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Heil: Union blockiert wichtige Vorhaben

Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, hat der Union vorgeworfen, innerhalb der Großen Koalition wichtige Vorhaben zu blockieren. Bei der Reform der Pflegeversicherung und der Erbschaftssteuer halte sich die Union nicht an die getroffenen Vereinbarungen, sagte Heil.

Moderation: Frank Capellan |
    Frank Capellan: Hubertus Heil, noch anderthalb Jahre bis zur Bundestagswahl. Im Moment haben viele Bürger nicht gerade den Eindruck, dass munter regiert wird in Berlin. Was geht nach diesem polarisierenden Wahlkampf in Hessen noch in der Großen Koalition?

    Hubertus Heil: Es wird nach wie vor regiert. Es ist auch so, dass Gesetze im Deutschen Bundestag beschlossen werden. Aber richtig ist: Wir müssen jetzt in den nächsten Wochen - vor allen Dingen nach der Wahl in Hamburg - als Koalition Gas geben und die Blockaden, die jetzt über den Wahlkampf, vor allen Dingen durch die Kampagne auch von Herrn Koch entstanden sind, auflösen. Das betrifft Themen wie Mindestlohn, da müssen wir vorankommen, da darf es keine Verzögerung geben, da gibt es konkrete Vereinbarungen in der Koalition. Es betrifft die notwendigen Verbesserungen im Bereich der Pflege, es betrifft die Erbschaftssteuerrreform, es betrifft auch den Ausbau von Kinderkrippen und nicht zuletzt das, was Klimaschutz anbelangt, was in der Koalition vereinbart ist. Wir haben also nicht so sehr ein Defizit, uns neue Projekte in der Koalition auszudenken, sondern wir müssen jetzt hart arbeiten. Und Wahlkampf auf Bundesebene ist erst wieder 2009. Daran muss man vor allen Dingen Unions-Ministerpräsidenten erinnern, die ständig blockieren.

    Capellan: Nun wird gerade der SPD am Beispiel "Krippenplätze" vorgeworfen, zu blockieren, weil das SPD-geführte Finanz- und das Arbeitsministerium nun die Finanzierung der Krippenplätze – den Gesetzentwurf – stoppt. Warum tun sie das?

    Heil: Nein, das entspricht nicht den Tatsachen. Wir sind bereit und in der Lage, weil es ja unsere Forderung ist, das, was in der Koalition vereinbart ist, unverzüglich durchzusetzen. Heute höre ich, dass die CSU sagt, man könne sich ordentlich Zeit lassen. Das ist nicht in Ordnung. Es geht um den Rechtsanspruch um gute Betreuung für jedes Kind in Deutschland, um den Krippenausbau. Die Kommunen sind darauf angewiesen, aber vor allem natürlich die Eltern und nicht zuletzt die Kinder, dass wir die frühe individuelle Förderung in den Mittelpunkt stellen, wie das vereinbart ist. Die CSU, die sich aus ideologischen Gründen damit nach wie vor schwer tut und versucht, das mit dieser Forderung nach dem Betreuungsgeld tatsächlich ideologisch zu überfrachten . . .

    Capellan: . . . aber da haben Sie sich doch drauf eingelassen . . .

    Heil: . . . nein . . .

    Capellan: . . . dass es dieses Junktim gibt zwischen der Krippenfinanzierung und dem gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz und dem Betreuungsgeld für all jene , die ihre Kinder eben nicht in eine solche Einrichtung geben?

    Heil: Nein, das entspricht nicht den Tatsachen. Aber ich bin dankbar für die Gelegenheit, das zu erläutern. Wir haben im Koalitionsausschuss vereinbart, und zwar fest vereinbart, den Rechtsanspruch auf gute Betreuung, die Finanzierung durch den Bund, was Investitionen und laufende Kosten betrifft, bis zum Jahre 2013 umzusetzen. Was das Betreuungsgeld anbetrifft, hat man lediglich vereinbart, das bis 2013 zu prüfen. Das war eher gesichtswahrend für die konservativen Männer in der CSU, aber es ist keine Vereinbarung, auch keine Finanzierungsvereinbarung. Jetzt versuchen einige in der Union, die nach wie vor sich mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der frühen individuellen Förderung von Kindern schwer tun, das psychologisch draufzupacken, um ihrer – ich sage mal – altmodischen Klientel da gerecht zu werden…

    Capellan: . . . also, Sie erwarten nun von Frau von der Leyen, dass dieser Passus "Betreuungsgeld" völlig rauskommt aus dem Gesetzentwurf?

