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Hehres Ziel, steiniger Weg

Politik. - Um 85 Prozent will die EU-Kommission den CO2-Ausstoß der Staatengemeinschaft bis 2050 reduzieren. Ein stark auf Strom aus erneuerbaren Quellen setzender Energiemix soll es möglich machen - und möglicherweise auch eine bedeutende Rolle für die Kernenergie. Der Wissenschaftsjournalist Sönke Gäthke berichtet über das heute vorgestellte Diskussionspapier im Gespräch mit Monika Seynsche.

Sönke Gäthke im Gespräch mit Monika Seynsche |
    Seynsche: Herr Gäthke, es hat in den vergangenen Tagen immer schon wieder Gerüchte gegeben, die EU setze in diesem Papier weiter auf Atomkraft und sehe 40 neue Atommeiler vor. Was ist dran an diesen Gerüchten?

    Gäthke: Also direkt steht das erst einmal nicht da drin. Das gäbe diese Roadmap auch gar nicht her. Die ist erst einmal nur ein Diskussionspapier, was auf fünf verschiedenen Modellen, fünf verschiedene Szenarien, beruht, die man durchgerechnet hat. Und aus den Ergebnissen dieser Berechnungen hat man eine Reihe von Forderungen abgeleitet. Und über die soll dann in den kommenden zwei Jahren in der EU, in der gesamten EU, diskutiert werden. Und ab 2013 hofft die Kommission dann, auf Grundlage dieses Papiers ein konkretes Ziel entwickeln zu können für den Aufbau der erneuerbaren Energien im Jahr 2030.

    Seynsche: Woher kommt dann diese Aufregung mit den 40 Meilern?

    Gäthke: Ja, das sind die Feinheiten dann. Zum einen fällt auf, dass – egal welches Szenario durchgerechnet wird – Atomenergie immer eine gewisse, zum Teil auch sehr wichtige Rolle spielen wird. Zum zweiten, wenn man sich diese Szenarien selber einmal anschaut, die Annahmen dieser Szenarien, die Zahlen, die diesen Szenarien zu Grunde liegen, da fällt nämlich auf – das sind Tabellen auf über 200 Seiten – dass die EU Kommission zum einen sich gut vorstellen kann, dass man auch den Bau neuer Atomkraftwerke wieder mit Subventionen finanziert, was bislang ein Tabu ist. Die einzigen Atomkraftwerke, die neu gebaut werden, sollen eigentlich ohne Subventionen gebaut werden. Und das zweite, was auffällt, sind Zahlen, die darauf schließen lassen, dass man von einer ganzen Reihe von neuen Atomkraftwerken ausgeht. Zum Beispiel in diesen Szenarien nimmt man an, dass die Strommenge, die Atomkraftwerke erzeugen in Europa, nach 2025 wieder ansteigt. Und auch, dass die installierte Leistung der Atomkraftwerke wieder ansteigt. Und je nachdem wie man dann rechnet, hätte man dann sechs bis 20 Atomkraftwerke mehr als wir heute haben.

    Seynsche: Ist das denn realistisch, dass man so viele Atomkraftwerke noch baut?

    Gäthke: Ich glaube nicht, dass das realistisch ist, denn wir werden in den nächsten Jahren eine Reihe von Atomkraftwerken haben, die vom Netz gehen. Die müsste man auch erst einmal alle ersetzen. Es werden derzeit wirklich nur zwei neue Atomkraftwerke gebaut, die man im Jahr 2000/2005 angefangen hat zu bauen. Es dauert sehr lange, diese Atomkraftwerke zu bauen, sie werden sehr teuer. Und wenn man sich jetzt vorstellt, dass man womöglich 20 Atomkraftwerke neu bauen müsste - sehe ich nicht.

    Seynsche: Was sagt denn das Papier zu den erneuerbaren Energien?

    Gäthke: Nun, egal wierum es läuft, die EU-Kommission geht davon aus, dass wir einen sehr, sehr starken Anstieg der erneuerbaren Energien haben werden. Der Löwenanteil davon wird von der Windenergie getragen werden. Dafür, geht die EU-Kommission aus, werden wir ganz massiv das Stromnetz ausbauen müssen. Allerdings passen in den Szenarien die ausgebauten Windenergiemengen und die ausgebauten Atomenergiemengen nichts zusammen, weil die beiden sich nicht wirklich vertragen. Die eine Energie schmeißt die andere letztendlich immer irgendwie raus. Das geht gar nicht so genau, wie das in diesen Szenarien durchgerechnet worden ist. Ferner geht die EU davon aus, dass die carbon capture and storage, dieses CCS, das Sie dieses CO2 abscheiden und dann irgendwo hinstecken müssen, dass die massiv kommen muss. Nicht nur für Kohle, sondern auch für Gaskraftwerke, ab etwa 2030/2035. Nun ist das eine Technik, die gerade in Deutschland per Gesetz eben nicht mehr ausprobiert werden kann. Und das letzte ist, die EU setzt ganz massiv auf Biotreibstoffe der zweiten und dritten Generation. Also eben nicht auf Mais, was man von den Feldern holt, sondern auf Biotreibstoff aus Abfallstoffen, mit denen dann Flugzeuge, LKWs, Schiffe betrieben werden sollen. Ob die das aber überhaupt in der Menge machen können, ist auch noch unklar.

    Seynsche: Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Fragen bei dieser Energie-Roadmap, oder?

    Gäthke: Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, das ist richtig. Aber es soll ja auch eine Diskussionsgrundlage erst einmal sein. Und die Basis, die angenommen wird, die ist richtig. Denn wenn man wirklich die 85 Prozent CO2-Reduktion bekommen will, im Jahr 2050, dann wird man nicht umhin kommen, ganz massiv auf Strom zu setzen. Denn Strom kann man erzeugen aus Wind, aus Solar, und das ist tatsächlich dann CO2-frei. Die Frage ist, ob das mit den Szenarien, die die EU angenommen hat, stimmt. Ob man tatsächlich so, wie Oettinger sagt, mehrere auswählen kann, oder ob es nicht letztendlich doch nur eins ist, was passt.