"Das Dorf, unser Haus und unser Land, alles was wir besitzen, soll überschwemmt werden. Wir werden alles verlieren, unsere Kultur, unsere Existenz. Und mit meinem Dorf sollen 61 weitere Dörfer in dem Stausee verschwinden. Aber wir werden das nicht zulassen. Wir werden nicht von hier fortgehen."
Urmila Partidar lebt in Pathrad, einem 5000-Seelendorf am Narmada-Fluss. Vor drei Jahren hat sich die 26jährige der Bewegung gegen den Staudamm angeschlossen. Sie hat Demonstrationen organisiert und Protestschreiben verfasst. Neunmal hat sie in den vergangenen zwei Jahren mit anderen Müttern, mit Bauern und Fischern den Bauplatz besetzt und die Arbeiten am Staudamm lahmgelegt.
Wie viele Menschen durch den Stausee ihre Lebensgrundlage verlieren, ist unklar. Die indische Regierung ging anfangs von 10 000 Betroffenen aus, hat die Prognose inzwischen aber auf 40 000 erhöht. Die deutsche Nichtregierungsorganisation "Urgewald" befürchtet, dass es noch deutlich mehr sein könnten. Die Indien-Expertin Heffa Schücking:
"Die dritte Umweltverträglichkeitsprüfung geht davon aus, dass Landfläche, die drei mal so groß ist wie eigentlicher Stausee wird komplett versumpfen. D.h. es könnten noch mal 80 bis 120 000 Menschen hinzukommen, denen die Landwirtschaft unmöglich wird."
Eine Milliarde Mark wird der Maheshwar-Staudamm voraussichtlich kosten. Ein Großprojekt, das tausende von Bauern in die Armut stürzen wird. Weder die Betreibergesellschaft noch die regionale Regierung hat den Bauern bislang sagen können, wo sie hingehen sollen, wenn das Land geflutet wird. Ein paar dutzend Familien wurde Ersatzland angeboten. Aber das lag ebenfalls im Überschwemmungsgebiet, sagt Chittaroopa Palit:
"Sie sagen uns: Es gibt keinen Platz für euch, ihr müsst gehen. Das ist die Botschaft an die 40 000 Menschen hier: Nehmt ein kleines Almosen als Entschädigung und geht. Sie versuchen, uns einzuschüchtern und die Bewegung zu spalten, indem sie einigen Familien Land abkaufen. Sie sagen: Wir werden euch kein Land als Entschädigung geben. Ihr müsst hier verschwinden oder ihr werdet in den Fluten untergehen."
Ob der Maheshwar-Staudamm in Indien gebaut wird, hängt auch von der deutschen Bundesregierung ab. Sie muss entscheiden, ob sie das Großprojekt durch eine staatliche Hermes-Bürgschaft absichert.
Zwei deutsche Firmen spielen bei dem Bau des ersten privat finanzierten Staudamms in Indien eine zentrale Rolle. Die bayerische HypoVereinsbank hat einen Kredit über 500 Millionen Mark in Aussicht gestellt - das ist immerhin die Hälfte des Investitionsvolumens. Und der Münchener Siemens-Konzern will die Turbinen für das Kraftwerk liefern. Vorausgesetzt, der Staat sichert das umstrittene Millionen-Geschäft über staatliche Hermes-Bürgschaften ab.
Eine grundsätzliche Zusage für eine staatliche Exportbürgschaft gab die Regierung Kohl bereits 1997. Nach dem Regierungswechsel in Deutschland hoffen die Betroffenen in der Maheshwar-Region auf eine Kehrtwende in Berlin. Die Umweltschützerin Chittaroopa Palit:
"Die deutsche Regierung hat eine Verantwortung. Wenn die deutsche Regierung aus dem Projekt aussteigt, weil kein Umsiedlungsplan vorliegt, weil der Damm ein soziales und ökologisches Desaster für das Narmada-Tal wäre, dann wäre das für andere beteiligte Länder wie die Schweiz oder die USA ein Signal."
Die rotgrüne Regierung tut sich schwer mit der Entscheidung. Was wiegt schwerer: Das Schicksal von tausenden indischen Bauern, oder die Wirtschaftsinteressen von zwei deutschen Konzernen?
