Maria Luisa Roriz geht mit einer Freundin über die kopfsteingepflasterte, holprige Hauptstraße von Rio de Onor. Neben der Straße rauscht leise der Onor - der Fluss, der dem Ort im nordöstlichsten Zipfel Portugals seinen Namen gab. Lachend deutet die 86-Jährige auf einen einfachen Wegweiser aus Holz. Spanien steht dort mit gelber Farbe geschrieben. Denn die Grenze geht mitten durch den Ort, der auf der spanischen Seite Rihonor de Castilla heißt. Und auch das große, von einer Granitmauer umgebene Gemeinschaftsfeld in der Ortsmitte ist teils portugiesisch, teils spanisch.
"Dieses Stück Land hier mitten im Ort haben wir "La Faceira" genannt. Es ist sehr zerteilt, den jeder im Dorf hat hier seine kleinen Parzellen. Da vorne fängt schon Spanien an, hier ist noch Portugal."
"Ohhh, da kann man nichts mehr machen. Auf der spanischen Seite gehen jetzt alle in die Kirche. Der Pfarrer läutet schon zum spanischen Gottesdienst. "
Maria Luisa Roriz ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Ihr Mann ist bereits vor vielen Jahren gestorben, doch in den Augen der 86-Jährigen blitzt Lebensfreude. Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass es drei ist - also 4 Uhr in Spanien, das in einer anderen Zeitzone liegt und immer eine Stunde voraus ist. Achselzuckend kehren die beiden Portugiesinnen um, denn ihre spanische Freundin ist nun sicher auf dem Weg in die Kirche. Auf der portugiesischen Seite kehren sie in dem kleinen Kulturzentrum ein, das von Mariano Preto geleitet wird.
"Tio Mariano grüßt freundlich und bittet die Frauen hinein, man hört die Tür und wie die Frauen sich im Raum setzen."
Der 68-Jährige freut sich über den Besuch, denn in Rio de Onor ist heute nicht mehr viel los. Da sich die Landwirtschaft kaum noch lohnt, sind die jungen Leute längst in die Städte an der Küste oder ins Ausland abgewandert. Auf der portugiesischen Seite leben 52 Menschen - fast alle im Ruhestand - auf der spanischen Seite sind es nur noch zwölf. Doch die Bewohner beider Seiten halten nach wie vor zusammen, erzählt Mariano Preto.
"Wir sind immer gut miteinander ausgekommen, denn viele Portugiesen haben auch auf spanischer Seite Felder und die Spanier haben Land auf unserer Seite. Früher hatten wir 600 Rinder, Ziegen und einen Zuchtbullen. Und die Spanier, die keinen eigenen Bullen hatten, kamen mit ihren Kühe zu uns herüber. Man vergaß manchmal fast, dass es sich um zwei verschiedene Dörfer handelt. Und ganz früher war es ja auch mal ein Dorf gewesen. "
Denn Portugal war lange Zeit eine nordspanische Grafschaft unter vielen anderen. Die portugiesisch-spanische Grenze - die als die älteste Staatsgrenze Europas gilt - wurde zwar bereits 1297 vertraglich festgelegt, doch es sollte über 500 Jahre dauern, bis sie genau vermessen wurde. In Rio de Onor und an manchen anderen Stellen wurde mit den Machthabern beider Seiten um jeden Meter gefeilscht, erklärt der Ethnologe Joaquim País de Brito, der lange Zeit in Rio de Onor geforscht hat.
"Die Felder um Rio de Onor gehörten zu verschiedenen Grafschaften. Und weil keiner der Grafen auf Land verzichten wollte, zog man die Grenze 1856 schließlich mitten durch den Ort. So brachten die Bauern auf der spanischen Seite ihre Abgaben weiter zum Grafen von Benavento und die Portugiesen nach Braganca. Die Grenze zwischen den Grafschaften, die nie genau festgelegt worden war, wurde endgültig zu einer Landesgrenze. "
Den Alltag der Bauern beeinträchtigte das nicht weiter. Da jeder Dorfbewohner - unabhängig davon, ob er in Portugal oder Spanien wohnt - seinen Anteil an dem bewässerten Gemeinschaftsfeld in der Dorfmitte hat, bearbeitete man weiter gemeinsam das Land und sprach sogar einen eigenen Dialekt, erklärt Mariano Preto.
