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Hausbesuch per Modem

Medizin. - Der Allgemeinmediziner irgendwo im Urwald lässt sich bei einer komplizierten Operation von einem Facharzt in New York live über die ganze Zeit beraten, sie tauschen Bilder aus und der Kollege in den USA kann auch schon mal das Skalpell führen. So oder ähnlich sahen die Szenarien aus, die Anfang der 90er Jahre den Titel Telemedizin trugen. Die Telemedizin als Pforte in das Reich der unbegrenzten medizinischen Versorgung. Übertrieben und unrealistisch sagten schon damals viele der Projektbeteiligten. In einigen Feldern setzt sich die Vernetzung aber immer mehr durch.

Von Wolfgang Noelke | 03.08.2004
    Vor rund 15 Jahren: im Hannoverschen Nordstadtkrankenhaus herrscht Hochspannung. Auch die damalige Deutsche Bundespost scheut für diese erste medizinische Direktübertragung keinen Aufwand, denn die Bilder reisen um die halbe Welt: Bis nach Peking - und selbst dort spüren die Fernmeldetechniker der Bundespost und deren chinesische Kollegen das Lampenfieber:

    keiner hat sich gemeldet.... wir warten auf Deutschland.... Moment... Hören Sie uns in Deutschland...? ok... opportunity to demonstrate live-surgery via satellite. I’m very happy, that this is going to happen here in Hannover between our city and your city Peking. We have prepared three patients.

    Der heute zu den weltweit besten Neurochirurgen zählende Professor Majid Samii begrüßt seine chinesischen Kollegen in Peking und erklärt, was sie im Operationssaal gleich sehen werden: Vor der Operation zunächst Röntgenbilder, über die die Ärzte in Hannover und China diskutieren, nicht ohne vorher in einer höflichen Prozedur gegenseitig vorgestellt zu werden. Die Tonqualität ist aus heutiger Sicht ebenso mäßig, wie die ruckelnden Livebilder, die eher an die erste Mondlandung erinnerten als an gestochen scharfe Fernsehbilder. Projektteilnehmer Dr. Alfred Ohlemutz empfand das damals nicht als störend:

    Es wird in Zukunft sicher noch bessere Bilder geben. Ich war durchaus erstaunt, wie gut die Bilder gewesen sind und die Fragen die die chinesische Kollegen an uns gestellt hatte, waren durchaus zu beantworten. Wir konnten sehr deutlich auf den Computertomografien, die ja an sich schon beim Betrachten ein größeres Auflösungsvermögen erfordern, wir konnten diese Computertomografien einwandfrei identifizieren und begutachten und unsere Ratschläge eben dazu geben, und darin lag auch der Vorteil der heutigen Versuchschaltung.

    Eine durch Telemedizin ferngesteuerte Operationsmaschine hat man bis heute nicht versucht zu entwickeln - aber die bildgebenden Verfahren entwickelten sich weiter: Beispielsweise kleine Kliniken ohne eigenen Pathologen bilden heute videogestützte Netzwerke wie in Mecklenburg-Vorpommern, so Dr. Wolf Diemer, technischer Leiter der Universitätsklinik Greifswald:

    Im Operationssaal hat man eine Kamera. Dort stellt der Chirurg jetzt das Operationsfeld ein. Entfernt über die Kommunikationsverbindung kann der Pathologe jetzt das Operationsfeld mit betrachten. Der empfiehlt dem Chirurgen jetzt eine gewisse Lokalität der Probenentnahme. Die Probe wird entnommen. Diese Gewebeprobe wird jetzt auf ein Video-Makroskop aufgelegt, das ist ein Aufnahmegerät womit der entfernte Pathologe diese Probe betrachten kann und mit dem Chirurgen eine Strategie der Schnittführung vereinbart und basierend auf dieser Schnittführung werden jetzt Gewebeschnitte hergestellt. Die werden dann im dritten Schritt auf das Tele-Mikroskop aufgelegt und jetzt kann der Pathologe aus der Ferne heraus dieses Mikroskop steuern. Er kann fokussieren, kann die Position wechseln, den Ausschnitt wechseln und somit hat man hier in einem Eingriff, also intraoperativ die komplette Schnellschnitt-Diagnostik telepathologisch realisiert.

    Das ist bei den heutigen leistungsfähigen Internetverbindungen der Normalfall, aber so Dr. Björn Berg, Direktor für Informationstechnik des Uniklinikums Heidelberg: der Idealfall ist dies noch nicht:

    Ich würde mir vor allem wünschen, dass die Integration in den Kliniken in den normalen Netzwerken, in den normalen Arbeitsplätzen einfacher wird, dass also der Arzt quasi in der Lage ist von seinem Arbeitsplatz, egal wo immer der auch ist, im OP oder in der Station kurzfristig einen Partner anzuwählen, anzusprechen über diese Möglichkeiten - und den um eine zweite Meinung zu bitten, weil ich denke, dass dadurch die Qualität deutlich erhöht werden kann.

    Da inzwischen selbst Handys multimediale Daten schnell austauschen, ist man dem Ziel sehr nahe, an jedem Ort der Welt medizinischen Rat zu erhalten - mit den entsprechenden Messgeräten selbst in Flugzeugen so Professor Dr. Robert Gerzer, Direktor der Luft- und Raumfahrtmedizin beim DLR:

    In einem möglichen Notfall geht es immer darum: ist die Sauerstoffversorgung durch das Herz noch in Ordnung? Ist dann möglicherweise ein Infarkt im Spiel? Kann man da Anzeichen erkennen? Und dann geht es vielleicht noch um den Blutdruck und um die Temperatur und solche Sachen.

    Über Satellit und Internet sendet man die im Flugzeug gemessenen Daten an medizinische Notfalldienste und von dort an die Computer der zugeschalteten Spezialisten:

    Da kommt jetzt gerade der Alarm! Den bestätige ich jetzt einmal...So, wir werden jetzt hier oben aus den Flieger LH 418 medizinische Daten senden und bitten dann im Chat um eine Antwort, auch ob die Daten in der geforderten, oder erwarteten Qualität bei euch unten eingetroffen sind.