Die rotgrüne Koalition selbst hat große Erwartungen geweckt. In der Koalitionsvereinbarung nach dem Wahlsieg im September 1998 hatten Sozialdemokraten und Grüne eine umfassende Reform der Hermes-Bürgschaften angekündigt. Bei der Vergabe sollten künftig nicht mehr allein die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands eine Rolle spielen. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag:
"Die neue Bundesregierung wird eine Reform der Außenwirtschaft-Förderung, insbesondere der Gewährung von Exportbürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten in die Wege leiten."
Seit anderthalb Jahren schiebt die rotgrüne Koalition die Reform der Hermes-Bürgschaften vor sich her. Zu sehr waren die Bündnispartner im vergangenen Jahr mit sich selbst beschäftigt. Doch nun wollen Sozialdemokraten und Grüne die Reform mit Leben füllen. Der Außenwirtschaftsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Hempelmann:
"Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir da jetzt rangehen, weil wir mit diesem Instrument unsere Wirtschaft auf Auslandsmärkten, vor allem EL, konkurrenzfähig halten oder machen wollen. Hier müssen wir auf zwei Dinge achten: Erstens das Wirtschaftsinstrument erhalten und optimieren, zweitens Dinge, die mittlerweile selbstverständlich geworden sind, Umwelt- und Sozialverträglichkeit, Entwicklungsverträglichkeit auf angemessene Weise einziehen."
Kohärenz heißt nun das Zauberwort. Die Förderung der Export-Wirtschaft soll künftig nicht mehr in Konflikt geraten mit den Zielen der Regierung in der Umwelt- und Entwicklungspolitik. Was das konkret bedeutet, das haben die Grünen in einem Eckpunktepapier festgehalten. Die entwicklungspolitische Sprecherin Angelika Köster-Loßack:
"Das Problem ist, dass wir bislang keinen Katalog haben, wie zum Beispiel in den USA. Umwelt- und soziale Faktoren werden von der Weltbank durchgeführt. Wenn wir ähnliches hinkriegen, sind wir weiter, dann IMA klare Kriterien für die Vergabe. Das heißt konkret, Rüstungsgüter müssen ausgeschlossen werden, Großstaudämme. AKWs. Wir können nicht in Deutschland den Atom-Ausstieg planen und im Ausland AKWs mit Hermes-Bürgschaften absichern helfen."
Es waren in erster Linie umstrittene Großprojekte, die die Hermes-Absicherungen in die Schusslinie gebracht haben. In den neunziger Jahren zum Beispiel Rüstungslieferungen an das korrupte Suharto-Regime in Indonesien oder der Drei-Schluchten-Staudamm in China, für den über eine Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen.
Inzwischen pocht selbst die CDU/CSU auf Veränderungen. Zu Regierungszeiten hat die Union von einer Reform der Hermes-Bürgschaften zwar nie viel wissen wollen, nun drängt sie zur Eile. In einer kleinen Anfrage im Bundestag monierte der entwicklungspolitische Sprecher der Union, Klaus-Jürgen Hedrich, das schleppende Tempo bei der Neuordnung der Exportförderung:
"Wir müssen immer betonen, dass Hermes Instrument der Wirtschaftsförderung ist. Aber auch in globaler Welt andere Aspekte, Ökologie, Entwicklungspolitik, einbeziehen. Haben diese Aspekte in Vergangenheit zu wenig berücksichtigt. Das muss in Zukunft stärker geschehen."
Die Hermes-Bürgschaften sind das wichtigste Instrument der deutschen Exportförderung. Sie schützen die deutschen Unternehmen vor Verlusten im Auslandsgeschäft. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn der Abnehmer nicht zahlt, springt der Staat ein.
Insgesamt werden nur knapp drei Prozent der deutschen Exporte mit staatlichen Garantien abgesichert. Im Handel mit Entwicklungsländern spielen die Hermes-Versicherungen dagegen eine wichtige Rolle: Der Großteil der deutschen Ausfuhren in die Dritte Welt wird durch staatliche Bürgschaften abgedeckt. Damit sichern sich die Unternehmen gegen politische und wirtschaftliche Risiken ab. So hat zum Beispiel die Wirtschaftskrise in Asien und Russland in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die Schadensfälle kräftig in die Höhe schnellen lassen. Auch Krieg und Zusammenbruch auf dem Balkan haben viele Auslandsgeschäfte platzen lassen. Über 30 Milliarden Mark an Ausfällen hat der Bund in den neunziger Jahren auffangen müssen.
Ohne die Hermes-Absicherung kämen die meisten Geschäfte gar nicht zustande, das Risiko wäre für die Unternehmen zu groß, sagt Alexander Böhmer, Hermes-Experte beim Bundesverband der deutschen Industrie:
"Nur 2,7 Prozent der deutschen Exporte werden von Hermes gedeckt. Das hört sich nach nicht viel an. Es geht aber darum, dass vor allem bei Erschließung schwieriger Märkte vor allem in EL die Hermes-Bürgschaften die einzige Möglichkeit darstellen, solche Exportgeschäfte durchzuführen. Für Markterschließung sehr wichtiges Instrument."
Die Wirtschaft befürchtet, dass die geplante Reform die staatliche Exportförderung wirkungslos macht. Die Prüfung der Ausfuhren auf mögliche soziale, umwelt- und entwicklungspolitische Wirkungen, so argwöhnt Industrielobbyist Alexander Böhmer, werde zu einem langwierigen und bürokratischen Verfahren. Dadurch gerieten die deutschen Anbieter gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen.
"Das Bestreben, alle Hermes-Anträge an weitreichenden Entwicklungs- und Umweltkriterien zu überprüfen, würde das Instrument entscheidend überfordern. Mit der Konsequenz, dass man am Ende weder den entwicklungspolitischen noch den Exportzielen gerecht werden würde. Jetziger Zustand optimal. Wir brauchen Gremium, dass Ermessenentscheidung trifft. Darf nicht eingeschränkt werden durch starre Kriterien. IMA muss in der Lage sein, zu sagen, wir sehen, dass ein Projekt großen Arbeitsplatzeffekt hat, dafür gibt es ökologische Bedenken, die stellen wir zurück."
Einen Fürsprecher im rotgrünen Kabinett hat die Industrie in Wirtschaftsminister Werner Müller gefunden. Müller hat sich wiederholt gegen eine Reform der Hermes-Bürgschaften ausgesprochen, weil sie negative Folgen für die deutsche Wirtschaft hätte. Schließlich würden durch Hermes-Bürgschaften rund 400 000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Hermes-Kritiker wie Heffa Schücking bestreiten jedoch, dass die geplante Reform eine wirksame Exportförderung verhindere. 30 000 Anträge auf Hermes-Garantien werden pro Jahr gestellt, der überwiegende Teil sei unbedenklich - und müsste daher gar nicht einer aufwendigen Überprüfung unterzogen werden.
"Wer hat was dagegen einzuwenden, wenn Unternehmen Strickmaschinen in die Türkei liefert. Deshalb ist ein Verfahren notwendig, welche Anträge müssen genauer geprüft werden. 285: Man denke an Bergbau, Großstaudämme, AKWs, Zellstoffwerke. Das wären Beispiele wo wir sagen, die müssen gesonderter Prüfung unterzogen werden. Klare Standards müssen definiert werden. Schmerzgrenze: Wenn zehntausende von Menschen vertrieben werden, dann ist es egal, wie viel Arbeitsplätze hier gesichert werden. Das ist nicht in Ordnung."
Wie die Hermes-Reform im Detail aussehen soll, darüber gehen die Meinungen noch deutlich auseinander. Beispiel Atomenergie. Die Grünen möchten staatliche Bürgschaften für Atommeiler ganz untersagen, die SPD dagegen will das im Einzelfall entscheiden.
"Ich stelle mir vor, dass wir Neubauten von AKWs nicht finanzieren. Aber: Wenn noch drei Jahrzehnte AKWs im Inland, dann brauchen wir Technologie im Land. Das gelingt uns am Besten, wenn Unternehmen weiterhin einen Markt haben. Das ist nicht ganz widerspruchsfrei. Wir stecken da in einem Dilemma. Aber wir müssen verständlich machen: Wir können die AKW-Technik nichtvöllig blockieren."
Dass die rotgrüne Regierung durchaus ein offenes Ohr für die Anliegen der Atomwirtschaft hat, stellte sie erst im vergangenen März unter Beweis. Da entschied der Interministerielle Ausschuss, dem neben dem Wirtschafts- und Finanzminister auch der grüne Außenminister angehören, dass der Neubau eines Atomkraftwerks in China mit Hermes-Bürgschaften abgesichert werden soll. Es geht dabei um eine Lieferung des Siemens-Konzerns in Höhe von 300 Millionen Mark. Außerdem übernimmt die Regierung das finanzielle Risiko für die Nachrüstung von Kernreaktoren in Argentinien und Litauen.
Im Inland den Ausstieg propagieren, und im Ausland den Bau von Atomkraftwerken mit Steuergeldern finanzieren - die grüne Basis war empört.
Was die Regierung Kohl nicht wagte, setzt die Regierung Schröder nun um: Seit über 20 Jahren wird zum ersten Mal der Neubau eines Atomkraftwerks im Ausland mit Steuergeldern abgesichert. Trostpflaster für die grüne Basis: Bürgschaftsanträge für zehn weitere Atom-Projekte sollen im Gegenzug nicht genehmigt werden.
Dass die Öffentlichkeit überhaupt von den Atom-Bürgschaften erfuhr, war Zufall - die Berliner Tageszeitung hatte davon Wind bekommen. Denn der Interministerielle Ausschuss - die letzte Instanz in Sachen Hermes-Bürgschaften - pflegt traditionell einen äußerst diskreten Stil. Er tagt hinter verschlossenen Türen, die Beschlüsse sickern - wenn überhaupt - erst mit großer zeitlicher Verzögerung durch. Diese Geheimniskrämerei verhindere eine offene Debatte, moniert die Hermes-Kritikerin Barbara Unmüßig:
"Keiner weiß, wann was entschieden wird. Wissen nur Mitglieder des IMA. Selbst Parlament wird überlaufen, höchstens im Nachhinein informiert, was entschieden wurde. Daher gibt es vermutlich eine Großzahl von kritischen Projekten, von denen wir gar nichts wissen."
Mehr Transparenz, das zählt neben der inhaltlichen Hermes-Neuordnung zu den Kernforderungen der Reformer. Sie verweisen dabei auf das Beispiel USA. Die Exim-Bank, das nordamerikanische Pendant zu Hermes, stellt die Exportprojekte im Internet vor.
"Vorschlag: US-amerikanischem Beispiel der Exim-Bank folgen. Exim-Bank stellt im Internet Informationen ein, die Auskunft geben über Projektort und Projekttyp. Wichtige Begrenzung, weil keine Betriebsgeheimnisse veröffentlicht werden sollen. Uns würde reichen, wenn Projektort, Typ und Summe veröffentlicht werden. Da könnten wir überlegen: An dem Fluss, in der Region ein Staudamm, da haben wir Wissen drüber. Da können wir recherchieren, ob das ein problematisches Projekt ist."
Bis zum Herbst wollen Sozialdemokraten und Grüne einen Entwurf für die Reform der Hermes-Bürgschaften vorlegen, die Neuordnung der Exportförderung könnte dann noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, meint die Grünen-Politikerin Angelika Köster-Loßack. Die Grünen stehen dabei unter Erfolgsdruck, nach den Atom-Bürgschaften vom Frühjahr gilt es, verloren gegangenen Kredit zurück zu gewinnen:
"Wir müssen schwer daran arbeiten, dass der Glaubwürdigkeitverlust wieder eingefangen wird. Wir müssen durch die Reform Vertrauen zurückgewinnen."
Ob es tatsächlich zu einer raschen Einigung auf ein Reformkonzept kommt, ist unklar. Genauso wie die Entscheidung zum umstrittenen Staudamm in Maheshwar. Die Grünen sind dagegen, die Sozialdemokraten wollen sich noch nicht festlegen. Indische Umweltschützer wie Chittaroopa Palit bleiben daher vorsichtig.
"Wir machen uns keine Illusionen. Wir wissen, dass es ein langer Kampf werden wird. Wenn das Geld aus Deutschland doch fließt und die Betreiber den Staudamm gegen alle Widerstände durchzusetzen versuchen, dann bleibt uns nur eine Alternative: Wir werden weiter kämpfen. Die Konfrontationen werden härter werden, es wird mehr Repression geben, vielleicht wird die Polizei auf uns schießen, vielleicht werden Menschen sterben. Aber am Ende werden wir den Staudamm stoppen."
