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Habitat-Konferenz in Quito
Städte sind mehr als Gebäude

Inklusiver, sozial gerechter, nachhaltiger, klimafreundlicher: Die Stadt der Zukunft soll mehr sein als Wohnraum. Damit vollziehen die Teilnehmerstaaten der Habitat-Konferenz in Quito einen Paradigmenwechsel, der von historischer Relevanz ist. Das Problem: Die notierten Ziele sind nicht rechtlich bindend.

Von Anne Herrberg | 21.10.2016
    Protest vor den Toren der Konferenz. Die Demonstranten fürchten die Vertreibung aus ihren Stadtvierteln.
    Noch liegen Wunsch und Wirklichkeit der Habitat-III.-Konferenz weit auseinander. (picture alliance / dpa / Jose Jacome)
    Der Schlussakt war dann ziemlich unaufgeregt. Doch, was da am Donnerstag in Quito einstimmig angenommen wurde, ist nichts weniger als eine neue Stadt-Agenda für die kommenden 20 Jahre. Und sie ist historisch: Die Essenz: Die Städte, in denen heute schon über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, davon mehr als 900 Millionen in Elendsvierteln; Städte, die den Großteil der Energie verbrauchen und mehr als 70 Prozent aller Treibhausgase produzieren - sie sollen lebenswerter werden, und zwar für alle. Inklusiver, sozial gerechter, nachhaltiger, klimafreundlicher. Ein Paradigmenwechsel, sagt Joan Clos, UN-Sekretär der Weltsiedlungskonferenz Habitat:
    "Wir müssen uns dazu entscheiden, die Probleme der Urbanisierung anzugehen. Und ich glaube, das ist hier geschehen. Urbanisierung verändert unsere Gesellschaft grundlegend und Stadtentwicklung muss mit Ernsthaftigkeit betrieben werden."
    Protagonisten bei den großen Zukunftsfragen
    Es gibt da nur ein Problem. Die Agenda, von Vertretern aus 193 Staaten beschlossen, hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit. Es sind Richtlinien; was Stadt- und Landesregierungen davon umsetzen, hängt allein von deren gutem Willen ab. Trotzdem ein Riesenerfolg, findet Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesumwelt- und -bauministerium: Die Agenda erkenne erst einmal an, dass die Städte Protagonisten bei den großen Zukunftsfragen seien:
    "Dass wir uns in dieser Völkerfamilie darauf verständigt haben, wie Nachhaltigkeit aussehen soll in unseren Städten, welche Rechte die Städte haben, welchen Rechtsrahmen sie haben sollen, das sie eine eigene finanzielle Ausstattung benötigen, um planen zu können, das ist allen Lobes wert."
    Deutschland war zwar mit keinem Bundesminister vertreten, hat im Rahmen der Habitat-Konferenz aber eine Mobilitätsoffensive lanciert – zur Finanzierung nachhaltiger Transportsystemen in Schwellenländern.
    Klare Ziele fehlen
    Sicher gut, aber selbst in Deutschland, weltweit unter den Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit, sei beispielsweise gerade wieder ein Rekord bei Neuzulassungen von Autos aufgestellt worden, kritisiert Daniel Moser von Greenpeace:
    "Was die Mitgliedstaaten hier verpasst haben, ist, klare Ziele und einen Zeitplan zu vereinbaren, der verbindlich ist."
    Die vereinbarten Ziele der letzten Habitat-Konferenz in Istanbul 1996 wurden bisher beispielsweise keinerlei Monitoring unterzogen, ein zentraler Kritikpunkt zivilgesellschaftlicher Organisationen, die übrigens so zahlreich wie nie zuvor bei der Habitat III vertreten waren und die Agenda grundsätzlich begrüßen.
    Doch sie sagen auch: Beim Kampf gegen Wohnungsnot, Vertreibungen und Verslumung in den Städten gibt es eher Rück- als Fortschritte. Da entziehe sich der Staat immer mehr seiner Verantwortung, sagt Dawid Bartelt, langjähriger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Südamerika:
    "Unternehmen müssen mit einbezogen werden in diesen Prozess; diese Prozesse haben nationale Größenordnung, die betreffen nationale Volkswirtschaften. Aber es ist sozusagen ein ungebremstes oder nicht genügend kontrolliertes Wirtschaften, das uns diese Probleme geschaffen hat, und dieselben Akteure, also Finanzinstitutionen, große Erdölkonzerne, Verkehrsverbände, Flugzeughersteller, die jetzt als Hauptakteure für die Lösung zu präsentieren, überrascht dann doch etwas."
    Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
    Vor den Toren der Konferenz rund hundert Demonstranten, umstellt von schwer bewaffneten Polizisten:
    "Wir aus dem Viertel Bolanos kämpfen, weil uns die Stadtregierung vertreiben will. Da wo wir leben soll eine neue Zubringerautobahn ins Zentrum von Quito entstehen, für die Reichen Leute im Tal. Wir sind im Weg, aber wir wollen nicht weg, wir haben in unserem Viertel alles, Wasser, Strom, Straßen, wir wollen, dass sie uns in Ruhe leben lassen", sagt der 66-jährige Taxifahrer Julio Guarcha.
    Seine Geschichte macht deutlich, wie wichtig die neue Stadt-Agenda ist – aber auch wie schwer es ihre Umsetzung in die Praxis haben wird.