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Helfer im virtuellen Sandkasten

Informationstechnik. - Schnell entwickeln sich in unserer technisierten und komplexen Welt Unglücke zu gefährlichen Katastrophen. Um auf derartige Szenarien besser vorbereitet zu sein, trainieren niederländische Feuerwehrleute in modernen Computersimulationen und optimieren das Zusammenspiel der Retter.

Von Frank Grotelüschen |
    Es sieht ganz harmlos aus: Martijn Boosman, Geschäftsführer der Firma E-semble aus Delft, packt seinen Laptop aus und stellt ihn auf den Tisch. Doch dann startet er ein Programm, und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

    "Ich habe eine virtuelle Autobahn aufgerufen, man sieht sie hier auf dem Bildschirm. Mit der Maus inszeniere ich nun einen Großunfall: Und zwar ist ein Bus auf einen Lastwagen aufgefahren. Nein - ich habe es mir anders überlegt und mache aus dem Bus einen Tanklaster. So. Jetzt positioniere ich dahinter zwölf Autos, nun ist es eine Massenkarambolage. Und um es für die Einsatzkräfte noch schwieriger zu machen, setze ich den Tanklaster in Brand und mache hinten ein Leck rein."

    Mit jedem Mausklick wird die Lage schlimmer. Doch Boosman hat immer noch nicht genug: Nun stellt er seinen Rechner auf Herbst und schaltet dichten Nebel ein. Ein etwas geschmackloses Computerspiel, könnte man meinen. Aber das Ganze hat einen ernsthaften Hintergrund. Die Software aus den Niederlanden fungiert als Trainingsprogramm für Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter.

    "Wir programmieren virtuelle Unfälle auf dem Computer, damit sich die Einsatzkräfte besser auf Unfälle und Brände vorbereiten können. Und: Unser Programm kann den Kräften helfen, mit traumatischen Erlebnissen fertig zu werden."

    Die Idee: Wenn die Kräfte einen Großeinsatz am Rechner üben, sind sie später bei einer richtigen Katastrophe besser vorbereitet. Sie kommen besser mit dem Stress zurecht, und das Wechselspiel von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten läuft glatter ab. Anhand der virtuellen Massenkarambolage zeigt Martjin Boosman, wie eine Feuerwehrübung am Computer abläuft. Ein Mausklick, und er ist in die Rolle eines Feuerwehrmanns geschlüpft.

    "Wie Sie hören, bin ich nun in einem Feuerwehrauto und fahre zur Unfallstelle. Jetzt halte ich an, da hinten erkenne ich schemenhaft den Tanklaster. Als erstes fordere ich die Passanten auf, sich vom Laster fernzuhalten. Dann melde ich mich bei der Zentrale und gebe die Lage durch. Ich schätze die Zahl der Opfer auf zehn bis fünfzehn, also muss ich mindestens 15 Krankenwagen anfordern."

    Jetzt begibt sich der Feuerwehrmann alias Martijn Boosman zu Fuß zur Unfallstelle, sie ist etwa 100 Meter entfernt.

    "Ich sehe ein brennendes Auto, da sitzt noch jemand drin. Aber da hinten sehe ich den Tanklastwagen. Und der ist im Augenblick viel wichtiger als dieser Unfall hier, denn der Laster könnte explodieren. Jetzt schaue ich, was der Tanklaster eigentlich geladen hat. Ich lese die Nummer auf einem Schild: Es ist Diesel. Das bedeutet: Das Feuer könnte noch viel schlimmer werden - eine sehr gefährliche Situation."

    Dann sind die Rettungskräfte da: etliche Krankenwagen, ein Hubschrauber. Alles nimmt - auf dem Bildschirm des Computers - seinen geordneten Lauf.

    "Das Interessante an der virtuellen Realität ist, dass ich jedes denkbare Szenario kreieren kann. Dagegen kann ich auf einem richtigen Übungsgelände nicht mal einfach so einen brennenden Tanklaster hinstellen. Das wäre viel zu gefährlich und auch viel zu belastend für die Umwelt."

    Und: Die Software lässt sich auch für Teamübungen einsetzen. Hier sind dann mehrere Computer zu einem Netzwerk verbunden. Und die Ärzte, Feuerwehrleute und Polizisten agieren zwar virtuell auf dem Bildschirm. Aber sie kommunizieren ganz real über Funkgeräte und Handys. Die virtuelle Übung - und in den Niederlanden klappt das schon ganz gut - soll das Zusammenspiel der Rettungskräfte verbessern. Das nämlich läuft oft genug alles andere als optimal.