Einen wichtigen Erfolg haben sie schon errungen. Zwei deutsche Stromkonzerne haben aus dem hartnäckigen Widerstand Konsequenzen gezogen. Die Vereinigten Elektrizitätswerke und das Bayer-Werk haben sich vor einem Jahr von dem Staudamm-Projekt verabschiedet.
Urmila Partidar lebt in Pathrad, einem 5000-Seelendorf am Narmada-Fluss. Vor drei Jahren hat sich die 26jährige der Bewegung gegen den Staudamm angeschlossen. Sie hat Demonstrationen organisiert und Protestschreiben verfasst. Neunmal hat sie in den vergangenen zwei Jahren mit anderen Müttern, mit Bauern und Fischern den Bauplatz besetzt und die Arbeiten am Staudamm lahmgelegt.
Wie viele Menschen durch den Stausee ihre Lebensgrundlage verlieren, ist unklar. Die indische Regierung ging anfangs von 10 000 Betroffenen aus, hat die Prognose inzwischen aber auf 40 000 erhöht. Die deutsche Nichtregierungsorganisation "Urgewald" befürchtet, dass es noch deutlich mehr sein könnten. Die Indien-Expertin Heffa Schücking:
"Die dritte Umweltverträglichkeitsprüfung geht davon aus, dass Landfläche, die drei mal so groß ist wie eigentlicher Stausee wird komplett versumpfen. D.h. es könnten noch mal 80 bis 120 000 Menschen hinzukommen, denen die Landwirtschaft unmöglich wird."
Eine Milliarde Mark wird der Maheshwar-Staudamm voraussichtlich kosten. Ein Großprojekt, das tausende von Bauern in die Armut stürzen wird. Weder die Betreibergesellschaft noch die regionale Regierung hat den Bauern bislang sagen können, wo sie hingehen sollen, wenn das Land geflutet wird. Ein paar dutzend Familien wurde Ersatzland angeboten. Aber das lag ebenfalls im Überschwemmungsgebiet, sagt Chittaroopa Palit:
"Sie sagen uns: Es gibt keinen Platz für euch, ihr müsst gehen. Das ist die Botschaft an die 40 000 Menschen hier: Nehmt ein kleines Almosen als Entschädigung und geht. Sie versuchen, uns einzuschüchtern und die Bewegung zu spalten, indem sie einigen Familien Land abkaufen. Sie sagen: Wir werden euch kein Land als Entschädigung geben. Ihr müsst hier verschwinden oder ihr werdet in den Fluten untergehen."
Ob der Maheshwar-Staudamm in Indien gebaut wird, hängt auch von der deutschen Bundesregierung ab. Sie muss entscheiden, ob sie das Großprojekt durch eine staatliche Hermes-Bürgschaft absichert.
Zwei deutsche Firmen spielen bei dem Bau des ersten privat finanzierten Staudamms in Indien eine zentrale Rolle. Die bayerische HypoVereinsbank hat einen Kredit über 500 Millionen Mark in Aussicht gestellt - das ist immerhin die Hälfte des Investitionsvolumens. Und der Münchener Siemens-Konzern will die Turbinen für das Kraftwerk liefern. Vorausgesetzt, der Staat sichert das umstrittene Millionen-Geschäft über staatliche Hermes-Bürgschaften ab.
Eine grundsätzliche Zusage für eine staatliche Exportbürgschaft gab die Regierung Kohl bereits 1997. Nach dem Regierungswechsel in Deutschland hoffen die Betroffenen in der Maheshwar-Region auf eine Kehrtwende in Berlin. Die Umweltschützerin Chittaroopa Palit:
"Die deutsche Regierung hat eine Verantwortung. Wenn die deutsche Regierung aus dem Projekt aussteigt, weil kein Umsiedlungsplan vorliegt, weil der Damm ein soziales und ökologisches Desaster für das Narmada-Tal wäre, dann wäre das für andere beteiligte Länder wie die Schweiz oder die USA ein Signal."
Die rotgrüne Regierung tut sich schwer mit der Entscheidung. Was wiegt schwerer: Das Schicksal von tausenden indischen Bauern, oder die Wirtschaftsinteressen von zwei deutschen Konzernen?
Die rotgrüne Koalition selbst hat große Erwartungen geweckt. In der Koalitionsvereinbarung nach dem Wahlsieg im September 1998 hatten Sozialdemokraten und Grüne eine umfassende Reform der Hermes-Bürgschaften angekündigt. Bei der Vergabe sollten künftig nicht mehr allein die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands eine Rolle spielen. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag:
"Die neue Bundesregierung wird eine Reform der Außenwirtschaft-Förderung, insbesondere der Gewährung von Exportbürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten in die Wege leiten."
