Beginnen wir mit den Lindsays, die allenthalben so hochgelobt werden, dass sie sich wohl schon zu sehr daran gewöhnt haben. Erneut haben sie sich bei ASV Koch Classics mit Haydn auseinandergesetzt, diesmal mit den Streichquartetten op. 76,4 - 6. Die Begeisterung, die dieses Ensemble in der letzten Zeit immer wieder ausgelöst hat, rührt von der äußerst lebendigen Diktion her, die sie pflegen. Sie spielen einen leicht daherkommenden und zugleich sehr vitalen Haydn. Aber dann hört man in den Anfang des Streichquartetts B-dur op. 76,4 hinein, das den schönen Beinamen "Sonnenaufgang" trägt, und fragt sich, ob wir nördlich der Alpen schon so der Sonne entwöhnt sind, dass man einen Sonnenaufgang mit so schlampiger Intonation hinnehmen muss. * Musikbeispiel: Josef Haydn - 1. Satz aus: Streichquartett B-dur op. 76,4 "The Lindsays" mit dem ersten Satz aus Haydns Streichquartett op. 76,4 B-dur - "Sonnenaufgang". Mit Verlaub: Primarius Peter Cropper und sein Geigenpartner Ronald Birks schießen da gelegentlich Töne - vor allem Durchgangstöne - in den Morgenhimmel, die ihr Ziel ganz knapp, aber so schmerzhaft verfehlen, dass sich die Mikrofonkabel gebogen haben müssen. Offensichtlich ist dies niemandem aufgefallen, zumal die Lindsays den nächsten, den langsamen Satz, ja auch richtig schön spielen. Das nachfolgende Menuett ist an einigen Stellen auch nur so ungefähr, dafür biegen sich im anschließenden Finale nicht nur die Kabel, sondern bisweilen schon die Zehnägel. Irgendwann ist dann die Toleranzgrenze überschritten; man legt die CD beiseite und grübelt über den tieferen Sinn des Wortes "üben". Ein kleines Wort noch zum Booklet: Der Essay von Robin Golding enthält wirklich eine Menge Gescheites und Lesenswertes zu Haydns Quartetten. Dann stößt man in der deutschen Übersetzung auf ein wahrhaft jungfräuliches Wort. Das Scherzo eines der Quartette sei, so heißt es, "virgorös". Wie bitte? Des Rätsels Lösung lautet wie vermutet. Da hat jemand das englische "vigorous - heftig" einfach nicht übersetzt, stattdessen ein neues, nicht existierendes deutsches Wort erfunden, weil's ja auch im Französischen "vigoureux" heißt, und auch der zuständige Lektor hat bei Sonnenaufgang wohl noch geschlafen.
Archiv
HAYDN - String Quartets op.76
Herzlich willkommen zu neuen Aufnahmen aus dem Bereich der Kammermusik. Zu Beginn möchte ich Sie allerdings auf eine Programmänderung aufmerksam machen, die ab 1. Oktober auch diese Sendung betreffen wird. Von diesem Datum an wird der Sonntagvormittag im Deutschlandfunk anders und, wie wir glauben, noch näher an der Zeit gestaltet werden. Auf Sie wartet vor allem ein zusätzliches Angebot an Information. Die Sendung "Die neue Platte" wird dann jeweils um 10 Minuten nach 9 beginnen. Die fünf Minuten davor gehören ab 1. Oktober unserer Sendung "Wir erinnern", die es dann auch am Sonntag gibt. Und was "Die neue Platte" angeht, so halten wir uns einfach an einen Begriff aus der Computerwelt: Datenkompression ohne Informationsverlust.
Heute möchte ich Sie über zwei sehr gegensätzliche neue CDs informieren. Die eine wurde von dem Streichquartett "The Lindsays" eingespielt und ist bei ASV im Vertrieb von Koch Classics erschienen. Auf der anderen, einer EMI-Produktion, präsentiert das Bläserensemble Sabine Meyer Werke in Oktett- und Nonettbesetzung, die explizit für diese Ausnahmeformation geschrieben wurden, also beinahe noch druckfrisch sind.