    Heil: Nein, der kann - wie in der Koalition besprochen - auch in der Begründung auftauchen als Prüfauftrag, das ist gar keine Frage. Aber Frau von der Leyen hat die Aufgabe als federführende Ministerin, den Gesetzentwurf so abzustimmen, dass er auch beschlussfähig im Kabinett ist.

    Capellan: Also, sie soll sich durchsetzen in den eigenen Reihen?

    Heil: Sie soll vor allen Dingen aufhören, das Spielchen zu spielen, um sich zu profilieren. Das wird keiner am Ende verstehen, die Eltern wollen ein vernünftiges Angebot. Es ist wichtig, dass man Familien fördert, unabhängig von der persönlichen Entscheidung. Wir wollen wirkliche Wahlfreiheit und keinem etwas vorschreiben. Die Wahlfreiheit, was Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbelangt, scheitert im Wesentlichen an dem mangelnden Angebot. Und ich frage Konservative auch schon mal – das mit dem Betreuungsgeld klingt ja erst mal gut – nach dem Motto: Es kriegen alle was. Aber warum es eine gute Idee sein soll, einer schlecht integrierten ausländischen Familie in Berlin-Kreuzberg eine Prämie dafür zu zahlen, damit sie ihr Kind nicht in die Krippe tut, wo das Kind möglicherweise die Möglichkeit hätte, auch vor der Schule die deutsche Sprache zu lernen, das kann mir auch kein Konservativer so richtig erklären. Das ist eher etwas, was eine virtuelle Debatte ist, weil die Koalition gesagt hat: Okay, der Gesichtswahrung der CSU wegen prüfen wir das mal mit dem Betreuungsgeld. Aber der Mittelpunkt – das ist das Wichtigste – ist der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen.

    Capellan: Es ist auch eine ideologische Debatte?

    Heil: Nicht von unserer Seite, sondern es ist eine Frage von Fehlsteuerung und von Schwerpunkten.

    Capellan: Aber Sie wollen zum Beispiel auch die Kinderfreibeträge kürzen . . .

    Heil: ... nein ...

    Capellan: ... das ist in der Diskussion.

    Heil: Nein, das entspricht nicht den Tatsachen. Es ist ja in unserer schnelllebigen, von Nachrichtenagenturen geprägten Gesellschaft oft so, dass da unfertige Überlegungen an die Öffentlichkeit kommen und als Tatsachen dargestellt werden.

    Capellan: Also es gab diese Idee mal, aber die ist vom Tisch?

    Heil: Nein, wir haben eine andere Situation. Wir haben in diesem Jahr im Herbst einen sogenannten "Existenzminimumsbericht", und danach wird es Konsequenzen geben. Das betrifft die Frage: Was kann man tun, um Familien besser zu fördern? Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Kinderfreibeträge anzuheben oder das Kindergeld zu erhöhen oder zu sagen, wir machen etwas für die direkte Förderung von Kindern. Ich fände es beispielsweise ganz sinnvoll, mal zu diskutieren, ob wir es schaffen, dass wir die Ganztagsschulen weiter ausbauen, jedes Kind auch ein warmes Mittagessen bekommt, dass wir Lernmittelfreiheit wieder brauchen. Tatsache ist, das ist gar keine Frage, dass Menschen, die ganz wenig Geld haben, nichts von Kinderfreibeträgen haben – weil die keine Steuern zahlen, dank rot-grüner Steuerpolitik übrigens. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt und das Existenzminimum angehoben. Die zahlen keinen Cent Steuern, deshalb können Sie über eine Anhebung von Kinderfreibeträgen die nicht entlasten. Wir haben als SPD dreimal hintereinander das Kindergeld erhöht, und es soll auch nicht gekürzt werden. Das war richtig. Aber man muss politisch schon mal fragen, ob das nicht ein bisschen auch was mit der Gießkanne ist, es kriegen nämlich reiche Leute genau so viel wie die Edeka-Verkäuferin. Und die Frage ist: Wie kriegen wir es hin, dass das, was notwendig ist, direkt bei den Kindern ankommt und den Kindern wirklich hilft.

    Capellan: Weil Sie das Kindergeld gerade angesprochen haben: Da gab es auch immer wieder die Diskussion, ob man nicht ein einkommensabhängiges Kindergeld machen kann. Da würden Sie aber nach wie vor sagen: Aus verfassungsrechtlichen Gründen unmöglich?

    Heil: Das würde ich nicht so festlegend sagen. Auch eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann sich durchaus fortentwickeln. Ich bin Politikwissenschaftler, kein Jurist, ich habe eine Juristin geheiratet. Aber ich finde schon, dass man sich das sauber nochmal angucken muss, ob diese Rechtsprechung noch den Tatsachen entspricht. Wir schlagen drei von konkreten Instrumenten jetzt schon vor. Das entspricht der Erhöhung des Kinderzuschlages, den wir eingeführt haben . . .

    Capellan: ... der wird kommen? ...

    Heil: ... der wird kommen, das ist vereinbart in der Koalition. Wir haben hinzu vorgeschlagen, das Wohngeld zu erhöhen für bedürftige Familien. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt bei gestiegenen Energiepreisen ...

    Capellan: ... der Finanzminister hat nun grünes Licht dafür gegeben?

    Heil: ... wir sind jetzt in der Situation, dass alle Fachministerien, die zuständig sind, sagen: "Okay, wir kriegen das hin!" Und wenn entschieden ist, muss es gelten. Und wir haben jetzt viele Bereiche, wo die Grundsatzentscheidungen in der Koalition getroffen sind, aber wo im Nachhinein einzelne in der Union – das ist vor allen Dingen bei der Pflege der Fall, das ist bei Erbschaftssteuer der Fall, das ist jetzt beim Krippenausbau der Fall – aus der Union immer mehr Sand ins Getriebe kommt. Und ich habe einen Verdacht, woran das liegt.

    Capellan: Woran?

    Heil: Das liegt glaube ich daran, dass in der Union einfach der inhaltliche Kompass fehlt. Es gibt alle möglichen Strömungen, die da auch untereinander sich kabbeln – ob nun eine wirtschaftsradikale Ausrichtung a la Friedrich Merz die Zukunft der Union ist, ob es – ich sage mal – getarnte soziale Schauspielerei a la Rüttgers ist oder ob es diese alte konservative Koch-Schule ist. Das sind drei Strömungen, die eigentlich nicht so unter einen Hut passen. Das kann man als Volkspartei ein paar Jahre aushalten, aber wenn man regiert und Dinge nicht geklärt hat, dann holt einen das in der Realität ein. Ich sage das ohne Häme, weil meine Partei, die SPD, das auch schon mal erlebt hat . . .

    Capellan: ... wir kommen auch gleich noch auf die Richtungsdebatte der SPD zu sprechen, die gibt’s bei Ihnen auch ...

    Heil: ... aber wir haben es geklärt, das ist der Unterschied.

    Capellan: Da wollen wir gleich drüber reden. Aber vielleicht noch die Frage zum gesetzlichen Mindestlohn. Das ist ja auch ein Themenfeld, wo man sagen muss: Eine solche Koalition, insbesondere eine Große Koalition, lebt vom Kompromiss. Ist Olaf Scholz, der Arbeitsminister der SPD, ist der kompromissbereit? Er hat ja doch sehr rigorose Gesetzentwürfe vorgelegt.

    Heil: Er ist lösungsorientiert. Das ist der Begriff, den wir da brauchen. Worum geht es? Erstens, wir wollen Vorrang für tarifvertragliche Lösungen. Da, wo Arbeitgeber und Gewerkschaften das miteinander hinbekommen, soll es die Möglichkeit über das sogenannte "Entsendegesetz" geben, diese Tarife auch allgemeinverbindlich für eine Branche zu erklären. Dafür muss man ein Gesetz ändern, nämlich das so genannte Entsendegesetz, um allen Branchen, die das wollen, das zu ermöglichen. Zweitens über ein Gesetz aus dem Jahre 1952, das so genannte Mindestarbeitsbedingungsgesetz aus der Zeit von Ludwig Erhard, es auch für Bereiche, wenn Tarifverträge nicht mehr so richtig zustande kommen, ermöglichen, zu Mindestlöhnen zu kommen ...

    Capellan: ... über eine unabhängige Kommission, orientiert am britischen Beispiel? ...

    Heil: ... ja, das ist die Idee dieser Low-Pay-Commission, wie es in Großbritannien heißt...

    Capellan: ... nur würde das nicht dann im Endeffekt in der Konsequenz zu einem flächendeckenden Mindestlohn führen, den die Union ja nun per se ablehnt?

    Heil: Es ist wichtig, dass wir erstens den Menschen helfen. Wer Vollzeit arbeitet, soll von seiner Arbeit leben können. Und warum sollte man da "weiße Flecken" lassen? Mit welcher Begründung will eigentlich die Union einigen Arbeitnehmern in einzelnen Branchen einen Mindestlohn zugestehen, aber ...

    Capellan: ... aber das wäre dann der gesetzliche Mindestlohn überall in Deutschland?

    Heil: ... das ist unser Ziel, es ist gar keine Frage. Es ist ein bisschen kompliziert geworden durch die Blockaden der Union, da sind wir gesprächsbereit.

    Capellan: ... aber wo bleibt da die Kompromissbereitschaft der SPD?