Seit anderthalb Jahren schiebt die rotgrüne Koalition die Reform der Hermes-Bürgschaften vor sich her. Zu sehr waren die Bündnispartner im vergangenen Jahr mit sich selbst beschäftigt. Doch nun wollen Sozialdemokraten und Grüne die Reform mit Leben füllen. Der Außenwirtschaftsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Hempelmann:
"Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir da jetzt rangehen, weil wir mit diesem Instrument unsere Wirtschaft auf Auslandsmärkten, vor allem EL, konkurrenzfähig halten oder machen wollen. Hier müssen wir auf zwei Dinge achten: Erstens das Wirtschaftsinstrument erhalten und optimieren, zweitens Dinge, die mittlerweile selbstverständlich geworden sind, Umwelt- und Sozialverträglichkeit, Entwicklungsverträglichkeit auf angemessene Weise einziehen."
Kohärenz heißt nun das Zauberwort. Die Förderung der Export-Wirtschaft soll künftig nicht mehr in Konflikt geraten mit den Zielen der Regierung in der Umwelt- und Entwicklungspolitik. Was das konkret bedeutet, das haben die Grünen in einem Eckpunktepapier festgehalten. Die entwicklungspolitische Sprecherin Angelika Köster-Loßack:
"Das Problem ist, dass wir bislang keinen Katalog haben, wie zum Beispiel in den USA. Umwelt- und soziale Faktoren werden von der Weltbank durchgeführt. Wenn wir ähnliches hinkriegen, sind wir weiter, dann IMA klare Kriterien für die Vergabe. Das heißt konkret, Rüstungsgüter müssen ausgeschlossen werden, Großstaudämme. AKWs. Wir können nicht in Deutschland den Atom-Ausstieg planen und im Ausland AKWs mit Hermes-Bürgschaften absichern helfen."
Es waren in erster Linie umstrittene Großprojekte, die die Hermes-Absicherungen in die Schusslinie gebracht haben. In den neunziger Jahren zum Beispiel Rüstungslieferungen an das korrupte Suharto-Regime in Indonesien oder der Drei-Schluchten-Staudamm in China, für den über eine Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen.
Inzwischen pocht selbst die CDU/CSU auf Veränderungen. Zu Regierungszeiten hat die Union von einer Reform der Hermes-Bürgschaften zwar nie viel wissen wollen, nun drängt sie zur Eile. In einer kleinen Anfrage im Bundestag monierte der entwicklungspolitische Sprecher der Union, Klaus-Jürgen Hedrich, das schleppende Tempo bei der Neuordnung der Exportförderung:
"Wir müssen immer betonen, dass Hermes Instrument der Wirtschaftsförderung ist. Aber auch in globaler Welt andere Aspekte, Ökologie, Entwicklungspolitik, einbeziehen. Haben diese Aspekte in Vergangenheit zu wenig berücksichtigt. Das muss in Zukunft stärker geschehen."
Die Hermes-Bürgschaften sind das wichtigste Instrument der deutschen Exportförderung. Sie schützen die deutschen Unternehmen vor Verlusten im Auslandsgeschäft. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn der Abnehmer nicht zahlt, springt der Staat ein.
Insgesamt werden nur knapp drei Prozent der deutschen Exporte mit staatlichen Garantien abgesichert. Im Handel mit Entwicklungsländern spielen die Hermes-Versicherungen dagegen eine wichtige Rolle: Der Großteil der deutschen Ausfuhren in die Dritte Welt wird durch staatliche Bürgschaften abgedeckt. Damit sichern sich die Unternehmen gegen politische und wirtschaftliche Risiken ab. So hat zum Beispiel die Wirtschaftskrise in Asien und Russland in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die Schadensfälle kräftig in die Höhe schnellen lassen. Auch Krieg und Zusammenbruch auf dem Balkan haben viele Auslandsgeschäfte platzen lassen. Über 30 Milliarden Mark an Ausfällen hat der Bund in den neunziger Jahren auffangen müssen.
