen Milieu auf. Und mit 26 Jahren beschäftigte er sich ähnlich wie Bartok oder Kodaly mit dem Aufzeichnen von Volksliedern nach Gehör, von Wachsrollen, und zwar im Folklore-Institut in Bukarest. Dabei blieben viele Melodien in seinem Gedächtnis haften, und bald entstand, 1951, sein "Rumänisches Konzert". Nicht alles ist original rumänisch, manches hat er auch dazugedichtet, aber eben im Geist der ländlichen Dorfkapellen. Die Rede ist von György Ligeti, nicht nur im inneren Kreis der Neuen Musik einer der ganz Großen des 20. Jahrhunderts, sondern gerade durch seine Orchesterwerke auch einem breiteren Konzertpublikum bekannt und darüber hinaus, denn seine Musik fand Verwendung in Stanley Kubricks Filmen "2001-Odyssee im Weltraum" oder "Eyes Wide Shut". Ligeti wird nächstes Jahr 80, und die Plattenfirmen Sony und Teldec bereiten sich mit Fleiß auf diesen runden Geburtstag vor. Von der 2. Folge des Teldec'schen "Ligeti-Projekts" soll heute morgen die Rede sein, und dazu begrüßt Sie am Mikrofon Ludwig Rink. Dieses "Concert romanesc" gehört zu den weniger bekannten Werken Ligetis. Nach einer Orchesterprobe in Budapest verschwand es in der Versenkung, eine Aufführung wurde verboten, denn in der stalinistischen Diktatur war sogar Folklore nur in politisch korrekter Form erlaubt, zurechtgebogen nach den Normen des sozialistischen Realismus. Die Eigenart der Harmonisierungen, wie sie die Dorfkapellen spielen, oft "schräg" und voller Dissonanzen, war in der Kunstmusik nicht erlaubt. Im vierten Satz des Rumänischen Konzerts gibt es eine Stelle, an der ein Fis im Kontext von F-Dur erklingt - das allein genügte, so berichtet Ligeti, dass die Kunstapparatschicks das ganze Stück auf den Index setzten. * Musikbeispiel: G. Ligeti - Molto vivace (4. Satz) aus dem Concert romanesc (1951) Heute scheint es eigentlich kaum vorstellbar, dass irgendwelche Kunstaufpasser in den 50er Jahren diese Musik dem ungarischen Hörer vorenthalten wollten. Ligeti jedenfalls passte sich nicht an, sondern wollte als Reaktion gegen diese politische Bevormundung eine radikal dissonante und chromatische Musik entwickeln. Manches blieb dabei erst einmal Fragment, doch schon hier, Mitte der 50er Jahre und weitgehend abgeschnitten von den Experimenten der westlichen Avantgarde, kündigten sich bereits wesentliche Merkmale seiner späteren Kompositionsweise an: Visuelle Assoziationen von Farbe und Licht, Fühlbares wie Materie, Dichte, Volumen und Raum traten an die Stelle von Motiven, Melodien, Harmonien oder Rhythmus. Oft ist das Ergebnis ein statischer Formverlauf ohne direkte Entwicklungen; und wenn es so etwas wie Melodielinien oder Rhythmen gibt, dann meist in einer solchen Dichte und Überlagerung, dass sie nicht mehr als solche wahrzunehmen sind und in der Summe etwas Neues entsteht. 10 Jahre nach dem Rumänischen Konzert, also 1961, klingt Ligetis Orchestermusik so: * Musikbeispiel: G. Ligeti - Atmosphères (1961) György Ligeti: ein Ausschnitt aus "Atmosphères". Und das ist keine elektronische oder sonst wie mit Lautsprechern arbeitende Musik, sondern ein reines Orchesterstück, hier beim Ligeti-Projekt der Teldec gespielt von den Berliner Philharmonikern. Die haben sich als Dirigenten dazu einen Spezialisten für Neue Musik geholt, der heißt Jonathan Nott und wird leider im Booklet der CD mit keinem Wort erwähnt. Aber wir hier beim Deutschlandfunk kennen ihn natürlich, denn er ist seit Januar 2000 Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und seit August 2000 Chef des Ensemble Intercontemporain, einer hochmotivierten Spezialistengruppe für Neue Musik in Paris. Jonathan Nott stammt aus England; studierte Flöte in Cambridge, Gesang in Manchester und Dirigieren in London. Seine Laufbahn als Dirigent begann 1988 beim Opernfestival in Battignano. Als Korrepetitor und Kapellmeister war er an der Frankfurter Oper und am Hessischen Staatstheater Wiesbaden angestellt. Inzwischen hat er mit vielen renommierten Orchestern wie dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, dem WDR Sinfonieorchester, den Moskauer Philharmonikern oder in Norwegen mit der Bergener Philharmonie gearbeitet. Er betreute Uraufführungen von Komponisten wie Brian Ferneyhough, Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann und stand häufig bei den Spezialensembles für Neue Musik (Ensemble Modern, London Sinfonietta, Ensemble Recherche Freiburg) am Pult. Mit "seinen" Bamberger Symphonikern führt Nott das Publikum durch die Gegenüberstellung von Werken aus Klassik und Romantik mit zeitgenössischen Kompositionen an die Neue Musik heran. Durch Verbindungen wie Ligeti/Mahler, Nono/Mozart oder Takemitsu/Rachmaninoff lädt er ein, neue Hörerfahrungen zu sammeln und das Wahrnehmungsspektrum zu erweitern. Im November 2001 gab Jonathan Nott sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern, eine offenbar fruchtbare Zusammenarbeit, die sich auch bei dieser CD fortsetzt. Sie bietet außer den bereits vorgestellten Werken noch die "Apparitions" von 1958-59 (laut Angabe von Teldec ebenso wie das "Concert romanesc" eine Schallplattenpremiere), dann "Lontano" von 1967 und als jüngstes hier eingespieltes Stück die "San Francisco Polyphony" von 1973-74. * Musikbeispiel: G. Ligeti - San Francisco Polyphony (1973-74) Alles in allem gelingen den Berliner Philharmonikern unter Jonathan Nott bemerkenswerte Neueinspielungen. Abgesehen von den Ersteinspielungen tut das auch Werken wie "Lontano" und "Atmosphères" gut, denn die Wergo-Aufnahmen von Ernest Bour sind inzwischen historisch. Bewundernswert der hier gezeigte Klangfarbenreichtum der Berliner; und ihr Vermögen, Spannungsbögen auf- oder abzubauen, ist ja auch im klassisch/romantischen Repertoire legendär. Hören Sie zum Abschluss noch einen Satz aus der "Trouvaille", dem Rumänischen Konzert von 1951. * Musikbeispiel: G. Ligeti - Andantino (1. Satz) aus dem Concert romanesc (1951) Die Neue Platte - heute mit dem 2. Teil des "Ligeti-Projekts" der Teldec. Die Berliner Philharmoniker spielten unter der Leitung von Jonathan Nott Orchesterwerke von György Ligeti. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.

Ludwig Rink |