Ihren Vermögensgegenständen kein Leben einhauchen und mit ihnen Kapital erzeugen, weil das Recht sie aus dem formalen Eigentumssystem ausschließt. Sie besitzen Billionen Dollar an totem Kapital, doch die sind wie isolierte Tümpel, deren Wasser in einem sterilen Sandstreifen versickern, statt eine gewaltige Wassermasse zu bilden, die man in einem vereinheitlichten Eigentumssystem auffangen könnte.
In der peruanischen Hauptstadt Lima, der Heimatstadt des Autors, haben seine Mitarbeiter 289 Tage und 1.231 Dollar, das 31fache des monatlichen Mindestlohns, gebraucht, nur um eine Firma ins Handelsregister eintragen zu können. Das offizielle Genehmigungsverfahren zum Bau eines Hauses auf öffentlichem Land dauerte sechs Jahre und elf Monate und erforderte 207 Behördengänge in 52 Regierungsstellen. In Haiti oder Ägypten, in Manila oder in Mexiko-Stadt ist es nicht viel anders. Wenn die Hindernisse zur Bildung formellen, staatlich anerkannten und daher geschützten Eigentums zu hoch, nachgerade unüberwindlich sind, entstehen Vermögen informell, ja illegal. De Soto vermittelt einen Eindruck von der Größenordnung dieser von ihm so bezeichneten extralegalen Vermögensbildung. In Peru schätzt er einen Wert von 74,2 Milliarden Dollar, in Ägypten kommt er auf 241,4 Milliarden Dollar, und für die Philippinen gibt er 132,9 Milliarden US-Dollar informellen Kapitals an. Das ist "totes Kapital" en masse, das "zum Leben" erweckt werden könnte – wenn die staatlichen Bürokratien es sich nur leichter mit der Legalisierung der extralegalen Vermögen machen würden. Etwa so, wie in den USA im 19. Jahrhundert. In einem langen Kapitel beschäftigt sich de Soto mit den "vernachlässigten Lehren aus der Geschichte der Vereinigten Staaten". Gerichte und Verwaltungen, so der Autor, haben besetztes und vereinnahmtes Land den Landbesetzern zugeteilt, die es bearbeiteten - den sog. "Squatters". So einfach, aber auch eindeutig kann man Eigentum sichern. Dass diese Landnahme mit der blutigen Vertreibung der indianischen Ureinwohner verbunden war, ist dem Autor weniger als einen Halbsatz wert. Grund und Boden und andere Objekte sind in aller Regel keine freien Güter, alles ist schon in Besitz genommen, und es konkurrieren Eigentumsansprüche gegeneinander. Wer hat das ältere und besser dokumentierte Recht? Oder gilt das Gesetz des Stärkeren bei der Vergabe von Eigentumstiteln?
Die Squatters unserer Tage sind beispielsweise die Landlosen in Brasilien, die Latifundien besetzt haben. Ihnen Land zuzuteilen, wie de Soto im historischen Rückblick auf die USA lehrt, erfordert eine Landreform. Dagegen haben sich die Großgrundbesitzer mit ihrer extralegalen, aber von der Justiz sehr häufig gebilligten Gewalt zur Wehr gesetzt. Auf die Landlosen haben sie ihre Revolvermänner gehetzt. Auch so werden bis in unsere Tage Eigentumsrechte durchgesetzt.
Die Konflikte, die mit dem Eigentum entstehen, waren den frühbürgerlichen Theoretikern privaten Eigentums wohl bekannt. Sie wussten auch, dass das Eigentumsrecht immer und notgedrungen ein Ausschlussrecht ist. Eigentum macht ja nur Sinn, wenn es der Aneignung dienen kann. Die in de Sotos deutschem Buchtitel mit Ausrufezeichen geforderte "Freiheit für das Kapital!" besteht ja wesentlich darin, eigentumslose Arbeiter zu beschäftigen und dabei zu verdienen. Wenn also Eigentumsrechte etabliert und der Zugang zu Eigentum erleichtert werden, müssen auch soziale Rechte zum Schutz der Eigentumslosen geschaffen werden. So ist die Entwicklung in allen kapitalistischen Ländern gelaufen. Diese historische Lehre kommt freilich im Argument Hernando de Sotos nur beiläufig vor. Auch das Geld spielt in dem Buch nur eine eher randständige Rolle.
