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Hanf statt Carbon

Materialforschung. - Die Hochleistungswerkstoffe aus denen moderne Spitzenräder gefertigt werden, sind wahre Energiefresser und in der Entsorgung auch nicht unproblematisch. Ein alternatives Gefährt setzt auf einen Rahmen aus hanffaserverstärktem Kunststoff, bei dem demnächst das synthetische Material auch noch durch Naturstoffe ersetzt werden soll.

Von Arndt Reuning | 27.05.2010
    Ein wenig klobig wirkt er schon, der Rahmen des "Hanf Bike". Die Rohre sind dicker als bei einem gewöhnlichen Zweirad. Dafür bestehen sie aber auch zu einem großen Teil aus der Naturfaser Hanf. Gebaut wurde das Rad von Nicolas Meyer, Maschinenbauingenieur und Freizeit-Triathlet. Am Anfang war es nur eine Schnapsidee: Er hatte sich vorgenommen, ein Rad für sein Hobby zu entwerfen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Viele konventionelle Hochleistungsrahmen bestehen aus Carbon, einem Verbundwerkstoff, der Kohlenstofffasern enthält. Mit diesem Material kennt sich Nicolas Meyer bestens aus, denn er arbeitet auf diesem Gebiet. Allerdings sollte sein neues Fahrrad dann doch etwas anders aussehen.

    "Wir haben die Möglichkeit, wirklich gute Carbonprodukte zu entwickeln. Aber das gibt es schon, das ist ein Nachbau. Wir wollten wirklich etwas ganz Neues machen. Und dieses Hanf-Bike ist wirklich etwas ganz Neues, da wir hier Endlosfasern eingesetzt haben, keine Kurzfasern, die in eine Form gepresst werden. Sondern wir laminieren Endlosfasern so wie eine Glasfaser oder eine Carbonfaser."

    Zunächst einmal hat Nicolas Meyer einen Rahmen aus Schaumstoff geformt. Auf dieses Gerüst hat er dann Lage für Lage ein Geflecht aus Hanffasern aufgetragen. Dazu wird der Stoff mit einem flüssigen Harz getränkt, welches anschließend in einem Ofen gehärtet wird. Damit erreicht das Bauteil ein Gewicht, das ungefähr einem Rahmen aus einer guten Aluminiumlegierung gleichkommt: eineinhalb Kilogramm. Die Hanffasern verleihen ihm Stabilität. Meyer:

    "Hanf hat im Vergleich zu herkömmlichen Fasern eine recht gute Qualität, also wenn man über die Steifigkeit spricht und über die Zugfestigkeit. Und im Vergleich zu anderen Naturfasern eigentlich die besten Festigkeitswerte. Es ist vergleichbar sogar, wenn man es nur in eine Richtung belastet, in Faserrichtung, mit Aluminium von der Festigkeit her, und hat dabei nur die Hälfte der Dichte."

    Ganz und gar ungewöhnlich ist die Form des Sattelrohres: Es besteht aus zwei Streben, die ein Oval bilden. Damit sollen die Druckkräfte umgelenkt werden.

    "Der Hintergrund ist, dass Fasern sehr gut unter Zugbelastung verwendet werden können. Aber jetzt ist die große Frage gewesen: Wie mache ich aus Druck Zug. Und dementsprechend haben wir zwei Rohre genommen, diese verformt, einen großen Radius reingegeben, und sozusagen eine Art Federung entwickelt."

    An den Stellen, wo der Druck am höchsten ist, lenkt eine mechanische Verbindung, ein Zuganker, die Kräfte um.

    "Und so verwandeln wir Druckkraft in Zugkraft und können faserverbundgerecht diesen Rahmen gestalten und auch durch zwei Rohre ein geringeres Gewicht erreichen. Weil wir sehr dünne Wände haben, können wir ein leichteres Gesamtgewicht beim Rahmen erzielen als bei einem standardmäßigen Aluminiumrahmen."

    Dass das Fahrrad wenig wiegt und der Rahmen Schwingungen sehr gut dämpfen kann, das sind nicht die einzigen Vorzüge des Materials. Auch die Energiebilanz für die Herstellung aus dem nachwachsenden Rohstoff Hanf kann sich sehen lassen. In herkömmlichen Materialien steckt nämlich eine ganze Menge Energie.

    "Beim Aluminium muss sehr viel Energie erst einmal in die Herstellung des jeweiligen Aluminiums reingesteckt werden. In diesem Fall ist es thermische Energie. Da nutzen wir auch zum größten Teil noch fossile Brennstoffe, um diese Energie zu produzieren. Beim Carbon haben wir eigentlich genau das gleiche: Carbon besteht auf Basis von Rohöl und braucht wieder sehr viel Energie, um im Prozess die guten Festigkeitswerte zu erlangen."

    Vier Wochen nachdem Nicolas Meyer sein Rad fertig gestellt hatte, ist er damit den ersten Triathlon gefahren – und im Mittelfeld gelandet. Es gibt also noch ein wenig Optimierungsbedarf, auch in ökologischer Hinsicht. Im nächsten Modell soll das synthetische Epoxidharz durch ein natürliches Material auf Basis von Sojaöl ersetzt werden. Wenn das Fahrrad dann irgendwann einmal ausgemustert wird, kann man den Rahmen einfach auf den Kompost geben.