Archiv


Heiliger Raub

208 Kirchen und religiöse Kultstätten wurden in Frankreich allein im vergangenen Jahr ausgeraubt. In dieser Woche ereignete sich ein neuer Fall: In der Kathedrale von Perpignan verschwanden mehr als drei Viertel der sakralen Gegenstände.

Von Hans Woller |
    Mehr als 50 wertvolle Messkelche , Hostienteller und Monstranzen , die in der Sakristei der Kathedrale im historischen Stadtkern Perpignans in einfachen Schränken gelagert waren, sind verschwunden, über 80 Prozent aller Messgegenstände. Einer der Pfarrer der Kathedrale klagte:

    " Wir haben all diese Objekte im Alltag benutzt - das ist für uns ein Verlust unseres Kulturguts , aber auch ein religiöser und symbolischer Verlust, denn wir benutzten diese Gegenstände während der Messe , es ist nicht nur der materielle Wert, der zählt. "

    Jean- Luc Antoniozzi, beim Bistum Perpignan für das Kulturgut zuständig, fügte hinzu:

    " Das hat natürlichen kulturellen Wert, aber eben auch finanziellen, es sind Objekte aus Silber und Gold, manche sind sogar von unschätzbarem Wert, weil es Unikate aus der Zeit des Ancien Regime sind , aus dem 17. und 18. Jahrhundert. "

    Der Raub in der Kathedrale von Perpignan hat besonderes Aufsehen erregt, ist aber in Frankreich , mit seinen abertausenden , häufig bedeutsamen und sehr alten Kirchen bei weitem kein Einzelfall: Erst im Juli waren in der Kathedrale von Rennes Teile eines Tafelbildes entwendet worden , in der Kathedrale von Toulouse rund 90 kunsthandwerkliche Gegenstände, die meisten aus Silber - ganz zu schweigen von Diebstählen auf dem Land : allein die Normandie verzeichnet dieses Jahr schon 20 Einbrüche in Dorfkirchen und die Statistiken sagen : jährlich werden in Frankreich rund 300 Kunstwerke aus Gotteshäusern geraubt, die Tendenz ist seit 10 Jahren steigend. Und: rund 6000 Kunstwerke, die in den letzten Jahrzehnten aus Kirchen entwendet wurden , sind nie mehr aufgetaucht. Die auf Kunstraub spezialisierte Einheit der französischen Kriminalpolizei weiß, dass Flohmärkte und Antiquariate in Belgien Hauptumschlagplätze für derartiges Diebesgut sind, das von dort gerne nach Holland und Italien weiterverwandert, vor allem aber auch in Privatsammlungen in den USA und in Japan landet - zur Zeit , so heißt es , seien Statuen aus mehrfarbigem Holz aus der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts ganz besonders in Mode. Und Frankreichs neue Kulturministerin, Christine Albanel wetterte nach dem Einbruch beim Besuch der Kathedrale von Perpignan, es sei ein Skandal , dass mittlerweile ganze Containerladungen von geraubten kirchlichen Messgegenständen in den USA zur Einrichtung von Privatkapellen dienten. Sie kündigte für Oktober ein Expertentreffen an, um über bessere Schutzmassnahmen nachzudenken und sagte:

    " Ich werde mit der Justizministerin sehen, ob man die Strafen für Einbruch in historische Gebäude nicht verschärfen kann und ob Raub von Kunstgegenständen nicht als schwerer Raub geahndet werden kann. "

    Der Pfarrer der Kathedrale von Perpignan aber scheint resigniert:

    " Es ist praktisch unmöglich, derartige Taten zu verhindern. Natürlich ist unsere Kathedrale ein leicht verletzlicher Ort, denn es fehlt an Sicherheitsmassnahmen trotz aller Appelle , die wir an den Staat gerichtet haben. "

    In der Tat haben die wenigsten Kirchen Frankreichs vernünftige Alarmsysteme - die staatlichen Behörden, in dem Fall die Gemeinden, welche nach französischem Gesetz für die Instandhaltung und Sicherheit der Gebäude verantwortlich sind, zeigen sich mit Geld für kirchliche Einrichtungen eher knauserig , und Frankreichs Kirchengemeinden selbst verfügen, seit der strikten Trennung von Staat und Kirche 1905, nur über sehr geringe finanzielle Mittel.

    Seit zwei Jahren haben einige wenige Diözesen, etwa in Metz und im bretonischen Quimper wenigstens damit begonnen , ein Inventar der kostbaren Gegenstände und Kunstwerke in ihren Kirchen anzulegen, in der Hoffnung , dass sich Gestohlenes dann in Zukunft leichter wiederfinden lässt - auch in der Kathedrale von Perpignan hatte man das getan. Jean Luc Antoniazzi von der Diözese hofft jetzt , dass dank der Fotos und des Inventars aller gestohlenen Objekte die kostbaren Gegenstände kaum abzusetzen sind und irgendwann wieder erscheinen.