Helen Levitt hat ihre Bilder nicht inszeniert. Ihre frühere Zusammenarbeit mit Walker Evans legt allerdings nahe, daß sie dessen Verfahren des "editing" übernahm, das heißt der Auswahl des "fruchtbaren Augenblicks" aus einer Reihe von Momentaufnahmen. Dennoch bleibt die Echtheit der "wahren" Aufzeichnung, die das allegorische, das "anderssagende" Bedeuten des Bildes im Vorgefundenen entdeckt. Agee spricht deshalb auch vom "glücklichen Zufall" in der Fotografie, dem, was man in zeitlicher Hinsicht auch kairos nennt. In diesem Sinne glückt es Helen Levitt, selbst die Brutalität mancher Motive mit ihren sozialen Indikationen von Elend und Gewalt in eine zum Teil spielerische Ironie aufzuheben (die oft auch sexuelle Komponenten betrifft - zum Beispiel bei dem Arbeiter mit dem zum Fenster heraushängenden Rohr, den Burschen, der sich an den aufspritzenden Feuerwehrhydranten drückt, oder das Mädchen, das die beiden Milchflaschen vor den Bauch hält).
Das Grausame wohnt dabei nicht nur in den Gesten der Menschen, sondern stärker noch in der trostlosen Stadtlandschaft, in der sie agieren. Aber auch angesichts der morbiden Mauern und schmutzigen Straßenfluchten gelingt es den Fotos, eine Leichtigkeit des Seins hervorzuzaubern, die auch bei den oft auftauchenden Grafittis und Kinderzeichnungen auf Wänden oder Trottoirs eine comic-hafte Verfremdung bewirkt. Überhaupt ist das Komische ein Schlüssel zum Verständnis der Arbeiten von Helen Levitt. Nicht von ungefähr sind es meist spielende Kinder, die das Szenarium der Bilder beherrschen, aber nicht idealisierte Kinder als Gegenutopie einer Welt der Entfremdung, sondern als Protagonisten eines Jenseits von Gut und Böse, die im Spiel grausam und in ihrer Grausamkeit spielerisch sein können. Dieses infantil Burleske beherrscht den Kamerablick, ähnlich wie in den unmöglichen Momentaufnahmen eines Lartigue, aber zugleich so gnadenlos wie in der Welt der Kids eines Larry Clark. Genau genommen enthält sich Helen Levitt beider Extreme, sowohl der kindlichen Verspieltheit des Blicks als auch der gespielten Kindlichkeit des Angeblickten. Ihre Bilder halten inne in einer Zwischenwelt, die nicht mehr nur Spiel und noch nicht Ernst ist. Wenn Agee in seinem Essay zur musikalischen Metapher des Jazz greift, so wird er wohl diesen Effekt eines doppeldeutigen Thrill gemeint haben, wie er sich bei der Improvisation als unendliches Wiederholen eines Themas bei unendlicher Variation einstellt.