    Heil: ... nein, was heißt Kompromissbereitschaft? Wir haben ja eine Vereinbarung in der Koalition, genau das zu machen, was ich eben gesagt habe. Das Entsendegesetz ...

    Capellan: ... gut, das Entsendegesetz ...

    Heil: ... und das Mindestarbeitsbedingungsgesetz.

    Capellan: Das sieht die Union aber anders.

    Heil: Nein, das ist ja protokolliert, in Meseberg vereinbart, auch eine Woche davor hat die Kanzlerin zugestimmt, als Franz Müntefering diesen Vorschlag gemacht hat.

    Capellan: Aber die Kanzlerin hat gerade wieder gesagt: Diese Entwürfe von Olaf Scholz – "So nicht!" Also, wie soll’s weitergehen?

    Heil: Nun, da kann ich die Union nur vor einem erneuten Versuch eines Wortbruchs warnen. Wir haben ja das gleiche Gezicke erlebt, als es um den Postmindestlohn ging. Ich sage ganz deutlich: Der Mindestlohn wird kommen …

    Capellan: ... vor 2009?

    Heil: Ja, wir werden Schritt für Schritt vorankommen. Es wird nicht mit einem Wurf gehen, weil die Union, wie gesagt, da ungeklärt ist, aber . . .

    Capellan: ... das klingt doch sehr nach Wahlkampf. Sie haben gerade erst gesagt, wir dürfen nicht bis 2009 Wahlkampf führen. Also, man muss doch da Kompromisse noch finden?

    Heil: Nein, Mindestlohn ist für uns kein Wahlkampfthema an sich, sondern es ist eins, wo wir unserer Herzensanliegen haben, wo es um ein Problem geht, was gelöst wird. Und es wird noch verschärft zum 1. Januar 2009, dann kommt die Europäische Dienstleistungsrichtlinie. Die Europäische Union hat uns ins Stammbuch geschrieben: Gegen Lohndumping müsst Ihr was im eigenen Land, in Deutschland, tun. Und ich sage nochmal: 22 europäische Staaten haben Mindestlohn, und dass das zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt, ist ein altes Märchen.

    Capellan: Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck sagt: Die Union ist 2009 der Hauptgegner der Sozialdemokraten. Also schließt sich die Frage an: Muss man deshalb jetzt schon mal anfangen, das Gegensätzliche zu betonen? Wenn Peter Struck sagt in Richtung der Union: "Die kann mich mal!" – trägt das wirklich dazu bei, dass man in Berlin vernünftig noch wird eineinhalb Jahre zusammen regieren können?

    Heil: Also, zu Ihrer ersten Frage. Es gibt einen Vorrang in Gemeinsamkeiten, und das ist das, was miteinander vereinbart ist. Das muss man umsetzen. Und dass die Menschen 2009 das Recht haben, eine Auswahl zu haben auch zwischen den großen Volksparteien, dass die unterscheidbar sind, das gehört zur Demokratie, das wird auch in den Regierungsprogrammen dann erkennbar, welchen Weg das Land darüber hinaus geht über 2009. Aber bis dahin sage ich nochmal: Wir Sozialdemokraten wollen regieren, wir wissen, dass das ohnehin dünne Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit demokratischer Politik Schaden nähme, wenn wir jetzt in einen vorgezogenen Bundestagswahlkampf laufen. Es muss zur Klärung und zu Entscheidungen kommen.

    Capellan: Kann eine vernünftige Zusammenarbeit der Großen Koalition in Berlin funktionieren, wenn man sich in Wiesbaden, in Hessen, weiterhin anfeindet? Kurt Beck meint, eine Große Koalition ist eigentlich undenkbar zwischen Roland Koch und Andrea Ypsilanti.

    Heil: Also, zumindestens nach dem Wahlkampf, den Herr Koch da gemacht hat, der ja tatsächlich das Klima in diesem Land nachhaltig vergiftet hat. Insofern, wenn es andere Mehrheiten gibt in Hessen, jenseits von CDU und Linkspartei, und die gibt es ja im Parlament, dann sollte man ausloten, was da möglich ist.

    Capellan: Aber wenn alle Wort halten in Hessen, dann wird es keine Regierung geben können.

    Heil: Wie gesagt, dazu braucht man jetzt ein bisschen Zeit, auch nach so einem Wahlkampf miteinander zu sprechen. Ich glaube, dass das nach der Hamburg-Wahl eine andere Situation ist, dass sich vorher nichts bewegen wird. Aber die ist ja bald.

    Capellan: Also, eine Große Koalition in Wiesbaden ohne Koch wäre denkbar?

    Heil: Nein, ich halte im Moment überhaupt nichts davon, darüber zu spekulieren. Ich halte es eher für unwahrscheinlich, und das ist auch nicht der Wählerwille in Hessen. Die CDU ist ja abgewählt worden. Wenn die nachher als Wahlverlierer – minus zwölf Prozent – sich wieder in der Regierung finden, glaube ich, wäre das nicht im Interesse der Menschen ...

    Capellan: ... aber sie ist die stärkste Fraktion geblieben, die gleiche Situation wie nach der Bundestagswahl ...

    Heil: ... den Regierungsauftrag hat man, wenn man Mehrheiten im Parlament zustande bringt. Das ist so. Dieses ganze Gerede von wegen 0,1 Prozent mehr, damit hätte man Regierungsauftrag, entspricht ja nicht den Tatsachen. Ich erinnere daran, dass 1976 Helmut Kohl mal 48 Prozent bei der Bundestagswahl hatte, nicht Bundeskanzler wurde, weil er keine Koalitionsmöglichkeiten hatte. Und ich sehe für die CDU da keine Möglichkeiten. Es kann sein, dass Herr Koch noch einige Wochen, bis Anfang April oder darüber hinaus, geschäftsführend im Amt bleibt, aber das, was im Parlament an Mehrheiten notwendig ist, um Gesetze zu machen, das hat er nicht zur Verfügung. Die Ministerpräsidentin wird Andrea Ypsilanti heißen, dessen bin ich mir sicher.

    Capellan: Mit einer linken Mehrheit wäre es kein Problem.

    Heil: Ja, aber ich sage noch einmal ganz deutlich: Die Linkspartei in Hessen, übrigens auch in Hamburg, ist ja eine, über die man sich bei der Bundesebene der Linkspartei ja fast schämt. Es ist ein bunt zusammengeführter Haufen, der nicht regieren will und auch nicht regieren kann.

    Capellan: Aber eine demokratische Partei ist sie schon?

    Heil: Ich bin nicht der Meinung, dass man sie in so eine Märtyrerrolle drücken muss. Ich bin sogar der festen Überzeugung: Wenn Herr Koch nicht zum Schluss so eine alte "Rote-Socken-Kampagne" gemacht hätte, dann hätte er es vermieden, die Linkspartei, die ja nur 0,1 Prozent über der Fünf-Prozent-Hürde war, ins Parlament zu quatschen. Wir wissen aus einer Befragung von Linkspartei-Wählern – einer seriösen –, dass 80 Prozent sagen: Ich glaube nicht, dass diese Linkspartei ein Problem löst, aber ich will’s den anderen mal zeigen! Und deshalb muss man denen dieses Image von Protestpartei wegnehmen, und wir werden als SPD eine anständige sachliche Auseinandersetzung mit dieser konkurrierenden Partei suchen. Es ist eine konkurrierende Partei.

    Capellan: Besteht nicht Gefahr, dass man die Linkspartei aufwertet, indem man sie nun als die "Schmuddelkinder" darstellt, mit denen man nicht mal Koalitionsgespräche oder zumindest Sondierungsgespräche führen möchte?

    Heil: Nein, man wertet sie auf, wenn man sie sozusagen über diese CDU-Kampagne in Rote-Socken- und Kommunistenfurcht in so eine komische Rolle bringt. Das ist nicht der Punkt. Es gibt ja Zusammenarbeit in Ostdeutschland zwischen Linkspartei ...

    Capellan: ... genau, in Berlin funktioniert das sehr gut.

    Heil: Es gibt einen Unterschied zwischen Ost und West, ich sage das als Niedersachse, der ein paar Jahre in Brandenburg gelebt hat. Ich habe beobachtet, dass es in der PDS, wie sie damals hieß, Leute gegeben hat, die sich ernsthaft bemüht haben, aus einer ostdeutschen Protestpartei eine regierungsfähige Partei zu machen, auch alte Kader hinter sich zu lassen. Das war in Sachsen-Anhalt der Fall, auch erkennbar hier in Berlin. Das Interessante ist nur, dass diese Leute – ich nenne sie mal in Anführungsstrichen "Reformer in der PDS in Ostdeutschland" – zum Teil zurückgeworfen werden von Leuten, die aus der WASG jetzt durch diese Vereinigung dazugekommen sind. Glauben Sie, dass die in der Berliner PDS oder in Sachsen-Anhalt besonders fröhlich sind über das, was sich da in Hessen, in Niedersachsen, in Bremen aus alten Kadern ...

    Capellan: ... aber wie wollen Sie denn den Wählern klarmachen, dass das zwei verschiedene Parteien sind? Das ist nun mal eine Linkspartei!

    Heil: Also nochmal. Ich glaube, dass wir nicht so viel über die reden sollten, sondern dass wir sagen sollten, was wir wollen und dass wir eine selbstbewusste Auseinandersetzung haben ...

    Capellan: ... die Auseinandersetzung ist doch offenbar gescheitert ...

    Heil: ... nein ...

    Capellan: ... wir haben viel über den Linksruck der SPD gesprochen. Die Korrektur beim Arbeitslosengeld I haben viele auch so verstanden, dass man Wähler der Linken wieder zurückgewinnen wollte. Das ist doch offenbar nicht gelungen. Also ist die Strategie von Kurt Beck da gescheitert?

    Heil: Nein, wir orientieren uns doch gar nicht an anderen Parteien, sondern wir sagen das, was wir aus Überzeugung als Sozialdemokraten wollen. Wir werden uns mit dieser Linkspartei auseinandersetzen – wir unterschätzen das nicht – wie mit anderen Parteien auch. Aber so zu tun, als hätten die überall im Westen Erfolg gehabt, entspricht ja nicht ganz den Tatsachen. Bei allem Respekt vor dem Einzug ...

    Capellan: ... Bremen, Niedersachsen, Hessen? ...

    Heil: Baden-Württemberg nicht, Rheinland-Pfalz nicht beispielsweise. Ich bin mir sicher, dass die auch in Bayern nicht reinkommen werden. Und in Hessen – nochmal, Hessen zeigt das sehr gut: Wenn sie es schaffen, eine hohe Wahlbeteiligung und auch eine klare Alternative zwischen Sozialdemokraten und CDU hinzubekommen, dann ist die Chance, die kleiner zu halten, auch möglich.

    Capellan: Ist nicht das eigentliche Problem, dass Oskar Lafontaine noch in dieser Partei das Sagen hat – mit das Sagen hat, dass in den Augen vieler Sozialdemokraten Verräter in dieser Partei sitzen, die eben aus Ärger über die Agenda 2010 von Gerhard Schröder gewechselt sind? Ist das nicht das Kernproblem?

    Heil: Ich glaube, der Oskar Lafontaine wird ein Problem für die Menschen in Ostdeutschland in der PDS. Wenn man sich mit einzelnen von denen mal unterhält, sind die über die Art und Weise des Führungsstils und auch des autoritären Verhaltens und auch des Ideologischen nicht besonders fröhlich. Also, ich kann nicht sagen, wie das in zwanzig Jahren aussieht, keiner weiß, wie sich das entwickelt. Aber dass es ausgemacht ist, dass die sich im Westen überall festsetzen als Linkspartei, das sehe ich noch nicht.

    Capellan: Aber was ist im kommenden Jahr – im Saarland? Vor der Bundestagswahl wird dort gewählt, Heiko Maas möchte sicherlich mit der Linkspartei dort zum Regierungschef gewählt werden. Kann die SPD, kann Kurt Beck das verbieten?

    Heil: Nein, das hat Heiko Maas ja gar nicht gesagt. Er hat gesagt, er will für die SPD kämpfen – das ist eine andere Situation da, das ist vollkommen klar, das Saarland war in der deutschen Geschichte immer etwas Besonderes. Aber wir kämpfen für unsere Position, und dann wird man nach der Wahl entscheiden, was es an Möglichkeiten gibt.

    Capellan: Aber Sie wollen es nicht ausschließen? ...

    Heil: ... ich sage ...

    Capellan: ... das wäre das erste Modell eines Bündnisses mit der Linkspartei im Westen.

    Heil: Sie haben zu recht gesagt, dass wir in Hessen das ausgeschlossen haben. Ich sehe das auch nicht in Hamburg, das ist auch so ein Kreisverband oder Landesverband der Linkspartei, der furchtbar chaotisch ist. Gucken Sie sich das in Bremen in der Bürgerschaft an, was die da an den Tag legen. Das ist einer Demokratie, sagen wir mal, etwas unwürdig – in dieser Fraktion, die sich untereinander bekriegt und behakt und ähnliches. Also, wir werden es erstmal sehen, die ganze Geschichte. Bis zur Wahl im Saarland ist noch viel Zeit, und wir kämpfen für unsere Position.

    Capellan: Sollte es im Saarland vor der Bundestagswahl ein Bündnis mit der Linkspartei geben, dann haben Sie den Lagerwahlkampf für die Bundestagswahl.

    Heil: Nein, nein. Ich glaube, erstmal muss man gucken, wann diese Wahl ist, das ist noch nicht ausgemacht. Es ist Aufgabe der Landesverbände, es zu entscheiden. Da gibt’s keinen Ukas aus Berlin, aber da gibt’s eine große Einigkeit, auch Absprachen zwischen unseren Landesverbänden mit der Bundespartei, dass wir selbstbewusst mit dieser neuen Konkurrenz uns auseinandersetzen werden.

    Capellan: Muss die SPD Angst haben vor einer neuen "Rote-Socken-Kampagne" der Union vor der Bundestagswahl?

    Heil: Nein, das ist ja, wie gesagt, seit den 50er Jahren eine alte Klamotte in der Union. Das hat man auf diesem Aschermittwoch da erlebt, dass die das versuchen ...

    Capellan: ... "Steigbügelhalter der Kommunisten" ...

    Heil: ... es ist ein müder Abklatsch. Also ich meine, der Strauß, das war ja noch eine Persönlichkeit, Stoiber war schon eine Schublade drunter. Aber jetzt die beiden Beckstein und Huber, die offensichtlich – also mich erinnern die manchmal an die Kaczynski-Brüder, muss ich sagen – nicht besonders ausstrahlungsfähig und stark sind, nicht so richtig die bundespolitische Bedeutung der CSU verleihen können, die suchen jetzt mit solchen Mottenkisten einen Angriffspunkt. Aber die Menschen interessieren sich für praktische Probleme und nicht für solche alten Kampagnen.

    Capellan: Wenn wir auf die Inhalte schauen, sind Sie dann nicht doch den Grünen und der Linkspartei viel näher als der FDP? Und die Frage – Kurt Beck möchte ja gerne die Ampelkoalition auch im Bund: Ist eine solche Koalition überhaupt denkbar mit einem Guido Westerwelle an der Spitze, der sich doch so festgelegt hat in Richtung Union bei der letzten Bundestagswahl. Und er wiederholt das jetzt das auch jedes Mal, jeden Tag wieder?

    Heil: Also, die meisten Schnittmengen gibt’s ohne Zweifel zwischen Sozialdemokraten und Grünen – in vielen Bereichen. Ob es Fragen des Mindestlohns sind, auch der ökologischen Erneuerung, der Energiepolitik, auch der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber bei diesen Fragen, die nationale Bedeutung haben auf Bundesebene, da muss man deutlich drauf hinweisen, gibt es auch mehr Schnittmengen bei Sozialdemokraten mit Liberalen als mit der Linkspartei. Gucken Sie sich die Außen- und Sicherheitspolitik an. Das, was die Linkspartei da vertritt, würde Deutschland isolieren, unserem Ansehen schaden.

    Capellan: Ich muss nochmal auf Roland Koch zu sprechen kommen, weil Sie gerade auch vom Ansehen Deutschlands in der Welt gesprochen haben. Würden Sie so weit gehen, dass er das Klima so sehr vergiftet hat, dass er auch im Ausland Schaden angerichtet hat – also jetzt mit Blick auf die türkischen Reaktionen auf diese schreckliche Brandkatastrophe von Ludwigshafen? Spielt das zusammen?

    Heil: Ohne Zweifel. Also, ich habe Äußerungen von der hessischen CDU noch vor Augen, die hießen: "Wir lassen uns von Türkenvertretern nicht in unsere Wahl reinreden", oder ähnliches. Also, da ist bewusst eine Stimmung auch geschürt worden, und das hat zu Gegenreaktionen geführt. Wir müssen jetzt nach dieser Katastrophe aufpassen, dass sich da nicht etwas hochschaukelt, dass wir in diesem Land nicht spalten, sondern zusammenführen, wie das Johannes Rau mal gesagt hat.

    Capellan: Und in diesem Sinne war es richtig, dass man auch türkischen Ermittlern Zugang gewährt?

    Heil: Es geht ja nicht darum, dass die da ermitteln, sondern das finde ich eine vernünftige Geste, dass die das auch begleiten. Natürlich ist das, was in einigen Boulevardmedien in der Türkei da auch gespielt wurde in diesem Zusammenhang, nicht in Ordnung. Da sind dann wiederum auch Vorbehalte und Ressentiments geschürt worden. Ich werbe dafür, dass wir praktische Vernunft und dass wir eine Zusammenführung haben. Insofern finde ich den Besuch des Ministerpräsidenten Erdogan eine gute Geste. Ich finde auch - ausnahmsweise darf ich das sagen - ich bin nämlich nicht jeden Tag ein Fan der BILD- Zeitung, am Freitag war der Kommentar ganz gut, der gemeinsam vom Chefredakteur von Hürriet und BILD-Zeitung gemacht wurde, die auch zur Vernunft aufgerufen haben.

    Capellan: Sollte sich nun rausstellen, dass es ein Anschlag war – möglicherweise von Neonazis, haben wir dann wieder eine neue Debatte darüber, dass bei uns in Deutschland zu wenig gegen Rechts getan wird?