Geld setzt Eigentum voraus,
heißt es lapidar. Dabei ist die Bewertung des Eigentums ohne Geld gar nicht möglich. Man weiß aus der Kapitalrechnung, dass Eigentum so viel wert ist, wie es Ertrag bringt. 5.000 US-Dollar pro Jahr bei einem Zinssatz von 5 Prozent macht einen Kapitalwert von 100.000 US-Dollar. Mit anderen Worten, der Wert des Eigentums ist keine fixe Größe, sondern abhängig von den Erträgen und dem Zinssatz. Letzterer wird auf globalen Finanzmärkten gebildet. Diese abstrakten Zusammenhänge mussten viele Menschen, zum Beispiel in Mexiko, im Laufe der jüngsten Finanzkrisen sehr konkret erfahren. Diejenigen, die es schon zu einem kleinen Eigentum gebracht und auch Bankkredite aufgenommen hatten, mussten lernen, wie in der Finanzkrise der 1990er Jahre die Erträge ausblieben und gleichzeitig von den Banken ihre gestiegenen Refinanzierungskosten in Form extrem erhöhter Zinsen weitergewälzt wurden, so sehr, dass die Schuldner massenhaft in den Bankrott getrieben wurden. Eigentum allein ist also keineswegs der Prinzenkuss, der Dornröschen erweckt. In der Krise hätten die kleinen Unternehmer das Eigentum an die Banken verloren, wenn sie sich nicht zur Wehr gesetzt und eine über Jahre mächtige Schuldnerbewegung - "El Barzon" genannt - gebildet hätten. Paradoxerweise sind die ganz Armen von diesen Turbulenzen der Finanzkrise viel weniger betroffen. Sie haben zu wenig Eigentum, als dass Banken ihnen Kredit gewährt hätten. Also wurden sie nicht in den Strudel der Finanzkrise hineingerissen.
Hernando de Soto hat ein optimistisches Buch geschrieben mit einer sehr einfachen und zunächst einleuchtenden Botschaft: Formalisiert extralegales Eigentum, und das Kapital wird die neue Freiheit zum Besten der Armen nutzen. Leider ist diese Eindeutigkeit nur um den Preis der extremen Vereinfachung ökonomischer, sozialer und politischer Zusammenhänge zu haben gewesen. Sie ist aber auch eine Herausforderung: der Eigentumsfrage - von der Landverteilung in Brasilien bis zur Regelung intellektueller Eigentumsrechte im Rahmen der Welthandelsorganisation – gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Eine außerordentlich komplizierte und konfliktreiche Angelegenheit, von der die Lektüre des Buches von Hernando de Soto immerhin eine Ahnung vermittelt.
Elmar Altvater besprach: "Hernando de Soto: Freiheit für das Kapital! Warum der Kapitalismus nicht weltweit funktioniert", erschienen im Rowohlt-Verlag Berlin. Das Buch hat 287 Seiten und kostet 19.90 Euro. Von Elmar Altvater selbst, Professor für Politikwissenschaften an der FU in Berlin, ist gerade erst ein Buch mit dem Titel "Globalisierung der Unsicherheit" erschienen. Er hat es gemeinsam verfasst mit Birgit Mahnkopf. Es setzt sich auf 393 Seiten mit zum Teil ähnlichen Gegenständen wie das Buch de Sotos auseinander, nämlich mit sogenannten "informellen Zwischenräumen", bei der Arbeit, beim Geld und in der Politik. In ihrer disziplinenübergreifenden Studie versuchen die Autoren einen seit rund 30 Jahren andauernden Transformationsprozess in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu beschreiben und zu erforschen. Sie begründen die These, dass die neue Weltordnung der Globalisierung keineswegs mehr Wohlstand für alle bedeutet, sondern größere Unordnung, wachsende Ungleichheit und Formen der Sicherung von Arbeit und Einkommen, die Gesetzesnormen brechen. Das Buch von Altvater und Mahnkopf, "Globalisierung der Unsicherheit’ ist im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen und kostet 24,80 Euro.