In Helsinki treffen sie sich im "Pavi", kurz für Pavillion. Der "Pavi" ist das mit Abstand beliebteste Tanzlokal der Hauptstadt. Zugleich ist er einer der wenigen traditionellen Orte, die das große Sterben der städtischen Tanzböden überlebt haben.
Ein Hauch von ländlicher Idylle umgibt den "Helsinki Tanzpavillon", kurz "Pavi", das beliebteste Tanzlokal der Hauptstadtregion. Der schlichte flache Holzbau liegt in einem bescheidenen Birkenhain, von der Terrasse aus geht der Blick auf einen kleinen See. Doch längst befindet sich das Gelände nicht mehr wie einst weit vor den Toren der Stadt. Ein schäbiges Industriegebiet hat sich rings herum angesiedelt, und der Verkehrslärm der benachbarten Autobahn ist kaum zu ignorieren. Der wahre Grund für die ungebrochene Popularität des Pavi liegt eben nicht in dieser äußeren Kulisse, sondern dahinter. Diese Ahnung befällt den Besucher bereits am Kassenhäuschen. Denn dort begegenen sie ihm zum ersten Mal, zwei Männer mit goldbestickten roten Schirmmützen und einer gelben Armbinde über ihrer nachlässigen Freizeitkleidung, "Ordnungswächter” steht darauf zu lesen. Diese "Ordnungswächter” sind es, die für das Gelingen einer Tanznacht in der Hauptstadt verantwortlich sind.
Juha ist ein stämmiger Kerl Anfang dreißig. Unter seiner Schirmmütze kringeln sich strähnige Locken hervor bis in den Nacken. Gemeinsam mit seinem Vater Urho steht er am Eingang und kontrolliert die Eintrittskarten. Jeder ankommende Gast bekommt dabei mindestens ein freundliches Lächeln mit in den Abend.
"Langweilig wird es nie. Wir zirkulieren den ganzen Abend zwischen verschiedenen Einsatzgebieten hin und her. Wir sind mal am Parkplatz, mal am Einlass und mal schmeißen wir irgendwelche betrunkenen Kerle raus. Jeden Job machen wir nur eine halbe Stunde, dann geht´s zur nächsten Station. Und wir sind immer zu zweit, wir arbeiten in Paaren. Das ist nett und unterhaltsam. Vor allem wenn man seinen Vater dabei hat."
Hinter diesen großzügigen Arbeitsbedingungen versteckt sich etwas, das selbst in Helsinki kaum jemand weiß: Der Pavi wird von der lokalen Kommunistischen Partei betrieben. Und wer hier arbeitet, tut dies vor allem aus Leidenschaft. Denn die "Angestellten” erhalten als einzigen Lohn die Erstattung ihrer Unkosten, Verpflegung und freien Eintritt zu allen Tanzveranstaltungen. Juha zu folge hat der Job allerdings noch andere Vorteile. Dieser Tanzboden ist ein sehr beliebter Ort unter den Damen der Stadt.
"Doch! So ist es wirklich! Dies ist ein ganz hervorragender Ort, um Frauen kennen zu lernen! Ich kann es jedem nur empfehlen!"
Juhas nächste Station ist der Saal. In dem niedrigen holzvertäfelten Raum ist das Geschehen bereits in vollem Gange. "Naisten-haku”, Damenwahl, leuchtet es über dem Orchestergraben. Die gesamte rechte Saalwand ist bereits mit den Handtaschen der Tänzerinnen gespickt. Das Getümmel ist groß. Schon nach kurzem haben wir Juha aus den Augen verloren. Und immer noch lauern die letzten Damen am Rand der Tanzfläche. Sie machen gute Mine zum bösen Spiel. Doch die Zeit läuft. In einer halben Stunde wird der Leuchtkasten für den Rest des Abends erlöschen. Dann ist der Tanz für viele von ihnen vorbei. Denn wie in jedem finnischen Tanzlokal ist der enorme Überschuss an tanzwilligen Damen kaum zu übersehen.
Draußen auf der Terrasse erholen sich ein paar verausgabte Tänzer von den Strapazen der Nacht. Er will nochmal, sie nicht... Dazwischen ist Juhas Mutter Änni geschäftig am Werke. Ebenfalls in Uniform herrscht sie über Filterkaffee und Pulla, die finnischen Hefeteilchen. Alkohol wird im Pavi schon seit einigen Jahren nicht mehr ausgeschänkt - man hat schlechte Erfahrungen gemacht. Mit einer kleinen Schar von blondierten Kolleginnen schwirrt Änni herum und sammelt umherliegendes Geschirr ein. Die weiblichen Angestellten arbeiten nämlich im Gegensatz zu ihren Ehemännern alle auf einem Haufen - und das genießen sie sichtlich. Änni ist sowieso sehr guter Dinge heute Abend. Immerhin hat sie mit Juha und Urho gleich zwei tanzende Männer am Arbeitsplatz.
"Natürlich schieben wir zwischendurch immer gern ein Tänzchen ein. Aber jetzt ist so wahnsinnig viel los hier. Ich bin noch zu nichts gekommen. Mal sehen wie es sich entwickelt, ich bin hoffnungsvoll.."
"Ich warte hier auf Urho. Er holt mich ab, wenn er einen Moment frei hat. Falls er natürlich gerade die Schicht unten am Einlass macht, kann ich lange warten..."
Natürlich hat Änni richtig getippt.
Urho lehnt am Kassenhäuschen, einen Pappbecher Kaffee in der Hand. Offenbar genießt er den Moment ein wenig abseits des Spektakels. Freundlich verabschiedet er die ersten Gäste, die sich bereits auf den Heimweg machen.
Die gestrige Nacht sitzt ihm noch ein wenig in den Knochen, erzählt er mit dünner, belegter Stimme. Da war er auf der großen Tanzbühne von Pyhäsalmi, 500km nördlich von hier. Großartig! Er ist die ganze Nacht gefahren und war erst um fünf wieder zuhause. Eine Lebensform, die er schon pflegt, seit er denken kann. An die Geburtsstunde des Finnischen Tango und den ersten großen Boom erinnert er sich lebhaft.
"Ich tanze seit `48, meine Mutter hat es uns beigebracht als das Tanzverbot in Finnland aufgehoben wurde. Da hat man plötzlich angefangen, Tanzböden in jedem Dorf zu errichten und offiziell Tanzabende zu organisieren. Während des Krieges war das Tanzen ja streng verboten! Man hat sowas nur heimlich veranstaltet, unter strengen Vorkehrungen. Mein Vater hat Mundharmonika gespielt, meine Mutter Geige, und wir Kinder haben getanzt. Plötzlich rollte dann die Tangowelle los - und ich war schon ausgezeichnet vorbereitet. Mit elf Geschwistern zuhause, und davon nur zwei Jungs. Da musste ich ganz schön ran."
Jetzt kommt ihm diese "harte Schule" natürlich zu Gute. Juha lächelt. Die Beglückung tanzwilliger Damen zählt für ihn zu den ganz besonderen Serviceleistungen des Pavi.
"So manche kommt schon gleich am Anfang des Abends auf mich zu und bittet darum, dass ich sie mal holen komme, wenn’s gar nicht läuft. Andere Damen springen mich förmlich an, wenn sie mit ihrer Geduld am Ende sind, da fackle ich nicht lange und sage nur: Jawoll, los gehts! Wir verstehen das einfach als Teil unserer Arbeit. Schließlich sind wir nicht zufällig hier. Bloß die Uniform müssen wir dabei immer tragen. Und den Tanzboden haben wir so doch am allerbesten unter Kontrolle!"
Ein Hauch von ländlicher Idylle umgibt den "Helsinki Tanzpavillon", kurz "Pavi", das beliebteste Tanzlokal der Hauptstadtregion. Der schlichte flache Holzbau liegt in einem bescheidenen Birkenhain, von der Terrasse aus geht der Blick auf einen kleinen See. Doch längst befindet sich das Gelände nicht mehr wie einst weit vor den Toren der Stadt. Ein schäbiges Industriegebiet hat sich rings herum angesiedelt, und der Verkehrslärm der benachbarten Autobahn ist kaum zu ignorieren. Der wahre Grund für die ungebrochene Popularität des Pavi liegt eben nicht in dieser äußeren Kulisse, sondern dahinter. Diese Ahnung befällt den Besucher bereits am Kassenhäuschen. Denn dort begegenen sie ihm zum ersten Mal, zwei Männer mit goldbestickten roten Schirmmützen und einer gelben Armbinde über ihrer nachlässigen Freizeitkleidung, "Ordnungswächter” steht darauf zu lesen. Diese "Ordnungswächter” sind es, die für das Gelingen einer Tanznacht in der Hauptstadt verantwortlich sind.
Juha ist ein stämmiger Kerl Anfang dreißig. Unter seiner Schirmmütze kringeln sich strähnige Locken hervor bis in den Nacken. Gemeinsam mit seinem Vater Urho steht er am Eingang und kontrolliert die Eintrittskarten. Jeder ankommende Gast bekommt dabei mindestens ein freundliches Lächeln mit in den Abend.
"Langweilig wird es nie. Wir zirkulieren den ganzen Abend zwischen verschiedenen Einsatzgebieten hin und her. Wir sind mal am Parkplatz, mal am Einlass und mal schmeißen wir irgendwelche betrunkenen Kerle raus. Jeden Job machen wir nur eine halbe Stunde, dann geht´s zur nächsten Station. Und wir sind immer zu zweit, wir arbeiten in Paaren. Das ist nett und unterhaltsam. Vor allem wenn man seinen Vater dabei hat."
Hinter diesen großzügigen Arbeitsbedingungen versteckt sich etwas, das selbst in Helsinki kaum jemand weiß: Der Pavi wird von der lokalen Kommunistischen Partei betrieben. Und wer hier arbeitet, tut dies vor allem aus Leidenschaft. Denn die "Angestellten” erhalten als einzigen Lohn die Erstattung ihrer Unkosten, Verpflegung und freien Eintritt zu allen Tanzveranstaltungen. Juha zu folge hat der Job allerdings noch andere Vorteile. Dieser Tanzboden ist ein sehr beliebter Ort unter den Damen der Stadt.
"Doch! So ist es wirklich! Dies ist ein ganz hervorragender Ort, um Frauen kennen zu lernen! Ich kann es jedem nur empfehlen!"
Juhas nächste Station ist der Saal. In dem niedrigen holzvertäfelten Raum ist das Geschehen bereits in vollem Gange. "Naisten-haku”, Damenwahl, leuchtet es über dem Orchestergraben. Die gesamte rechte Saalwand ist bereits mit den Handtaschen der Tänzerinnen gespickt. Das Getümmel ist groß. Schon nach kurzem haben wir Juha aus den Augen verloren. Und immer noch lauern die letzten Damen am Rand der Tanzfläche. Sie machen gute Mine zum bösen Spiel. Doch die Zeit läuft. In einer halben Stunde wird der Leuchtkasten für den Rest des Abends erlöschen. Dann ist der Tanz für viele von ihnen vorbei. Denn wie in jedem finnischen Tanzlokal ist der enorme Überschuss an tanzwilligen Damen kaum zu übersehen.
Draußen auf der Terrasse erholen sich ein paar verausgabte Tänzer von den Strapazen der Nacht. Er will nochmal, sie nicht... Dazwischen ist Juhas Mutter Änni geschäftig am Werke. Ebenfalls in Uniform herrscht sie über Filterkaffee und Pulla, die finnischen Hefeteilchen. Alkohol wird im Pavi schon seit einigen Jahren nicht mehr ausgeschänkt - man hat schlechte Erfahrungen gemacht. Mit einer kleinen Schar von blondierten Kolleginnen schwirrt Änni herum und sammelt umherliegendes Geschirr ein. Die weiblichen Angestellten arbeiten nämlich im Gegensatz zu ihren Ehemännern alle auf einem Haufen - und das genießen sie sichtlich. Änni ist sowieso sehr guter Dinge heute Abend. Immerhin hat sie mit Juha und Urho gleich zwei tanzende Männer am Arbeitsplatz.
"Natürlich schieben wir zwischendurch immer gern ein Tänzchen ein. Aber jetzt ist so wahnsinnig viel los hier. Ich bin noch zu nichts gekommen. Mal sehen wie es sich entwickelt, ich bin hoffnungsvoll.."
"Ich warte hier auf Urho. Er holt mich ab, wenn er einen Moment frei hat. Falls er natürlich gerade die Schicht unten am Einlass macht, kann ich lange warten..."
Natürlich hat Änni richtig getippt.
Urho lehnt am Kassenhäuschen, einen Pappbecher Kaffee in der Hand. Offenbar genießt er den Moment ein wenig abseits des Spektakels. Freundlich verabschiedet er die ersten Gäste, die sich bereits auf den Heimweg machen.
Die gestrige Nacht sitzt ihm noch ein wenig in den Knochen, erzählt er mit dünner, belegter Stimme. Da war er auf der großen Tanzbühne von Pyhäsalmi, 500km nördlich von hier. Großartig! Er ist die ganze Nacht gefahren und war erst um fünf wieder zuhause. Eine Lebensform, die er schon pflegt, seit er denken kann. An die Geburtsstunde des Finnischen Tango und den ersten großen Boom erinnert er sich lebhaft.
"Ich tanze seit `48, meine Mutter hat es uns beigebracht als das Tanzverbot in Finnland aufgehoben wurde. Da hat man plötzlich angefangen, Tanzböden in jedem Dorf zu errichten und offiziell Tanzabende zu organisieren. Während des Krieges war das Tanzen ja streng verboten! Man hat sowas nur heimlich veranstaltet, unter strengen Vorkehrungen. Mein Vater hat Mundharmonika gespielt, meine Mutter Geige, und wir Kinder haben getanzt. Plötzlich rollte dann die Tangowelle los - und ich war schon ausgezeichnet vorbereitet. Mit elf Geschwistern zuhause, und davon nur zwei Jungs. Da musste ich ganz schön ran."
Jetzt kommt ihm diese "harte Schule" natürlich zu Gute. Juha lächelt. Die Beglückung tanzwilliger Damen zählt für ihn zu den ganz besonderen Serviceleistungen des Pavi.
"So manche kommt schon gleich am Anfang des Abends auf mich zu und bittet darum, dass ich sie mal holen komme, wenn’s gar nicht läuft. Andere Damen springen mich förmlich an, wenn sie mit ihrer Geduld am Ende sind, da fackle ich nicht lange und sage nur: Jawoll, los gehts! Wir verstehen das einfach als Teil unserer Arbeit. Schließlich sind wir nicht zufällig hier. Bloß die Uniform müssen wir dabei immer tragen. Und den Tanzboden haben wir so doch am allerbesten unter Kontrolle!"