
Das Haus der Geschichte in Bonn öffnet nach umfassendem Umbau wieder seine Türen. Sechs Jahre lang wurde an der Neugestaltung gearbeitet, 14 Monate war das Museum dafür komplett geschlossen, rund 25 Millionen Euro flossen in die Erneuerung. Nun präsentiert sich die Dauerausstellung grundlegend überarbeitet - inhaltlich wie gestalterisch. Der Präsident der Stiftung, Harald Biermann, spricht von einer notwendigen Entscheidung: „Der Umbau und die Überarbeitung waren zwingend notwendig. Diese Unwucht wollten wir unbedingt beseitigen.“
Gemeint ist eine Schieflage der bisherigen Ausstellung, in der die Jahre 1945 bis 1949 fast genauso viel Platz einnahmen wie die 35 Jahre nach der Wiedervereinigung. Weil immer neue Ereignisse hinzukommen, brauchte es eine neue Balance, erzählt auch der Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt: „Wir zeigen weiterhin die Geschichte von 1945 bis heute. Aber seit der Eröffnung 1994 sind viele, viele Jahre vergangen - deshalb mussten wir eine ganz neue Taktung schaffen. Wir haben jetzt den Mauerfall auf die Hälfte des Rundgangs gesetzt.“
Interaktiver, moderner und zeitgenössischer
Diese neue Struktur umfasst nun fünf Zeitabschnitte, von der Nachkriegszeit bis in die unmittelbare Gegenwart, die jetzt sichtbar mehr Raum erhält. Biermann erklärt, dass das "Heute" in der überarbeiteten Ausstellung "sehr viel stärker" vertreten sei. In diesem Rahmen geht die Darstellung der deutschen Geschichte bis zu den „Auswirkungen des Ukrainekrieges auf die deutsche Gesellschaft“. Statt fast 7000 Objekten werden künftig rund 3850 Exponate gezeigt. Das Museum setzt zum Ausgleich verstärkt auf interaktive und multimediale Zugänge. Besucherinnen und Besucher können den Mauerfall in einem Kinosaal mit Surround Sound erleben, im Bundestag verschiedener Jahrzehnte digital mit abstimmen oder an einem Multimediapult alte Handymodelle wiederentdecken. Ein Highlight für Smidt ist eine Musikbar mit Touchscreens „mit original Vinyl, Plattenspielern und dem typischen Kratzgeräusch inklusive“, um sich die Hits der 1960er anzuhören.
Zu sehen sind weiterhin zentrale Zeitzeugnisse deutscher Nachkriegsgeschichte: ein selbst gebautes Fluchtflugzeug, eine Puppenwiege, ein Ford Transit, der das Leben einer Einwandererfamilie beleuchtet, und ein Baumhaus als Symbol für die Umweltproteste. Ein Großteil der früheren Ausstellungsstücke ist aussortiert. „Es hat weh getan“, sagt Smidt.
Demokratie und Geschichte erlebbar machen
Ein zentrales Anliegen der neuen Ausstellung ist es, Demokratie erfahrbar zu machen. Dafür hat das Haus der Geschichte eine Installation geschaffen, die den parlamentarischen Alltag nachbildet. Besucherinnen und Besucher können zum Beispiel im Originalgestühl des einstigen Bonner Bundestags Platz nehmen und selbst Entscheidungen treffen - unter realen Bedingungen begrenzter Mittel. Hier gehe es etwa darum, ob mehr Geld in Umweltschutz fließen soll oder in Verteidigung, ob Schulden schneller abgebaut werden oder neue Kindergärten Vorrang haben, so Stiftungspräsident Harald Biermann. „Wir wollen, dass die Menschen mitbekommen, wie schwer es ist, diese Prioritäten zu setzen, weil die Ziele für sich genommen alle legitim sind,“ sagt er.
Zugleich erinnert die Ausstellung an frühere Krisen des Parlamentarismus, etwa an die Spiegel-Affäre von 1962 oder die Proteste gegen die Nachrüstung im Jahr 1981. Dass die Demokratie solche Erschütterungen überstanden hat, versteht das Museum als ermutigendes Signal dafür, wie belastbar parlamentarische Strukturen sein können. „Das waren auch schon Krisen des Parlamentarismus und jedes Mal ist es gelungen, diese Krisen zu überwinden und darin liegt ja auch eine positive Botschaft“, sagt Biermann.
„Geschichte muss ab und an korrigiert werden“
Während das Haus der Geschichte stärker an die Gegenwart heranrückt, stellt sich aber auch eine grundsätzliche Frage: Wie nah darf historische Forschung der eigenen Zeit kommen? Zeitgeschichte ist per Definition beweglich, ihr fehlt der endgültige Abstand. Historiker Tim Schleinitz formuliert es so: „Ein bisschen Abstand wird definitiv nötig sein. Die Frage ist, wie viel.“ In Deutschland gelte traditionell eine Frist von rund 30 Jahren, bis Archive geöffnet werden. Doch Schleinitz, der einen Podcast des Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung moderiert, hält Forschung auch früher für möglich - vorausgesetzt, sie bleibt reflektiert.
Zeitgeschichte ist also nie abgeschlossen. Neue Quellen, neue Perspektiven und gesellschaftliche Debatten verändern Rückblicke stets aufs Neue. „Geschichte muss ab und an korrigiert werden,“ sagt Schleinitz. Wo früher vor allem Politikgeschichte im Mittelpunkt stand, treten heute stärker Alltagserfahrungen, Migration, Arbeiter- und Geschlechtergeschichte in den Vordergrund. „Je nachdem, mit welcher Position man auf Geschichte blickt, ergeben sich andere Fragen – und damit neue Erkenntnisse.“
Breites Publikum als Leitlinie
Im Einklang mit dieser Perspektive auf die sich ständig wandelnde Zeitgeschichte verfolgt das Haus der Geschichte das Ziel, eine breite und diverse Zielgruppe anzusprechen. Seit seiner Eröffnung setzt das Museum auf intensive Besucherforschung, um zu verstehen, wer die Besucher sind und wer nicht kommt. Professor Harald Biermann hebt hervor, dass das Haus der Geschichte zu den wenigen Museen gehört, die es geschafft haben, „die Mehrheit der Besucherinnen und Besucher aus nicht akademischen Kreisen zu gewinnen“.
Besonders wichtig ist dem Haus der Geschichte, Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. Der Ausstellungstitel „Du bist Teil der Geschichte“ soll deutlich machen, dass Migration zu Deutschland und zur deutschen Geschichte gehört und in der Ausstellung nicht am Rand, sondern sichtbar vertreten ist. Dafür wurden neue Zugänge geschaffen, die insbesondere Menschen der ersten bis dritten Generation ansprechen sollen. Dadurch möchte das Haus der Geschichte ein Ort sein, der verschiedene Perspektiven auf Geschichte abbildet und unterschiedliche Lebensrealitäten einbezieht.
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