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Hasskriminalität im Netz
Grünen-Politiker von Notz für Strafen im dreistelligen Millionenbereich

Bei Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten im Internet müsse härter durchgegriffen werden, forderte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz im Dlf. Mit Konzernen wie Facebook und Google werde in Deutschland in Sachen Haftungsrecht viel zu milde umgegangen.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.10.2019
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Beauftragter für Religion und Weltanschauungen der Partei Buendnis 90/Die Gruenen im Deutschen Bundestag
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag (imago/epd-bild/Christian Ditsch)
Christiane Kaess: Hasskommentare auf Instagram, YouTube, Facebook und anderen Plattformen empören immer mehr Menschen. Den Angegriffenen kann der Hass im Netz das Leben zur Hölle machen. Seit mehr als zwei Jahren verpflichtet das sogenannte Netzwerk-Durchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, die Betreiber der Plattformen, Hasskommentare zu löschen. Der Hass im Netz ist damit trotzdem nicht verschwunden. Seit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und dem Terroranschlag in Halle wird auch verstärkt darüber diskutiert, inwieweit diese Morde von Kommentaren und einschlägigen Foren im Netz angestiftet wurden. Gestern machten auch die Chefs der drei deutschen Nachrichtendienste deutlich, dass seit einiger Zeit die Bedrohung durch rechts unberechenbarer wird. Vor diesem Hintergrund wollen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht von der SPD und Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU eine Reihe von Maßnahmen zum Kampf gegen den Rechtsextremismus und Hasskriminalität ins Kabinett einbringen.
Am Telefon ist jetzt Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen.
Konstantin von Notz: Guten Morgen, Frau Kaess.
Seit Halle hat man sich früher dran gemacht
Kaess: Herr von Notz, macht die Bundesregierung beim Kampf gegen rechts und gegen Hasskriminalität gerade alles richtig?
Von Notz: Na ja. Es ist auf jeden Fall gut, dass sie das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz angeht. Das war erst für 2020 geplant und durch die schrecklichen Ereignisse von Halle hat man sich da jetzt früher dran gemacht. Wir fordern seit Einsetzung dieses Gesetzes am Ende der letzten Legislatur, dass man hier vor allen Dingen im Hinblick auf die Inpflichtnahme der Betreiber dieses Gesetz schärfer stellt. Insofern ist das auf jeden Fall ein richtiger Schritt.
Kaess: Und diese Verschärfung, die jetzt geplant ist, wird den Hass im Netz beenden?
Von Notz: So einfach ist es natürlich nicht, und es ist auch mit einer Meldepflicht nicht getan. Wir haben vor allen Dingen dann bei der justiziellen Umsetzung Probleme. Die Bundesregierung hat ja den sogenannten Pakt für den Rechtsstaat in den Koalitionsvertrag geschrieben – klingt erst mal gut. Es geht darum, auch die Justiz, die Polizeien personell zu stärken. Da ist aber in den letzten zwei Jahren wenig passiert, und genau das wäre aber nötig, denn wir haben dann am Ende oft ein Problem, dass bei den Staatsanwaltschaften und bei den Polizeien nicht genug Leute da sind, die dann diese angezeigten Straftaten auch angemessen verfolgen. Deswegen ist die Bundesregierung in dem Punkt immer noch blank.
Kaess: Aber das ist ja genau schon lange Ihre Kritik, dass es nicht zur Anklage kommt durch die Staatsanwaltschaften. Aber wenn jetzt die Plattformen verpflichtet werden zum Melden von Hasskommentaren, wird das nicht auf alle Fälle zu mehr Anklagen führen?
Von Notz: In erster Linie führt das dann erst mal zu einer Flut von Fällen bei den Staatsanwaltschaften. Und wenn man die Logik und auch die verständliche in der Justiz sieht, dann kann man am Tag nur so und so viele Fälle bearbeiten. Insofern ist eine Aufstockung auch hier von Personal dringend notwendig.
Im Hinblick auf die Betreiber der Plattformen, die ja schon nicht irgendwie kleine Einzelhändler sind, sondern eine Infrastruktur zur Verfügung stellen, die im Fall von Facebook jetzt in Deutschland 30 Millionen Menschen nutzen, muss man sagen: Ihre Verfahren transparenter zu machen, gleichförmiger, dass man wirklich versteht, was dort passiert, dass es dafür auch eine Pflicht gibt, das zu veröffentlichen, das sind alles Dinge, die lange hätten passieren müssen. Und dass man so lange Facebook einfach nach kommerziellen Gesichtspunkten hat agieren lassen, das ist sicherlich ein Fehler der Vergangenheit gewesen.
Kapizitäten bei Staatsanwaltschaften sind nicht vorhanden
Kaess: Aber jetzt wird ja was getan. Noch mal zu diesem Punkt, den Sie gesagt haben, die Staatsanwaltschaften könnten jetzt überflutet werden. Sie sagen auch ganz eindeutig, die Kapazitäten, das zu bewältigen, sind nicht vorhanden?
Von Notz: Die sind im Augenblick sicherlich nicht vorhanden, und das muss man jetzt im gleichen Schritt da nachziehen. Sonst führt es dazu, dass sich die Akten stapeln, aber die Staatsanwältin XY kann nicht mehr Fälle am Tag bearbeiten, sondern man muss das dann auch auf der Seite untermauern mit Personal, damit das dann auch abgearbeitet werden kann. Wenn es dann zu Verurteilungen kommt und zu Geldstrafen kommt, dann, glaube ich, ist tatsächlich eine regulierende Wirkung da, denn eines der Hauptprobleme, die wir hatten in den letzten Jahren, war die absolute Folgenlosigkeit von auch schlimmster, strafrechtlich relevanter Hetze im Netz.
Kaess: Wie hoch muss man denn Strafen ansetzen, um bei milliardenschweren Konzernen etwas zu bewirken?
Von Notz: Das ist ja einer unserer Hauptkritikpunkte, dass man bisher mit den großen Playern da sehr milde umgeht. In Deutschland ist das Haftungsrecht sowieso nicht so ausgeprägt und die Dinge, mit denen man da Facebook bisher und auch YouTube und Google gedroht hat, das können die eigentlich aus der Portokasse locker dreimal bezahlen.
Kaess: Aber dann sagen Sie doch mal konkret, Herr von Notz: Was schwebt Ihnen denn da vor?
Von Notz: Ich glaube, dass man für die Regulierung dieser Konzerne schon sehr ernst im Haftungsrecht zuschlagen muss. Das muss denen weh tun, weil diese Konzerne immer ganz schlichte Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellen. Die sagen, wie viele Leute müssen wir einstellen, um Straftaten hier festzustellen und überhaupt zu verstehen, was schreiben die Leute hier auf Deutsch, komische Sprache, verstehen wir gar nicht. Und dann stellen sie fest, das Personal kostet uns so und so viel. Wenn wir jetzt hier gegenüber den staatlichen Stellen nicht agieren, dann kostet uns das erst mal gar nichts, sondern nur Geschimpfe, und dann machen die das einfach nicht.
"Sonst kriegt man diese Konzerne nicht unter die Füße"
Kaess: Aber, Herr von Notz, das ist immer noch keine Antwort auf meine Frage, in welchem Bereich wir uns da bewegen sollten.
Von Notz: Man muss, wenn man umso grundsätzliche Dinge ringt, im hohen zwei- und dreistelligen Millionenbereich notfalls Strafen verhängen können. Sonst kriegt man diese Konzerne nicht unter die Füße. Das ist jetzt mit der Datenschutz-Grundverordnung in einem anderen Bereich auch schon gemacht worden und das ist der einzige Hebel, mit dem Sie solche Konzerne, die einer wirtschaftlichen, einer Aktiengesellschaftslogik folgen, beikommen können.
Kaess: Können die neuen Maßnahmen auch Plattformen dazu zwingen, IP-Adressen tatsächlich herauszugeben? Denn bisher verweisen die ja gerne darauf, dass die Unternehmenssitze in den USA liegen, und sagen, stellt da eure Anträge. Ist das jetzt mit diesen neuen Maßnahmen anders?
