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Help! Vom Unwesen der Liederabende

Der Dramatiker Roland Schimmelpfennig hat ein neues Hobby: Nach Feierabend übersetzt er Lieder der Beatles ins Deutsche. Es ist unklar, ob dies aus eigenem Antrieb geschieht, das Schauspiel Frankfurt gab den Auftrag. Allein das Ergebnis ist ernüchternd.

Von Christian Gampert | 07.02.2010
    Aus "Hey Bungalow Bill" wird "Hey Reihenhaus-Frank, bist du heut krank", aus "Honey Pie" wird "Zuckermaus, komm nach Haus", aus "while my guitar gently weeps" wird "weil du niemand wirklich liebst".

    Es ist unklar, ob das lustig sein soll oder ob Schimmelpfennig jetzt bei dem Schlagerproduzenten Ralph Siegel anheuern will. Das schon bei den Beatles unsägliche, von John Lennon tief verabscheute "Obladi, oblada" wird von Schimmelpfennig jedenfalls zum Multi-Kulti-Gassenhauer weiterverkitscht, die rührende Geschichte von Achmed, der einen Gemüsestand hat, und Gabi, die in einer Band singt.

    Könnte es sein, dass es sich dabei um die gute alte Zonen-Gabi handelt, die mit den blondierten Haaren und der Fransen-Frisur? Bei den Beatles ging es noch "Back in the USSR", Schimmelpfennigs Rolle rückwärts aber heißt "Zurück zum DTSB", welchselbiger der "Deutsche Turn- und Sportbund" der DDR war. Dass dort nicht nur Hürdenlauf, Kugelstoß und Dopingverstoß gelehrt, sondern auch, breitensportmäßig, noch ganz andere, horizontale Leibesübungen betrieben wurden, das ahnten wir immer schon, nun wissen wir es hundertprozentig: Die "Meckpomm-Mädchen" waren einsame Klasse. Natürlich immer unter der ländlich-sittlichen Aufsicht der Stasi, weshalb in Frankfurt folgerichtig ein Country-Song daraus wird.

    Also: Es geht munter rauf und runter in der deutschen und der Musikgeschichte, vom Niveau her eher runter. Deshalb übersetzt Schimmelpfennig auch "Helter Skelter", was im Englischen eine "Rutschbahn" ist, mit "Rauf und runter", die glitschige, sexuelle Konnotation, die der Beatles-Song damit verband ("well you may be a lover but you ain't no dancer"), geht bei Schimmelpfennig allerdings flöten:

    Rührend, und das ist noch einer der besseren Titel. Ja, ein Gespenst geht um am deutschen Theater: das Ungetüm des sogenannten Liederabends. Weil Schauspieler angeblich alles können, singen und springen, tanzen und lachen, und weil das Publikum das angeblich mag, muss die ultimative Cover-Show her. Das Ganze hat Nachteile: Schauspieler möchten zwar gern wie Rockstars sein, sind aber keine; sie haben eine ganz andere Sozialisation. Rockende Schauspieler wirken immer bemüht – ganz abgesehen davon, dass das Theater sich scheut, dem Publikum das zuzumuten, was das Herz der Popmusik ausmacht: Frechheit und Lautstärke.

    So wird "Das weiße Album" aus dem Jahr 1968, dieser merkwürdige Rundflug durch sämtliche Beatles-Stilistiken, im Frankfurter Schauspiel zu einem beschaulichen Nostalgie-Abend für ältere Semester – trotz einer großartigen Begleitband und der zum Teil beachtlichen Arrangements von Martin Engelbach. Man hätte gewarnt sein können: Schon der peinliche Elvis-Presley-Abend, mit dem Harald Schmidt am Stuttgarter Staatstheater und andernorts reüssierte, seinen Ruf aber endgültig ruinierte, war ein Paradebeispiel für Ranschmeiß-Theater: Das amüsierwillige Publikum wird's schon schlucken.

    Vordergründig ist das auch so. Wenn man aber die verfügbaren Tondokumente, egal ob die Stuttgarter oder die Frankfurter, mal am Stück senden würde, dann fiele auch dem Nicht-Musikologen die Klappe runter. Nun, "happiness is a warm gun", sagte John Lennon, und er meinte damit eine Heroin- oder auch eine beliebte andere, eine sexuelle Spritze. Schimmelpfennig übersetzt: "Das Glück ist eine Treibjagd". Nun ja. Wir empfehlen dem Lyriker Schimmelpfennig - statt des "Weißen Albums" - das Original, den Schlager, die Avantgarde der Volksmusik: ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß.