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Handy als Blindenstock

Die Fachmesse "SightCity" in Frankfurt am Main widmet sich den Problemen Blinder und Sehbehinderter. Besonders in fremden Umgebungen fällt den Betroffenen die Orientierung schwer. Mobiltelefon und PDA bieten heute dabei mit GPS-Diensten neue Hilfe.

Von Klaus Herbst |
    Dreieinhalb Tausend Besucher, rund 500 mehr als im letzten Jahr, das ist eine deutliche Steigerung, melden die Veranstalter der SightCity als erste Schätzung noch vor dem Ende der größten deutschen Messe für Sehbehinderte und Blinde. Entsprechend lebendig ging es in der Hauptausstellungs-Halle im Frankfurter Sheraton-Hotel zu. Viele Besucher kamen in Begleitung und orientierten sich mit Stöcken. Auch einige Blindenhunde wiesen den sicheren Weg durch die Halle. Die Hunde brauchen keine Angst davor zu haben, von der Satellitennavigation GPS ersetzt zu werden, denn die ist immer noch viel zu ungenau und funktioniert nicht in Innenräumen. Besonders gefragte Exponate sind MDAs, PDAs und Handys, deren gesamte Funktionalität bereits jetzt Blinden fast vollständig nutzbar gemacht worden ist. Die Eingabe und das Lesen von SMS-Nachrichten beispielsweise funktioniert auch mit der Braille-Zeile oder über Sprach-Ein- und -Ausgabe. Produkte der Mobilkommunikation sind regelrecht umlagert, es ist nicht leicht, zu den Ausstellungsstücken vorzudringen. Ansonsten dominieren Ein- und Ausgabegeräte, Tastaturen, Braille-Zeilen. Stark sehbehinderte Menschen interessieren sich für Flachbild-Monitore, die einen Text nicht nur mit stark vergrößerten Lettern darstellen, sondern beim Hochzoomen den Text auch sinnvoll umbrechen. Insgesamt wird alles immer komfortabler. Echte technische Innovationen sucht man vergeblich, aber die Nutzer stellen hohe Ansprüche.

    "Das sind Wissenschaftler, das sind Journalisten, Juristen haben wir etliche, Psychotherapeuten. Das sind Menschen, die geistig tätig sind und sehr viel Informationen sammeln."

    … sagt Hans-Jörg Lienert von Dräger und Lienert. Auf einem großen Gemeinschaftsstand im Hallenzentrum zeigt das Marburger Unternehmen Software-Lösungen für Blinde. ETB Helpline ist ein elektronisches Telefonverzeichnis. Während Sehende den Komfort genießen, auf dem Monitor möglichst viele Informationen über einen Mitarbeiter, über seine Funktion im Unternehmen, seine Telefonnummer und den Status der aktuellen Erreichbarkeit auf dem Monitor im Überblick zu erfassen, profitieren Blinde von einfachen, kategorisierten Ein- und Ausgaben. Sie geben beispielsweise "em Maier" in die Tastatur ein und greifen kurz darauf die E-Mail-Adresse von Frau Mayer von der Braille-Tastatur ab. Sie können sich auch über die Eingabe bestimmter Begriffe zum Beispiel "Uhr" in wenigen Schritten an das gefragte Objekt herantasten – beispielsweise an einen Radiowecker.

    "ETB greift direkt auf die Datenbank zu und präsentiert die Daten in einer Form, die für Blinde optimal ist. Wir haben eine Volltextsuche, wir haben eine Kommandozeile, ähnlich wie Linux oder wie unter DOS früher. Man gibt die Befehle ein und bekommt sofort die Resultate, ohne dass man eine Vielzahl von Drop-Down-Listboxen betätigen muss."

    … was Blinden sehr entgegenkommt und das Arbeiten mit Informationen – beispielsweise in Call-Centern - so schnell macht wie für Sehende. Der Textroboter "Daisy Maker" ist ein Computer samt Programm, der beispielsweise automatisch E-Mails, Word-Texte und blindengerechte Webseiten auf eine CD brennt. Daisy wurde 1992 von einer schwedischen Blindenbücherei entwickelter und gilt heute als weltweit verbreiteter Standard für navigierbare Multimediadokumente. Daisy-Hörbücher bieten umfangreiche Navigationsfunktionen. Der Benutzer kann nicht nur von Kapitel zu Kapitel springen – er bewegt sich auch über mehrere Hierarchiestufen vom Kapitel über die Seitenzahl bis zum einzelnen Satz oder einen Fußnote frei hin und her. Der auf der SightCity vorgestellte "Daisy Maker" ist ein Werkzeug für Blinde …

    "… das aus Texten aus rtf, HTML, Word zum Beispiel, pdf und so weiter automatisch den Daisy generiert. Daisy ist ja ein sehr erfolgreiches System, das in Blindenhörbüchereien eingesetzt wird. Und dann gibt es auch Systeme, wo wir Bescheide von Behörden nehmen, Daisy-fizieren die, das heißt wir wandeln die in Audio um. Und anschließend werden dann CDs von einem Primera-CD-DVD-Recorder-Roboter gebrannt. Das bedeutet, dass man barrierefrei Dokumente für Blinde in einem Arbeitsgang komplett erzeugen kann, also quasi von der Quelle, vom Text bis zu der CD, die Sie dann in der Hand halten."

    Blinde Projektleiter sind nun erstmals in der Lage, sich komplexe Projektlisten auf der Braille-Zeile darstellen zu lassen.

    "Und da können Sie jetzt zum Beispiel durch die Time-Line durchwandern. Also Sie können tageweise, wochenweise, wie auch immer springen. Und das System sagt Ihnen immer, jetzt sind in der Time-Line die und die Sachen dazugekommen, die Projekte. Das System zeigt Ihnen: Ist es ein Projekt, das Sie verfolgen oder ein Mitarbeiter, ein Kollege, wie auch immer. Oder Sie können alternativ immerzu von Punkt zu Punkt springen. Jetzt ist das und das dazugekommen. Diese Aktivität ist kritisch in Bezug auf die andere Aktivität, so dass Sie als Blinde quasi eine Vielzahl paralleler Aktivitäten verfolgen können."

    Fast alle Funktionalitäten der modernen Informationstechnologie stehen zur Verfügung und sind sehr gut auf die Bedürfnisse blinder Menschen zugeschnitten. Das hat man auf den Ständen der diesjährigen SightCity erlebt. Die IT ermöglicht der Zielgruppe eine Bewältigung des beruflichen und privaten Alltags, die noch nie so komfortabel und schnell war.