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Hard Work

Akkordarbeit in brasilianischen Fleischfabriken, chinesische Schuhfabriken, die aussehen als stammten sie aus Charles-Dickens-Romanen, aber auch Managerstress in deutschen Assessment Centern: Das Dokumentarfilmfestival Leipzig zeigte Arbeitswelten aus der ganzen Welt - und wie die Körper sich verändern in diesen Welten.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Heute ging das 54. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm zu Ende. Nun kann ja Dokumentar vieles sein und heißen. Milieustudien können das sein, Einblicke in unbekannte Lebenswelten, aber auch ganz klassische alte Natur- und Tierdokumentationen, und so etwas gab es auch in Leipzig. Aber, Rüdiger Suchsland, an Sie die Frage: Ein Schwerpunkt liegt auf Arbeitswelten. Während in den industrialisierten, in den westlichen Gesellschaften die schwere Arbeit weniger wird oder ausgeht, wird die dreckige Arbeit in andere Länder verlagert?

    Rüdiger Suchsland: Ja, das war einer der Schwerpunkte. Man hat Arbeitswelten in den verschiedensten Teilen unserer Erde gesehen. In China, da kennt man das schon, da erwartet man schon fast, dass es so diese Kohleminen gibt, dass es diese Schuhfabriken gibt, wo es aussieht wie im 19. Jahrhundert in den Romanen bei Charles Dickens, aber das ist Realität aus dem 21. Jahrhundert. Es gibt aber natürlich auch andere Arbeitswelten, die genau genommen nicht weniger Abgründe kennen. Ein deutscher Beitrag, der leider keinen Preis gewonnen hat, hätte er aber kriegen sollen, heißt "Work Hard – Play Hard", stammt von Carmen Losmann, ist ein Debüt aus Köln und ein ganz großartiger Film, fand ich, weil er so abgründige Innenansichten bietet aus der Welt der Manager. Man begleitet die Manager im Assessment Center, wo sie miteinander konkurrieren, man sieht sie dann, wie sie Team bilden sollen beim Bergsteigen in der freien Natur, man spricht mit einem Designer von diesen Arbeitsräumen, der spricht über die Wirkung der Farben, dass es keine braunen Töne haben darf, damit die Leute sich nicht zu wohl fühlen und zu sehr wie zu Hause, gleichzeitig soll es aber orange, weiß und rot sein, damit sie sich doch wohl genug fühlen, um gut zu arbeiten, um nicht zu beruhigt zu sein, um sich so ein bisschen warm und gemütlich zu fühlen. Zum Telefonieren gibt es dann eigene Räume, so Glaskästen, ansonsten sitzen die in Großraumbüros, müssen jederzeit für jeden ansprechbar sein, um die Probleme ganz, ganz schnell zu lösen. Das ist auch ein Film über die Sprache der Manager. "Work Hard – Play Hard" ist ja schon so eine Formulierung. Das heißt, es geht auch darum, wie eigentlich diese Arbeitswelten den Menschen verunstalten und beeinflussen, wie die Körper sich verändern in diesen Welten, und da sind wir wieder bei den brasilianischen Fleischfabriken, weil da verändern sich die Körper auch, dadurch, dass die einfach acht Stunden, zehn Stunden, zwölf Stunden die exakt gleichen Handbewegungen machen, immer wieder alle 15 Sekunden dieselben.

    Köhler: Es gab auch restaurierte historische Filmfassungen. Verlieren Sie darüber ein Wort.

    Suchsland: Ja, ganz toll. Es gab mehrere Retrospektiven, eine zum Jahr 1961, wo eben klar ist, da wurde nicht nur die Mauer gebaut, sondern da sind ganz andere Sachen passiert: Algerien hat den Befreiungskrieg gegen Frankreich gewonnen, es gab die Kuba-Krise, es gab die ersten Kernkraftwerke in Deutschland, West und Ost. Aber etwas anderes, was ganz toll war und auch ein Dokumentarfilm auf eine ganz eigene Art, das waren drei sowjetische Filme. Es gab so einen Tag, der hieß dann "Exploding Propaganda". Da liefen dann hintereinander weg dreimal so 20-, 30-Minüter-Filme. Die stammten alle von Aleksandr Sejn. Das ist ein sowjetischer Filmemacher, der auch noch lebt, ist über 70 und war da. Und einer davon, "Our March", hat sogar die Goldene Taube von Leipzig 1971 gewonnen. Das ist eine Art Bewusstseinsstrom. Das sind Filmbilder, die ganz schnell aufeinandergeschnitten sind und die gleichzeitig mit einer ganz speziellen Montagetechnik, die fast schon Trickfilm ist, vergrößert werden, also Breitbandfilme, die dann auf fünf, sechs, sieben, acht, bis zu zwölf Bildschirmen gleichzeitig laufen. Man sieht dann die Geschichte der Sowjetunion in 20 Minuten. Man sieht dann einen Rückblick 1971 auf die "Commune", die da 100 Jahre alt war, die Pariser Kommune so als Vorgeschichte des real existierenden Sozialismus. Man sieht aber auch eine Art Werbefilm für die Sowjetunion aus dem Jahr 1976, da war schon Entspannung angesagt, und es geht eigentlich um die Motivation der Sowjetbürger selber für ihren Staat. Der heißt "Unsere Heimat" und sieht eigentlich so aus, wie bei uns damals im Westen die Margarinewerbung aussah.

    Köhler: Eine Winzigkeit interessiert mich noch zum Schluss. Das Festival fand in Leipzig statt. Eine Woche lang wurde eigentlich auch in den Dokumentarfilmen der friedlichen Revolution in der Welt gedacht. Der Leipziger Ring etwa, habe ich nachgelesen, ging an einen Film über die gescheiterte Grüne Revolution im Iran.

    Suchsland: Ja, genau. Das war ein toller Film von einer anonymen Filmemacherin. Man weiß nicht genau, es wird wohl eine Exiliranerin sein, die in Paris lebt. Er ist mit französischem Geld produziert. Es gab natürlich auch noch eine Extrasektion, die sich mit der Arabellion und Jasminrevolution befasste, darüber gibt es ja verschiedene Namen. Über Libyen ging es noch nicht, aber es ging da um Tunesien, um Ägypten und um das, was in diesen anderen Staaten gerade gärt. Ein Teil dieser Filme ist natürlich gemacht worden vor dem Jahr 2011. Das heißt, der nimmt eigentlich diese Stimmungslage, diese Atmosphären unmittelbar vor der Revolution auf und diese Filme zeigen dann, wie es den Menschen ging noch unter Mubarak und noch in der tunesischen Diktatur. Man spürt da schon, dass ein großer Freiheitswille da ist, man spürt, dass sich eine neue Mittelklasse bildet, die westlich lebt, die gebildet ist und die ganz anders leben möchte, als sie damals gelebt haben. Man sieht aber natürlich auch, was die Widerstände sind, nämlich große Armut, eine Unterschicht, die ungebildet ist und die vielleicht auch dann den falschen Leuten nachläuft.

    Köhler: Sagt Rüdiger Suchsland zum und vom Leipziger Dokumentar- und Animationsfilmfestival.

    Link zum Festival:
    Internationales Festival für Dokumentar- und Animationsfilm Leipzig