"Wir nehmen uns einfach ein bisschen aus dem Portugiesischen und ein bisschen aus dem Spanischen - es ist ein richtiger Sprachmix. "
"So können wir uns besser verständigen. Je nachdem sprechen wir Portugiesisch oder eben im Dialekt. "
Über 100 Jahre war die Grenze - zumindest für die Bewohner von Rio de Onor - kein wirkliches Hindernis. Doch mit der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 und dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie änderte sich das: Da man fürchtete, Anhänger des alten Regimes könnten sich mit Waffen ins Nachbarland absetzen und von dort eine Widerstandsbewegung aufbauen, überwachte man die Grenze fortan strenger. In Rio de Onor wurde der Schlagbaum mit einem Vorhängeschloss gesichert. Bei den Landwirten sorgte dies für großen Unmut. Denn die Zollbeamten nahmen ihren Dienst erst um neun Uhr auf; die Bauern aber wollten im Sommer bereits mit dem ersten Hahnenschrei auf ihre Felder gehen. Doch in Rio de Onor hat man immer einen Weg gefunden, um auf die andere Seite zu kommen, lacht Maria Luisa Roriz, und macht sich mit ihrer Freundin erneut auf den Weg nach Spanien.
"Schau, hier war früher das Vorhängeschloss. Wenn Du mit deinem Heuwagen hier ankamst und niemand da war, musstest du erstmal einen Zöllner rufen, der dir die Schranke aufgemacht hat. So konnte das einfach nicht bleiben. Deswegen haben wir die Straße hier etwas verbreitert, damit wir mit unseren Ochsenkarren an der Absperrung vorbei fahren konnten. "
Das Vorhängeschloss wurde erst 1990, vier Jahre nach dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union entfernt - und der Grenzposten geschlossen. Dass Maria Luisa Roriz und ihr Freundin spanischen Boden betreten merken sie nur noch an dem blauen Schild, das hier wie an allen EU-Binnengrenzen steht.
Auf der spanischen Seite kommt ihnen Maria do Melim entgegen. Die Spanierin begrüßt die Portugiesinnen mit Küsschen, die in beiden Ländern obligatorisch sind.
Die Frauen gehen in die Küche, wo sich Maria do Melim am großen Holzkohleofen wärmt, denn
gegen Abend kann es immer noch empfindlich kühl werden.
"Die Frauen lachen: Nove meses de inverno, tres meses de inferno, sagt man hier - Neun Monate
Winter, drei Monate Hölle. Dann nehmen die Portugiesinnen auf einer Holzbank vor dem Fenster
Platz. Maria Luisa Roriz erinnert die Spanierin daran, dass sie momentan gleich alt sind. "
"Sie wird im Juni 87 und ich im November. Aber wir müssen ja nicht 87 sagen, wir können die Nummern ja auch einfach umdrehen."
Die Frauen spaßen vertraut miteinander. Hier und da benutzen sie Wörter aus ihrem Grenzland-Dialekt. Dabei stammt Maria do Melim gar nicht aus Rihonor de Castilla, sondern war erst mit ihrem Vater hergezogen, als sie zehn Jahre alt war. Später führte sie mit ihrem Mann beinahe 50 Jahre lang die "Taberna do Melim" - lange Zeit die einzige Kneipe und Einkaufsmöglichkeit dies- und jenseits der Grenze und damit Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens. Seit ihr Mann gestorben ist, führt der Sohn den Laden. Doch die Spanierin pflegt weiter enge Kontakte mit den portugiesischen Nachbarn.
