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Gysi gibt Fraktionsvorsitz ab
Neue Chance für die Linke

Wenn Gregor Gysi am Dienstag den Fraktionsvorsitz der Linken abgibt, ist das eine Zäsur für die Partei. Mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch soll künftig eine Doppelspitze aus Vertretern beider Partei-Flügel die Fraktion führen. Experten glauben, dass in diesem Konstrukt durchaus Chancen für die Partei liegen.

Von Ulrike Winkelmann | 08.10.2015
    Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, spricht am 05.05.2015 während einer Fraktionssitzung in Berlin.
    Gregor Gysi während einer Fraktionssitzung der Linken in Berlin. Den Vorsitz gibt er jetzt ab. (dpa / picture-alliance / Maurizio Gambarini)
    Zwischen Ostbahnhof und Karl-Marx-Allee liegt im Berliner Bezirk Friedrichshain ein imposantes, breit gezogenes Hochhaus aus DDR-Tagen. In dicken Lettern steht "Neues Deutschland" oben auf dem Dach. Hier residiert das "neue deutschland", die einstmalige SED-Zeitung, die ihren Namen längst in Kleinbuchstaben schreibt und sich von ihrer Vergangenheit als Zentralorgan freigestrampelt hat. In dem siebenstöckigen Gebäude aus dem Jahr 1969 läuft ein alter Paternoster. Der Chefredakteur des "neuen deutschland", Tom Strohschneider, würdigt den türlosen Aufzug als wichtiges Symbol: "Der Paternoster ist für uns der Sozialist unter den Aufzügen. Er ist offen, er ist transparent, er hält nirgendwo und nimmt doch jeden mit – und er fährt im Kreis, ich glaub das ist – auch fast noch ein bisschen ironisch für den Sozialismus - durchaus sagbar."
    Viele Debatten in der Linkspartei mögen sich im Kreise drehen, doch dieser Tage steht ganz gewiss eine Zäsur bevor: Gregor Gysi tritt als Fraktionschef ab. "Ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen." Gewählt werden sollen am kommenden Dienstag eine Nachfolgerin und ein Nachfolger: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Die Idee: Sie repräsentiert den linken, er den eher sozialdemokratischen Flügel von Partei und Fraktion.
    Ganz leicht wird das nicht. Denn die beiden Flügel bekämpfen sich seit vielen Jahren mit großer Hingabe. "Aber in unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass. Und Hass ist nicht zu leiden", erklärte Gysi 2012 auf dem Parteitag in Göttingen. Sein Auftritt ging als "die Hass-Rede" in die Annalen ein. In zwei Flügel aufgeteilt zu sein, das ist zwar typisch für fast jede Partei. Doch die Linken sind eben im Westen eher eine Splitter-, im Osten dagegen eine Volkspartei. "Warum kann uns das nicht bereichern, warum geht es nicht zusammen? Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet!"
    Teile der Fraktion fühlten sich durch ihn nicht wirklich vertreten
    Nun ist Gysi vor allem aus Sicht der Medien jemand, der verbinden kann, der Gemeinsamkeit und Vertrauen herstellen kann. Andererseits, analysiert Matthias Micus, Linksparteiforscher aus Göttingen: "Ein Fraktionsvorsitzender muss eben auch integrieren können, die verschiedenen Gruppen in der Fraktion zusammenhalten können, und ein Fraktionsvorsitzender muss vordenken können, strategisch und inhaltlich. Und bei beiden Sachen hat Gysi versagt." Denn Gysi habe in den vergangenen Jahren doch zu sehr den einen Flügel repräsentiert, meint Micus, "weil Gysi zu eindeutig als Reformer identifiziert wird und breite Teile der Fraktion sich durch ihn nicht wirklich vertreten fühlen."
    Da Wagenknecht sich dieses Jahr ausdrücklich auf Bitten der Reformer entschieden habe, an der Seite von Bartsch eine Führungsrolle zu übernehmen, sei eine gute Zusammenarbeit durchaus möglich, sagt Micus: "Und da glaube ich in der Tat, dass eine Doppelspitze Bartsch/Wagenknecht besser in der Lage ist, die Probleme, die es gibt bei der Linksfraktion, zu lösen." In den vergangenen Monaten haben Bartsch und Wagenknecht sich schon redlich bemüht, Kooperationsfähigkeit zu beweisen. Es gibt gemeinsame Papiere, etwa eines zur Flüchtlingspolitik.
    Im Neuen-Deutschland-Haus sitzt auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei nahesteht. Im vierten Stock bei der Stiftung arbeitet Horst Kahrs, der seit jeher viel über die Partei nachdenkt. So ein Flüchtlingspapier ist gut und schön, sagt Kahrs. Aber es mangele der Fraktion doch an Einfühlungsvermögen: "Das Problem von Linken besteht manchmal darin, dass sie gute Analysen machen, bei den Analysen aber wenig Augenmerk auf die handelnden Menschen richten und ihnen in ihrem Handeln mit Empathie begegnen. Ich glaube, man muss sich viel stärker auch in die Lage von Menschen hineinversetzen, die sich große Mühe machen, Flüchtlingen zu helfen."
    Bartsch könnte der Fraktion geben, was ihr bisher gefehlt hat
    Fünf Landtagswahlen stehen im kommenden Jahr an, drei davon im Osten, wo die Linke auf Regierungsbeteiligung setzt: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Landesverbände im Wahlkampf können gewiss keine schlechte Presse aus einer schlecht gelaunten Bundestagsfraktion gebrauchen. Georg Fülberth ist Politologie-Professor im Ruhestand. Er beobachtet die Linkspartei schon seit Jahrzehnten. "Ich denke, dass der Hauptteil der Verantwortung bei Herrn Bartsch liegt. Er könnte der Fraktion etwas geben, von dem man doch annehmen muss, dass es ihr bisher stark gefehlt hat, nämlich dass sie vom Fraktionsvorsitzenden nach innen geführt wird."
    Bartsch, der sein halbes Leben Geschäftsführer von Zeitungen und vor allem der Partei gewesen ist, sei dafür wie gemacht, glaubt Fülberth zu wissen. "Frau Wagenknecht hat im Vorfeld ja doch mehrmals deutlich gesagt, dass lange Sitzungen und der bürokratische Teil einer Führungsarbeit, um es salopp zu sagen, nicht ihr Ding ist, das muss kein Schaden sein, ich denke, sie sollte Herrn Bartsch diese Führungsarbeit nach innen überlassen und Konflikte, die mit dem sogenannten linken Flügel der Fraktion entstehen können, abpuffern."
    Und wenn Wagenknecht den linken Flügel einfängt, ergänzt der Göttinger Forscher Matthias Micus, könnte ganz wider Erwarten sogar die rot-rot-grüne Koalitionsidee wieder an Substanz gewinnen, "dass eine Koalition paradoxerweise auch durch Wagenknecht eher wahrscheinlicher werden kann, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist."