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Hilfe bei Zerebralparese

Neurologie. - Eine Infektion, eine Giftstoff, ein starker Stoß vor oder nach der Geburt können das Gehirn von Babys dauerhaft schädigen. Eine mögliche Folge ist eine Zerebralparese, ein Lähmung, die ihre Ursache in den Zentren der Bewegungssteuerung des Gehirns hat. Wirklich wirksame Therapien gibt es bislang nicht. Forscher aus Detroit berichten in der aktuellen "Science Translational Medicine" von einem neuen Behandlungsansatz.

Von Volkart Wildermuth | 19.04.2012
    Eines von 500 Babys entwickelt in den Monaten nach der Geburt schwere Bewegungsstörungen, hat Probleme mit dem Gleichgewicht, zeigt Lähmungen oder schwere Verkrampfungen. Diagnose: Zerebralparese.

    "Wir sehen bei diesen Babys ernste Probleme bei der Steuerung der Bewegungen. Das ist nicht nur für das Kind, sondern auch für die Familie eine große Herausforderung."

    Dr. Rangaramanujam Kannan kennt viele dieser Familien. Zusammen mit seiner Frau sucht er am Nationalen Institut für Kindergesundheit und menschliche Entwicklung der USA in Detroit nach neuen Behandlungsansätzen. Eine Zerebralparese kann viele Ursachen haben, aber sie alle führen zu einer Entzündung im Nervengewebe. Die Immunzellen des Gehirns räumen erst nur störende Abfälle beiseite, auf Dauer greifen sie aber auch gesunde Nerven an und schädigen so die Bewegungszentren. Diese Prozesse lassen sich im Tiermodell nachstellen, indem die Forscher trächtigen Hasenweibchen ein entzündungsförderndes Bakteriengift in die Gebärmutter injizieren. Wenn dann der Wurf auf die Welt kommt, taumeln die Neugeborenen nur herum. Behandeln wollten die Kannans die Entzündung mit N-Acetyl-Cystein. NAC hemmt Entzündungen und wirkt oxidativem Stress entgegen. Das Medikament ist gut verträglich und wird beispielsweise zur Schleimlösung bei Husten oder nach Paracetamolvergiftungen eingesetzt. Allerdings bewirkte es in den Experimenten zur Zerebralparese so gut wie nichts. Es gelangt einfach nicht genug Wirkstoff über die Blut-Hirn-Schranken zu den Krankheitszentren. Deshalb suchte Rangaramanujam Kannan nach einer Fähre für das Medikament. Fündig wurde er bei Nanotechnologen, die mit baumartig verzweigten Molekülen arbeiten, sogenannten Dendrimeren. Diese lassen sich so aufbauen, dass sie der Gestalt von Eiweißen ähneln und können dann NAC quasi huckepack ins Gehirn bringen. Kannan:

    "Dendrimere passieren nicht nur die Blut-Hirn-Schranke, sie werden genau von den Zellen aufgenommen, die das Problem sind. So können wir dafür sorgen, dass diese Zellen ihr Gift selbst fressen und dadurch abgeschaltet werden. Behandelt man die Hasen direkt nach der Geburt, geht es ihnen am fünften Tag deutlich besser. Sie können mehrere Schritte machen, sie hoppeln sogar. Das war eine dramatische und unerwartete Verbesserung ihrer Bewegungsfunktionen. Das war überraschend."

    Die jungen Hasen waren nicht ganz so beweglich, wie gesunde Tiere, aber sie konnten sich ohne größere Probleme fortbewegen. Es wird nicht ganz einfach sein, den Erfolg im Tierversuch auf die Situation bei Menschen zu übertragen. Bei seinen Hasen wusste Rangaramanujam Kannan, dass sie eine Zerebralparese entwickeln würden. Einem menschlichen Neugeborenen sieht man die künftigen Probleme dagegen noch nicht an. Es gibt allerdings Risikofaktoren, etwa eine Infektion während der Schwangerschaft oder eine Frühgeburt.

    "Wir könnten diese Risiko-Babys in einem Hirnscanner untersuchen und wenn es dann Anzeichen für eine Entzündung gibt, mit der Behandlung beginnen."

    Wie gesagt, noch ist das Zukunftsmusik. Vorerst laufen die Tierversuche weiter, Rangaramanujam Kannan will wissen, wie lange der positive Einfluss des NAC-Dendrimers anhält. Die nächste Hürde sind dann die Sicherheitsprüfungen, NAC mag ein gut verträgliches Medikament sein. Die Unbedenklichkeit der Dendrimere muss erst noch belegt werden. Der Weg ist also noch weit. Die Versuche mit den jungen Hasen zeigen aber, dass es sich lohnt, die Entzündung und damit die Zerebralparese mit Hilfe der Nanomedizin auch noch nach der Geburt zu behandeln.