Ohne die Hermes-Absicherung kämen die meisten Geschäfte gar nicht zustande, das Risiko wäre für die Unternehmen zu groß, sagt Alexander Böhmer, Hermes-Experte beim Bundesverband der deutschen Industrie:
"Nur 2,7 Prozent der deutschen Exporte werden von Hermes gedeckt. Das hört sich nach nicht viel an. Es geht aber darum, dass vor allem bei Erschließung schwieriger Märkte vor allem in EL die Hermes-Bürgschaften die einzige Möglichkeit darstellen, solche Exportgeschäfte durchzuführen. Für Markterschließung sehr wichtiges Instrument."
Die Wirtschaft befürchtet, dass die geplante Reform die staatliche Exportförderung wirkungslos macht. Die Prüfung der Ausfuhren auf mögliche soziale, umwelt- und entwicklungspolitische Wirkungen, so argwöhnt Industrielobbyist Alexander Böhmer, werde zu einem langwierigen und bürokratischen Verfahren. Dadurch gerieten die deutschen Anbieter gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen.
"Das Bestreben, alle Hermes-Anträge an weitreichenden Entwicklungs- und Umweltkriterien zu überprüfen, würde das Instrument entscheidend überfordern. Mit der Konsequenz, dass man am Ende weder den entwicklungspolitischen noch den Exportzielen gerecht werden würde. Jetziger Zustand optimal. Wir brauchen Gremium, dass Ermessenentscheidung trifft. Darf nicht eingeschränkt werden durch starre Kriterien. IMA muss in der Lage sein, zu sagen, wir sehen, dass ein Projekt großen Arbeitsplatzeffekt hat, dafür gibt es ökologische Bedenken, die stellen wir zurück."
Einen Fürsprecher im rotgrünen Kabinett hat die Industrie in Wirtschaftsminister Werner Müller gefunden. Müller hat sich wiederholt gegen eine Reform der Hermes-Bürgschaften ausgesprochen, weil sie negative Folgen für die deutsche Wirtschaft hätte. Schließlich würden durch Hermes-Bürgschaften rund 400 000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Hermes-Kritiker wie Heffa Schücking bestreiten jedoch, dass die geplante Reform eine wirksame Exportförderung verhindere. 30 000 Anträge auf Hermes-Garantien werden pro Jahr gestellt, der überwiegende Teil sei unbedenklich - und müsste daher gar nicht einer aufwendigen Überprüfung unterzogen werden.
"Wer hat was dagegen einzuwenden, wenn Unternehmen Strickmaschinen in die Türkei liefert. Deshalb ist ein Verfahren notwendig, welche Anträge müssen genauer geprüft werden. 285: Man denke an Bergbau, Großstaudämme, AKWs, Zellstoffwerke. Das wären Beispiele wo wir sagen, die müssen gesonderter Prüfung unterzogen werden. Klare Standards müssen definiert werden. Schmerzgrenze: Wenn zehntausende von Menschen vertrieben werden, dann ist es egal, wie viel Arbeitsplätze hier gesichert werden. Das ist nicht in Ordnung."
Wie die Hermes-Reform im Detail aussehen soll, darüber gehen die Meinungen noch deutlich auseinander. Beispiel Atomenergie. Die Grünen möchten staatliche Bürgschaften für Atommeiler ganz untersagen, die SPD dagegen will das im Einzelfall entscheiden.
"Ich stelle mir vor, dass wir Neubauten von AKWs nicht finanzieren. Aber: Wenn noch drei Jahrzehnte AKWs im Inland, dann brauchen wir Technologie im Land. Das gelingt uns am Besten, wenn Unternehmen weiterhin einen Markt haben. Das ist nicht ganz widerspruchsfrei. Wir stecken da in einem Dilemma. Aber wir müssen verständlich machen: Wir können die AKW-Technik nichtvöllig blockieren."
Dass die rotgrüne Regierung durchaus ein offenes Ohr für die Anliegen der Atomwirtschaft hat, stellte sie erst im vergangenen März unter Beweis. Da entschied der Interministerielle Ausschuss, dem neben dem Wirtschafts- und Finanzminister auch der grüne Außenminister angehören, dass der Neubau eines Atomkraftwerks in China mit Hermes-Bürgschaften abgesichert werden soll. Es geht dabei um eine Lieferung des Siemens-Konzerns in Höhe von 300 Millionen Mark. Außerdem übernimmt die Regierung das finanzielle Risiko für die Nachrüstung von Kernreaktoren in Argentinien und Litauen.