Von Notz: Wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, wenn die rechtsstaatlichen gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, besteht da eine Pflicht. Auch da hat man das Problem, dass man von staatlicher Seite diese Frage nicht scharf genug stellt und sich mit diesem Hinweis, wir haben ja unseren Konzernsitz in den USA, sehr leicht abspeisen lässt. Wenn man sich anguckt, wie in den USA mit deutschen Konzernen umgegangen wird, die sich nicht an Recht und Gesetz halten – ich sage mal Volkswagen oder Ähnliches -, dann kann man sich da, glaube ich, was abgucken, wie man diese Unternehmen in die Pflicht nehmen muss, um sich an das geltende Recht zu halten.
Kaess: Sie sagen, mit den Maßnahmen jetzt sind diese Voraussetzungen immer noch nicht gegeben?
Von Notz: Ich sage, rechtlich sind sie gegeben, und ob sie tatsächlich durchgesetzt werden, das werden wir in den nächsten Monaten sehen. Ich habe Zweifel, aber wenn die Bundesregierung immer nur zu Kaffeekränzchen mit Facebook sich zusammensetzt und diese Fragen nicht mal scharf schaltet, dann bekommt man genau so ein Ergebnis.
Großteil der Fälle passiert nicht verschleiert
Kaess: Es ist ja teilweise auch nicht ganz unkompliziert, denn selbst wenn die IP-Adressen rausgegeben werden können, oder wenn die Plattformen das machen wollen, kann ja der Computer der möglichen Täter immer noch verschleiert sein. Scheitert das eventuell in der Realität an solchen Dingen dann?
Von Notz: Das ist richtig, solche Fälle gibt es. Trotzdem muss man einfach sehen, dass ein Großteil der Fälle auch nicht verschleiert passiert, und wenn man die Leute verfolgen würde, die teilweise nicht nur mit klarer IP-Adresse, sondern auch unter ihrem Klarnamen, unter ihrem echten Namen da härteste Beleidigungen und Strafrechtsverletzungen begehen, wenn man die verfolgen würde, wäre schon unheimlich viel geholfen. Ich finde, das ist kein finales Argument, jetzt diesen Weg nicht entschlossen zu beschreiten.
Kaess: Es kommt jetzt schon Kritik von Seiten der FDP an diesen neuen Maßnahmen. Da sieht man die politische Meinungsfreiheit in Gefahr. Für Sie genauso die Gefahr, dass Konzerne zu schnell löschen oder zu schnell melden?
Von Notz: Das ist auch eine Schwäche des NetzDG und insofern teilen wir die Kritik, dass es kein Verfahren gibt, bei dem berechtigte Inhalte wieder eingesetzt werden können. Put-Back-Verfahren heißt das. Es wird etwas von mir gelöscht, was vielleicht wesentlich ist, in der Öffentlichkeit irgendwie gesagt zu haben, und der Konzern löscht das einfach kommentarlos, und dann habe ich überhaupt keine Möglichkeit, mich einmal von diesem Makel zu befreien, aber auch die gelöschte Äußerung wieder zurück in den öffentlichen Raum zu bekommen – klar nach einem rechtsstaatlichen Verfahren und einer ordentlichen Prüfung. Diese Möglichkeit fehlt bisher und insofern ist natürlich die Gefahr, dass die Konzerne einfach willkürlich und ohne jeglichen rechtsstaatlichen Rahmen Kommentare löschen und blockieren, relevant. Deswegen gehört ein Put-Back-Verfahren auf jeden Fall auch in ein Netzwerk-Durchsetzungsgesetz, und das verweigert leider die Bundesregierung.
Kaess: Das war jetzt das Löschen. Sagen Sie uns zum Schluss noch kurz: Kann es auch passieren, dass künftig jemand den Ermittlungsbehörden gemeldet wird, der scharf im Netz etwas kommentiert hat und plötzlich zu Unrecht am Pranger steht?
Von Notz: Ja, das passiert im analogen wie im digitalen Leben. Deswegen sind wir Gott sei Dank ein Rechtsstaat, dass dann, wenn die Justiz da draufguckt, man von dem Makel sehr schnell befreit werden kann, indem ein Staatsanwalt oder schon die Polizei sagt, hier ist der Tatbestand gar nicht erfüllt und die Strafrechtsnorm nicht verletzt. Insofern sehe ich da keine größere Gefahr als in der analogen Welt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.