"Ich habe mein ganzes Leben mit den Portugiesen verbracht. Ich habe oft gesagt, was wäre wohl ohne sie aus mir geworden? Ich mag Portugal sehr gerne. Und die Portugiesen berühren mich. Schließlich haben wir viel gemeinsam erlebt in all den Jahren. "
"Dieses Stück Land hier mitten im Ort haben wir "La Faceira" genannt. Es ist sehr zerteilt, den jeder im Dorf hat hier seine kleinen Parzellen. Da vorne fängt schon Spanien an, hier ist noch Portugal."
"Ohhh, da kann man nichts mehr machen. Auf der spanischen Seite gehen jetzt alle in die Kirche. Der Pfarrer läutet schon zum spanischen Gottesdienst. "
Maria Luisa Roriz ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Ihr Mann ist bereits vor vielen Jahren gestorben, doch in den Augen der 86-Jährigen blitzt Lebensfreude. Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass es drei ist - also 4 Uhr in Spanien, das in einer anderen Zeitzone liegt und immer eine Stunde voraus ist. Achselzuckend kehren die beiden Portugiesinnen um, denn ihre spanische Freundin ist nun sicher auf dem Weg in die Kirche. Auf der portugiesischen Seite kehren sie in dem kleinen Kulturzentrum ein, das von Mariano Preto geleitet wird.
"Tio Mariano grüßt freundlich und bittet die Frauen hinein, man hört die Tür und wie die Frauen sich im Raum setzen."
Der 68-Jährige freut sich über den Besuch, denn in Rio de Onor ist heute nicht mehr viel los. Da sich die Landwirtschaft kaum noch lohnt, sind die jungen Leute längst in die Städte an der Küste oder ins Ausland abgewandert. Auf der portugiesischen Seite leben 52 Menschen - fast alle im Ruhestand - auf der spanischen Seite sind es nur noch zwölf. Doch die Bewohner beider Seiten halten nach wie vor zusammen, erzählt Mariano Preto.
"Wir sind immer gut miteinander ausgekommen, denn viele Portugiesen haben auch auf spanischer Seite Felder und die Spanier haben Land auf unserer Seite. Früher hatten wir 600 Rinder, Ziegen und einen Zuchtbullen. Und die Spanier, die keinen eigenen Bullen hatten, kamen mit ihren Kühe zu uns herüber. Man vergaß manchmal fast, dass es sich um zwei verschiedene Dörfer handelt. Und ganz früher war es ja auch mal ein Dorf gewesen. "
Denn Portugal war lange Zeit eine nordspanische Grafschaft unter vielen anderen. Die portugiesisch-spanische Grenze - die als die älteste Staatsgrenze Europas gilt - wurde zwar bereits 1297 vertraglich festgelegt, doch es sollte über 500 Jahre dauern, bis sie genau vermessen wurde. In Rio de Onor und an manchen anderen Stellen wurde mit den Machthabern beider Seiten um jeden Meter gefeilscht, erklärt der Ethnologe Joaquim País de Brito, der lange Zeit in Rio de Onor geforscht hat.
"Die Felder um Rio de Onor gehörten zu verschiedenen Grafschaften. Und weil keiner der Grafen auf Land verzichten wollte, zog man die Grenze 1856 schließlich mitten durch den Ort. So brachten die Bauern auf der spanischen Seite ihre Abgaben weiter zum Grafen von Benavento und die Portugiesen nach Braganca. Die Grenze zwischen den Grafschaften, die nie genau festgelegt worden war, wurde endgültig zu einer Landesgrenze. "
Den Alltag der Bauern beeinträchtigte das nicht weiter. Da jeder Dorfbewohner - unabhängig davon, ob er in Portugal oder Spanien wohnt - seinen Anteil an dem bewässerten Gemeinschaftsfeld in der Dorfmitte hat, bearbeitete man weiter gemeinsam das Land und sprach sogar einen eigenen Dialekt, erklärt Mariano Preto.