Im Inland den Ausstieg propagieren, und im Ausland den Bau von Atomkraftwerken mit Steuergeldern finanzieren - die grüne Basis war empört.
Was die Regierung Kohl nicht wagte, setzt die Regierung Schröder nun um: Seit über 20 Jahren wird zum ersten Mal der Neubau eines Atomkraftwerks im Ausland mit Steuergeldern abgesichert. Trostpflaster für die grüne Basis: Bürgschaftsanträge für zehn weitere Atom-Projekte sollen im Gegenzug nicht genehmigt werden.
Dass die Öffentlichkeit überhaupt von den Atom-Bürgschaften erfuhr, war Zufall - die Berliner Tageszeitung hatte davon Wind bekommen. Denn der Interministerielle Ausschuss - die letzte Instanz in Sachen Hermes-Bürgschaften - pflegt traditionell einen äußerst diskreten Stil. Er tagt hinter verschlossenen Türen, die Beschlüsse sickern - wenn überhaupt - erst mit großer zeitlicher Verzögerung durch. Diese Geheimniskrämerei verhindere eine offene Debatte, moniert die Hermes-Kritikerin Barbara Unmüßig:
"Keiner weiß, wann was entschieden wird. Wissen nur Mitglieder des IMA. Selbst Parlament wird überlaufen, höchstens im Nachhinein informiert, was entschieden wurde. Daher gibt es vermutlich eine Großzahl von kritischen Projekten, von denen wir gar nichts wissen."
Mehr Transparenz, das zählt neben der inhaltlichen Hermes-Neuordnung zu den Kernforderungen der Reformer. Sie verweisen dabei auf das Beispiel USA. Die Exim-Bank, das nordamerikanische Pendant zu Hermes, stellt die Exportprojekte im Internet vor.
"Vorschlag: US-amerikanischem Beispiel der Exim-Bank folgen. Exim-Bank stellt im Internet Informationen ein, die Auskunft geben über Projektort und Projekttyp. Wichtige Begrenzung, weil keine Betriebsgeheimnisse veröffentlicht werden sollen. Uns würde reichen, wenn Projektort, Typ und Summe veröffentlicht werden. Da könnten wir überlegen: An dem Fluss, in der Region ein Staudamm, da haben wir Wissen drüber. Da können wir recherchieren, ob das ein problematisches Projekt ist."
Bis zum Herbst wollen Sozialdemokraten und Grüne einen Entwurf für die Reform der Hermes-Bürgschaften vorlegen, die Neuordnung der Exportförderung könnte dann noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, meint die Grünen-Politikerin Angelika Köster-Loßack. Die Grünen stehen dabei unter Erfolgsdruck, nach den Atom-Bürgschaften vom Frühjahr gilt es, verloren gegangenen Kredit zurück zu gewinnen:
"Wir müssen schwer daran arbeiten, dass der Glaubwürdigkeitverlust wieder eingefangen wird. Wir müssen durch die Reform Vertrauen zurückgewinnen."
Ob es tatsächlich zu einer raschen Einigung auf ein Reformkonzept kommt, ist unklar. Genauso wie die Entscheidung zum umstrittenen Staudamm in Maheshwar. Die Grünen sind dagegen, die Sozialdemokraten wollen sich noch nicht festlegen. Indische Umweltschützer wie Chittaroopa Palit bleiben daher vorsichtig.
"Wir machen uns keine Illusionen. Wir wissen, dass es ein langer Kampf werden wird. Wenn das Geld aus Deutschland doch fließt und die Betreiber den Staudamm gegen alle Widerstände durchzusetzen versuchen, dann bleibt uns nur eine Alternative: Wir werden weiter kämpfen. Die Konfrontationen werden härter werden, es wird mehr Repression geben, vielleicht wird die Polizei auf uns schießen, vielleicht werden Menschen sterben. Aber am Ende werden wir den Staudamm stoppen."
Einen wichtigen Erfolg haben sie schon errungen. Zwei deutsche Stromkonzerne haben aus dem hartnäckigen Widerstand Konsequenzen gezogen. Die Vereinigten Elektrizitätswerke und das Bayer-Werk haben sich vor einem Jahr von dem Staudamm-Projekt verabschiedet.