Beginnen wir mit den Lindsays, die allenthalben so hochgelobt werden, dass sie sich wohl schon zu sehr daran gewöhnt haben. Erneut haben sie sich bei ASV Koch Classics mit Haydn auseinandergesetzt, diesmal mit den Streichquartetten op. 76,4 - 6. Die Begeisterung, die dieses Ensemble in der letzten Zeit immer wieder ausgelöst hat, rührt von der äußerst lebendigen Diktion her, die sie pflegen. Sie spielen einen leicht daherkommenden und zugleich sehr vitalen Haydn. Aber dann hört man in den Anfang des Streichquartetts B-dur op. 76,4 hinein, das den schönen Beinamen "Sonnenaufgang" trägt, und fragt sich, ob wir nördlich der Alpen schon so der Sonne entwöhnt sind, dass man einen Sonnenaufgang mit so schlampiger Intonation hinnehmen muss. * Musikbeispiel: Josef Haydn - 1. Satz aus: Streichquartett B-dur op. 76,4 "The Lindsays" mit dem ersten Satz aus Haydns Streichquartett op. 76,4 B-dur - "Sonnenaufgang". Mit Verlaub: Primarius Peter Cropper und sein Geigenpartner Ronald Birks schießen da gelegentlich Töne - vor allem Durchgangstöne - in den Morgenhimmel, die ihr Ziel ganz knapp, aber so schmerzhaft verfehlen, dass sich die Mikrofonkabel gebogen haben müssen. Offensichtlich ist dies niemandem aufgefallen, zumal die Lindsays den nächsten, den langsamen Satz, ja auch richtig schön spielen. Das nachfolgende Menuett ist an einigen Stellen auch nur so ungefähr, dafür biegen sich im anschließenden Finale nicht nur die Kabel, sondern bisweilen schon die Zehnägel. Irgendwann ist dann die Toleranzgrenze überschritten; man legt die CD beiseite und grübelt über den tieferen Sinn des Wortes "üben". Ein kleines Wort noch zum Booklet: Der Essay von Robin Golding enthält wirklich eine Menge Gescheites und Lesenswertes zu Haydns Quartetten. Dann stößt man in der deutschen Übersetzung auf ein wahrhaft jungfräuliches Wort. Das Scherzo eines der Quartette sei, so heißt es, "virgorös". Wie bitte? Des Rätsels Lösung lautet wie vermutet. Da hat jemand das englische "vigorous - heftig" einfach nicht übersetzt, stattdessen ein neues, nicht existierendes deutsches Wort erfunden, weil's ja auch im Französischen "vigoureux" heißt, und auch der zuständige Lektor hat bei Sonnenaufgang wohl noch geschlafen.
Beginnen wir mit den Lindsays, die allenthalben so hochgelobt werden, dass sie sich wohl schon zu sehr daran gewöhnt haben. Erneut haben sie sich bei ASV Koch Classics mit Haydn auseinandergesetzt, diesmal mit den Streichquartetten op. 76,4 - 6. Die Begeisterung, die dieses Ensemble in der letzten Zeit immer wieder ausgelöst hat, rührt von der äußerst lebendigen Diktion her, die sie pflegen. Sie spielen einen leicht daherkommenden und zugleich sehr vitalen Haydn. Aber dann hört man in den Anfang des Streichquartetts B-dur op. 76,4 hinein, das den schönen Beinamen "Sonnenaufgang" trägt, und fragt sich, ob wir nördlich der Alpen schon so der Sonne entwöhnt sind, dass man einen Sonnenaufgang mit so schlampiger Intonation hinnehmen muss. * Musikbeispiel: Josef Haydn - 1. Satz aus: Streichquartett B-dur op. 76,4 "The Lindsays" mit dem ersten Satz aus Haydns Streichquartett op. 76,4 B-dur - "Sonnenaufgang". Mit Verlaub: Primarius Peter Cropper und sein Geigenpartner Ronald Birks schießen da gelegentlich Töne - vor allem Durchgangstöne - in den Morgenhimmel, die ihr Ziel ganz knapp, aber so schmerzhaft verfehlen, dass sich die Mikrofonkabel gebogen haben müssen. Offensichtlich ist dies niemandem aufgefallen, zumal die Lindsays den nächsten, den langsamen Satz, ja auch richtig schön spielen. Das nachfolgende Menuett ist an einigen Stellen auch nur so ungefähr, dafür biegen sich im anschließenden Finale nicht nur die Kabel, sondern bisweilen schon die Zehnägel. Irgendwann ist dann die Toleranzgrenze überschritten; man legt die CD beiseite und grübelt über den tieferen Sinn des Wortes "üben". Ein kleines Wort noch zum Booklet: Der Essay von Robin Golding enthält wirklich eine Menge Gescheites und Lesenswertes zu Haydns Quartetten. Dann stößt man in der deutschen Übersetzung auf ein wahrhaft jungfräuliches Wort. Das Scherzo eines der Quartette sei, so heißt es, "virgorös". Wie bitte? Des Rätsels Lösung lautet wie vermutet. Da hat jemand das englische "vigorous - heftig" einfach nicht übersetzt, stattdessen ein neues, nicht existierendes deutsches Wort erfunden, weil's ja auch im Französischen "vigoureux" heißt, und auch der zuständige Lektor hat bei Sonnenaufgang wohl noch geschlafen.