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Hatte Lamarck doch Recht?

Biologie.- Die Evolutionstheorie von Jean-Baptiste de Lamarck, nach der sich Tier- und Pflanzenarten schrittweise an ihren Lebensraum anpassen, galt ab Erscheinen Charles Darwins Theorie als falsch. Nun findet Lamarck aber wieder Anhänger.

Von Michael Lange | 13.09.2011
    Egal, ob wir uns gesund ernähren, uns reichlich bewegen oder viel schlafen: nichts davon vererben wir an kommende Generationen. Denn für die Vererbung ist allein das Erbmolekül DNA zuständig. Wir erhalten es von unseren Eltern und geben es an unsere Kinder weiter. Was sich ändert durch unser Verhalten sind allein die Proteine, die Eiweiße. Sie sind die Arbeitstiere der Zelle. So steht es in den Lehrbüchern.

    Dass auch Proteine Informationen weiter geben können, zeigen jetzt die Arbeiten von Susan Lindquist. Sie forscht am Whitehead-Institute in Boston. Als Beispiele für informative Proteine nennt sie Prionen, bekannt als Erreger von Krankheiten wie BSE bei Rindern oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen.

    "Prionen bieten tatsächlich den wunderbarsten Mechanismus für die Vererbung neuer Merkmale. So entsteht eine riesige Vielfalt neuer Biologie."

    Die Information steckt dabei nicht in den Buchstaben eines Moleküls wie bei der DNA. Vielmehr entscheidet beim Prion die Form.

    "Normalerweise sieht das Prion aus wie ein kleiner Ball. Aber dann ändert sich seine Form und wird zu einer Art Pfannkuchen. Viele "Pfannkuchen" verbinden sich zu einem Stapel, und bei jeder Zellteilung teilt sich der Stapel. Und jede Tochterzelle erhält ihren eigenen Pfannkuchen-Stapel. Das bedeutet, die Information über die Pfannkuchen-Form und ihre neue Funktion wird von einer Generation an die nächste vererbt."

    Wenn bestimmte Prionen im Gehirn ihre Form verändern, werden sie zu krankmachenden Erregern, wie bei der Rinderseuche BSE. Aber Susan Lindquist entdeckte auch ungefährliche Beispiele. So färbt eine bestimmte Prionen-Form rote Hefezellen weiß. Aber auch bei größeren Organismen tragen Prionen Informationen.

    "Prionen liefern eine Art molekulares Gedächtnis. Sie verändern ihre Form und speichern so Information. Solche Vorgänge finden an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen im Gehirn statt, den Synapsen. Dort wirkt also ein Prion-Mechanismus."

    Proteine bilden auch das Gerüst der Chromosomen, die als Träger der Erbsubstanz dienen. Wenn sich die Form dieser Gerüstproteine ändert, ändern sich die Aktivitäten einzelner Gene im Erbmaterial. So kann eine Formveränderung bei Proteinen die Merkmale eines Lebewesens verändern. Und da die Proteine direkt am Erbmaterial liegen, werden sie an die nächste Generation weiter gegeben. Bei Hefezellen konnte Susan Lindquist diese Vererbung ohne DNA nachweisen.

    "Wir glauben, dass sich viele Umwelteinflüsse auf die Proteinform auswirken. Die Proteine wirken auf die Aktivität der Gene und machen uns zu denen, die wir sind."

    Das heißt: Die Umwelt beeinflusst über die Proteine die biologische Vererbung. Für diese Theorie wurde der Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck lange Zeit belächelt. Nun scheint er – 200 Jahre nach seiner wichtigsten Veröffentlichung – doch Recht zu bekommen.

    Es gibt viele Mechanismen, mit denen die Umwelt neue Merkmale erzeugen kann. Die Bedeutung dieser Mechanismen für die Evolution der Arten ist aber noch unklar. Jetzt steht ein wenig Lamarck neben sehr viel Darwin.