"Wir nehmen uns einfach ein bisschen aus dem Portugiesischen und ein bisschen aus dem Spanischen - es ist ein richtiger Sprachmix. "
"So können wir uns besser verständigen. Je nachdem sprechen wir Portugiesisch oder eben im Dialekt. "
Über 100 Jahre war die Grenze - zumindest für die Bewohner von Rio de Onor - kein wirkliches Hindernis. Doch mit der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 und dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie änderte sich das: Da man fürchtete, Anhänger des alten Regimes könnten sich mit Waffen ins Nachbarland absetzen und von dort eine Widerstandsbewegung aufbauen, überwachte man die Grenze fortan strenger. In Rio de Onor wurde der Schlagbaum mit einem Vorhängeschloss gesichert. Bei den Landwirten sorgte dies für großen Unmut. Denn die Zollbeamten nahmen ihren Dienst erst um neun Uhr auf; die Bauern aber wollten im Sommer bereits mit dem ersten Hahnenschrei auf ihre Felder gehen. Doch in Rio de Onor hat man immer einen Weg gefunden, um auf die andere Seite zu kommen, lacht Maria Luisa Roriz, und macht sich mit ihrer Freundin erneut auf den Weg nach Spanien.
"Schau, hier war früher das Vorhängeschloss. Wenn Du mit deinem Heuwagen hier ankamst und niemand da war, musstest du erstmal einen Zöllner rufen, der dir die Schranke aufgemacht hat. So konnte das einfach nicht bleiben. Deswegen haben wir die Straße hier etwas verbreitert, damit wir mit unseren Ochsenkarren an der Absperrung vorbei fahren konnten. "
Das Vorhängeschloss wurde erst 1990, vier Jahre nach dem Beitritt beider Länder zur Europäischen Union entfernt - und der Grenzposten geschlossen. Dass Maria Luisa Roriz und ihr Freundin spanischen Boden betreten merken sie nur noch an dem blauen Schild, das hier wie an allen EU-Binnengrenzen steht.
Auf der spanischen Seite kommt ihnen Maria do Melim entgegen. Die Spanierin begrüßt die Portugiesinnen mit Küsschen, die in beiden Ländern obligatorisch sind.
Die Frauen gehen in die Küche, wo sich Maria do Melim am großen Holzkohleofen wärmt, denn
gegen Abend kann es immer noch empfindlich kühl werden.
"Die Frauen lachen: Nove meses de inverno, tres meses de inferno, sagt man hier - Neun Monate
Winter, drei Monate Hölle. Dann nehmen die Portugiesinnen auf einer Holzbank vor dem Fenster
Platz. Maria Luisa Roriz erinnert die Spanierin daran, dass sie momentan gleich alt sind. "
"Sie wird im Juni 87 und ich im November. Aber wir müssen ja nicht 87 sagen, wir können die Nummern ja auch einfach umdrehen."
Die Frauen spaßen vertraut miteinander. Hier und da benutzen sie Wörter aus ihrem Grenzland-Dialekt. Dabei stammt Maria do Melim gar nicht aus Rihonor de Castilla, sondern war erst mit ihrem Vater hergezogen, als sie zehn Jahre alt war. Später führte sie mit ihrem Mann beinahe 50 Jahre lang die "Taberna do Melim" - lange Zeit die einzige Kneipe und Einkaufsmöglichkeit dies- und jenseits der Grenze und damit Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens. Seit ihr Mann gestorben ist, führt der Sohn den Laden. Doch die Spanierin pflegt weiter enge Kontakte mit den portugiesischen Nachbarn.
"Ich habe mein ganzes Leben mit den Portugiesen verbracht. Ich habe oft gesagt, was wäre wohl ohne sie aus mir geworden? Ich mag Portugal sehr gerne. Und die Portugiesen berühren mich. Schließlich haben wir viel gemeinsam erlebt in all den Jahren. "