    Heil: Wir haben ohne Zweifel die Notwendigkeit, verantwortlich darüber zu reden. Und es gibt, das hat Kurt Beck deutlich gemacht, zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anhaltspunkt. Deshalb ist es ganz schwierig, da vorschnell irgendwelche Stimmungen zu schüren oder Entscheidungen zu treffen oder ähnliches.

    Capellan: Ich frage ja auch nur danach, weil Gerhard Schröder im Zusammenhang mit dem Wahlkampf in Hessen gesagt hat: Keiner von der Union redet darüber, was es an rechtsextremistischen Anschlägen gegeben hat ...

    Heil: ... lassen Sie mich, weil es wichtig ist, zu Ludwigshafen noch etwas sagen. Da warne ich und mahne zur Vorsicht von vorschnellen Schlüssen. Es gab ja einige, für die stand gleich fest, dass das Neonazis gemacht haben. Wir haben da Erfahrung, wenn ich das Beispiel Sebnitz anführen darf, dass man am Ende des Tages mit vorschnellen Schlüssen im Zweifelsfall Nazis - ungewollt muss man sagen – auch in die Hand arbeiten kann mit Mythen oder ähnlichem.

    Capellan: Aber das rechte Potenzial ist ja da, oder? ...

    Heil: ... es ist unbeschadet dessen ein großes und für mich bewegendes Thema. Und damit muss man sich auseinandersetzen auf verschiedensten Ebenen – mit Repression, also mit Recht und Gesetz, mit Staatsanwälten und Polizei, gar keine Frage – wo Menschen bedroht werden, wo es Gewalttaten gibt. Das Zweite ist aber auch mit Prävention. Am Ende sage ich auch: Wenn die Möglichkeit besteht, bin ich der festen Überzeugung, sollen wir einen neuen Anlauf unternehmen, die NPD zu verbieten. Das löst das Problem allein nicht – Extremismus – das ist eine weitere Aufgabe. Aber ich finde es ein schlechtes Gefühl vieler Menschen, und zwar zu recht, dass wir diese Menschen, die kämpferisch gegen unsere Verfassung, unsere freie Ordnung kämpfen, dann auch noch aus Steuergeldern alimentieren müssen.

    Capellan: Uns läuft die Zeit davon, trotzdem möchte ich noch einen Punkt ansprechen: Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan steht aktuell wieder einmal in der Diskussion. Wie lange kann sich Deutschland noch einem Kampfeinsatz im besonders unsicheren Süden des Landes widersetzen?

    Heil: Ich finde, Deutschland übernimmt massiv Verantwortung in Afghanistan in einem gefährlichen Einsatz ...

    Capellan: ... aber es gibt schon Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden des Landes?

    Heil: Wir übernehmen Verantwortung, wir stellen das drittgrößte Truppenkontingent in Afghanistan. Militärischer Schutz ist notwendig, wir engagieren uns beim zivilen Aufbau.

    Capellan: Also wir tun genug?

    Heil: Wir tun unglaublich viel. Und ich bin stolz darauf, dass sich dieses Land nicht vor Verantwortung drückt. Da gibt es ja auch andere Stimmen – aus der Linkspartei. Die sagen: Raus aus Afghanistan! Die aber nicht beantworten, was dann aus den Menschen in Afghanistan würde. Ich finde, dass diese Debatten, die da angezettelt werden, die sich so anhören, als würde Deutschland seiner Verantwortung nicht gerecht, wiederum nicht der Wahrheit entsprechen.

    Capellan: Aber dennoch, es gibt auch Außenpolitiker in Ihrer Partei, die sagen, Deutschland möchte einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat haben, auf der anderen Seite wollen wir nicht alle Verpflichtungen eingehen, was sämtliche NATO-Partner tun. Haben die völlig Unrecht?

    Heil: Nein, es geht um die Linie, die Gerhard Schröder in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik begründet hat. Die heißt: "Ja" zu internationaler Verantwortung, aber "Nein" zu unkalkulierbaren rein militärischen Abenteuern. Das waren die Begründungen auch, warum wir nein gesagt haben zum Irakkrieg. Insofern: Afghanistan ist eine andere Situation, da übernehmen wir Verantwortung, es gibt bestimmte Zuständigkeiten, die vereinbart sind für Regionen. Ich bin froh, dass es in der Koalition da mit Ausnahme von Einzelstimmen aus der Union und auch dem einen Kollegen aus meiner Fraktion eine große Übereinstimmung gibt und man da nicht jedem Vorwurf nachgehen will, den andere da machen.

    Capellan: Hubertus Heil, vielen Dank für das Gespräch!