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Hamburger Testlauf Autoverzicht
"Man braucht kein Auto"

In Hamburg haben sieben Familien drei Monate lang komplett auf ihr Auto verzichtet. Das Ergebnis: Fünf sind entschlossen, künftig ohne Auto zu leben. Nur zwei Familien aus dem Umland wollen es nicht abgeben, weil die Mobilitäts-Alternativen zu schlecht sind.

Von Axel Schröder | 21.05.2019
Autos auf dem Eppendorfer Weg
Noch immer steigt die Zahl der neu zugelassenen Autos in Hamburg (www.imago-images.de/Hoch zwei stock/Angerer)
Andrea Busch liebt ihren Wagen noch immer. Die Hamburgerin steht vor ihrem edlen, schwarzen Cabrio. Gebürstetes Aluminium im Innenraum, viele Pferdestärken unter der Haube:
"Super, super sportlich. Es ist nur ein Zweisitzer. Aber im Sommer, offen, selbst auf der Autobahn ist das ein Träumchen."
Aber jetzt der Sportwagen auf dem Hof einer Autowerkstatt im Hamburger Süden. Und Andrea Busch ist wild entschlossen:
"Davon trenne ich mich jetzt. Ich sage mal: der Umwelt zuliebe. Und es fällt mir schwer, und ich denke einfach mal: wir müssen was tun und das muss auch manchmal wehtun. Auch im privaten Bereich."
Die Entscheidung, das einzige Auto zu verkaufen, fällten Andrea Busch und ihr Mann nach einem Experiment der Hamburger Umweltbehörde. Sieben Familien haben drei Monate lang auf ihr Auto verzichtet. Drei Monate lang standen die Fahrzeuge in der Tiefgarage der Hamburger Umweltbehörde. Abgedeckt mit Plane. Das Projekt "Steig um!" sei ein voller Erfolg, erklärt Behördensprecher Volker Dumann auf dem Werkstatthof:
"Rausgekommen ist, dass von diesen Sieben fünf das Auto abgeben wollen, entweder sofort, verkaufen, Leasingvertrag nicht verlängern. Zwei können es nicht. Das sind Familien. Die würden gern, die können aber nicht, weil die zu weit draußen wohnen und deswegen das Carsharing-Angebot zu schlecht ist."
Mobilität ohne Auto - Fülle an Anbietern
In der Fläche fehlen diese Angebote. Aber in der Hamburger Innenstadt gibt es schon heute über ein halbes Dutzend Anbieter, die Mobilität auch ohne eigenes Auto möglich machen. Carsharing- und Ride-Sharing-Dienste, Taxiunternehmen und Elektroroller. Dazu kommen noch 2.600 Leihfahrräder an 220 Stationen und die einigermaßen eng getaktete Bus-, S- und U-Bahn-Verkehre des HVV, des Hamburger Verkehrsverbunds. Um die vielen Mobilitäts-Angebote nutzen zu können, zahlte die Behörden allen Testfamilien drei Monate lang 400 Euro. – Nun werden die Erfahrungsberichte der Versuchsteilnehmer und -teilnehmerinnen ausgewertet und eine Handreichung für all jene erarbeitet, die es sich noch nicht recht vorstellen können: das Leben ohne eigenes Auto.
"Wir werden aus dem Ganzen eine Gebrauchsanweisung für den Umstieg machen. Einmal für Leute, die diesen Umstieg individuell auch tun wollen. Aber auch mit Mahnungen, Kritik und Tipps für die Anbieter. Für die Carsharer, für den HVV, S-Bahnen und so weiter. Damit auch die aus diesem Versuch lernen und sich voran entwickeln."
Zahl der Neuzulassungen steigt noch immer
Noch immer steigt die Zahl der neu zugelassenen Autos in Hamburg. Auf knapp 800.000 Kraftfahrzeuge in einer Stadt mit 1,8 Millionen Einwohnern. Auf lange Sicht soll sich dieser Trend drehen, erklärt Volker Dumann. Darauf ziele zum Beispiel auch der Ausbau des Hamburger Radnetzes.
Andrea Busch war schon kurz nach Beginn der autofreien Testphase überrascht, wie viele Touren sich auch mit dem Rad erledigen lassen. Entschleunigt und trotzdem in Bewegung. Vermisst hat sie den Wagen nur, wenn am frühen Abend die Freunde aus dem fernen Bergedorf zur spontanen Grillparty eingeladen hatten.
"Die Spontaneität geht ein bisschen flöten. Aber ich denke mal, das ist auch eine Umstellungssache. Im Grunde genommen fand ich es erleichternd. Denn wir mussten keinen Parkplatz suchen. Parkgebühren in Hamburg sind megateuer. Auch in anderen Städten. Ich muss nicht nach einer Lücke suchen, muss nicht zehn Minuten rumfahren, ehe ich irgendwas Passendes hab. Ich steige ein, steige aus dem Bus, steige ins Car2Go oder steige von meinem Fahrrad, hab das dann immer dabei. Es ist eigentlich eine tolle Sache. Wenn hier in Harburg vielleicht noch ein bisschen mehr getan wird bezüglich Alternativen, wäre das großartig. Also: Man braucht kein Auto."
Und obendrein, lacht Andrea Busch, sind sie und ihr Mann nicht mehr die jüngsten, knapp unter und knapp über 60. Was wäre da besser als Bewegung, als tägliche Touren mit dem Rad, fragt die Harburgerin. Und wartet nur noch auf einen Käufer für ihr schwarzglänzendes Cabrio.