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Haudegen statt Helden

Edelmütig, heldenhaft, stark und mannhaft sind Ritter gewesen. So wird es jedenfalls in der Literatur beschrieben, angefangen bei Walther von der Vogelweide bis hin zu Clemens Brentano. Doch war es wirklich so? Ein Ausstellung im Koblenzer Landesmuseum räumt jetzt mit dem "Mythos Ritter" auf: In der Festung Ehrenbreitstein wird über das wahre Leben der ungehobelten Haudegen berichtet.

Von Wolf Schön |
    "Ja so sans, ja so sans die alten Rittersleut'." - Aber waren sie wirklich so, wie es Lieder und Legenden erzählen? Der Mythos von den gepanzerten Recken, die auf edlen Streitrössern für Ruhm, Ehre und das Heilige Römische Reich zu Felde ziehen, ist längst zum unausrottbaren Klischee geronnen. Kein Burghof mehr, in dem nicht bunt kostümierte Freizeitkrieger zur sommerlichen Volksbelustigung die Klingen kreuzen. Die Mittelaltermanie grassiert, und wer zu Hause bleibt, darf sich beim populären Online-Lanzenstechen in einen Helden ohne Furcht und Tadel verwandeln.

    Doch wo gespielt wird, sind auch die Spielverderber nicht weit, diesmal in Gestalt ernsthafter Wissenschaftler, die nachschauen, was hinter der inszenierten Lustbarkeit an historischer Wahrheit steckt. Stilechter Schauplatz ihrer Aufklärungsmühen ist die Koblenzer Festung Ehrenbreitstein, in deren Gewölben zahlreiche Ausstellungsstücke vom rostigen Schwert bis zur zierlichen Bilderhandschrift beglaubigte Überreste des stolzen Rittertums vor Augen führen.

    Tatsächlich gibt es für eingefleischte Hobbykämpen einiges zu verkraften. Zum Beispiel, dass ihre hochgerüsteten Idole keineswegs den ritterlichen Zweikampf ebenbürtig mit ihresgleichen suchten. Vielmehr hatte der adelige Rivale im Regelfall einen tückischen Zermürbungskrieg zu erwarten. Da wurden die Ländereien des Gegners verwüstet, seine Dörfer in Brand gesetzt, selbst Frauen und Kinder durften auf Schonung nicht hoffen. Viel zivilisierter ging es auch innerhalb der aus Bruchsteinen errichteten Festungen nicht zu. Plagten die Raubeine Hunger und Durst, reichte als Tisch eine ausgehängte Tür, die über zwei Fässer gelegt wurde.

    Was bis heute den Rittermythos beflügelt, waren die Scheingefechte der Turniere, die ihre Blütezeit leider erst erlebten, als aus dem streitbaren Ritterstand längst selbstverliebte Folklore mit Helmzier und Wappenpracht geworden war. Die Schaukämpfe in den kostspieligen Prunkrüstungen fanden auch nicht unter dem dräuenden Bergfried statt, sondern vor stattlichem Publikum auf weiträumigen städtischen Plätzen, wo die einstigen Burgherren mittlerweile komfortablere Wohnhäuser bezogen hatten. Um die Gunst liebreizender Edelfräuleins ging es immerhin doch: Heiratsmärkte des lokalen Adels sollen die glanzvollen Spektakel gewesen sein.

    Ganz rigorose Historiker haben behauptet, die viel gepriesene Ritterkultur samt der tugendhaften Gesinnung sei ein Hirngespinst der höfischen Dichtung gewesen, pure Poesie eines Walther von der Vogelweide und dessen französischer Vorbilder. Plausibel wirkt der Vorschlag zur Güte, dass Lyrik und Minnesang zwar das Idealbild einer ritterlichen Gesellschaft entworfen haben, diese aber im Laufe der Zeit den Wunschvorstellungen der Literatur gefolgt sei.

    Wenn jemand im großen Stil den harten Existenzkampf der ungehobelten Haudegen verzuckert hat, dann sind es die Schwarmgeister der Romantik gewesen. Vergangenheitstrunkene Poeten wie Kleist, Heine und Brentano waren unter den ersten, die das mittelalterliche Erbe wiederentdeckten, begleitet von ungebremst fabulierenden Künstlern, die die farbige Ritterschau an der Moselmündung reichlich mit sentimentalem Augenfutter versorgen.

    Als die Preußen nach 1815 am deutschen Schicksalsstrom das Regiment übernahmen, gesellte sich zur nostalgischen Verklärung das patriotisch politische Pathos. Zum Höhepunkt der fieberhaften Ruinenrestaurierung im Mittelrheintal geriet der spektakuläre Wiederaufbau der Burg Stolzenfels unweit des Ausstellungsortes. Unter Schinkels Leitung entstand eine neugotische Beschwörung der alten Ritterherrlichkeit. Überliefert ist der Ausruf des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der das wehrhafte Märchenschloss inmitten der malerischen Felsen und Schluchten zur Sommerresidenz erkor. Seine königliche Hoheit "war matt vor Seligkeit". Wer unter den heutigen Besuchern mag da noch kleingläubig Dichtung von Wahrheit trennen.