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Hilfe für Rentiere

Biologie. - Den größten Teil seines Lebens verbringt ein Rentierzüchter im Schnee. Acht bis neun Monate im Jahr sind die Weidegebiete der Rentiere von Schnee bedeckt und deshalb spüren die Züchter den Klimawandel besonders deutlich. Um den Tierhaltern die Arbeit auch in Zeiten wärmerer Temperaturen zu erleichtern, sollen ihnen nun spezielle Schneekarten bei der Routenplanung helfen.

Von Christine Westerhaus |
    Rentiere lieben Flechten. Im Winter buddeln sie die Gewächse aus dem tiefen Schnee heraus. Dabei schaufeln sie sich manchmal so tief ein, dass nur noch ihr Hinterteil zu sehen ist. Wenn es wärmer wird und der Schnee schmilzt, heißt das für die Tiere aber nicht, dass sie dann leichter an ihre Nahrung herankommen. Denn wenn der Schnee taut und nachts überfriert, schließt das Eis die Flechten unerreichbar ein. Deshalb ist es für einen Rentierzüchter wichtig, aktuelle Informationen über die Schneebedingungen zu bekommen.

    "Die Weidegebiete der Rentiere sind fast das ganze Jahr über von Schnee bedeckt. Deswegen ist es für die Züchter wichtig, zu verstehen, wie sich der Schnee verändert. Wie er zum Beispiel auf Temperaturschwankungen reagiert, wie er sich bei starkem Wind verändert. Denn diese Faktoren zusammengenommen entscheiden darüber, ob ein Rentier Futter findet, oder nicht."

    Der Norweger Anders Oskal ist Direktor des internationalen Zentrums für Rentierhaltung und stammt selbst aus einer Züchterfamilie. Er arbeitet mit dem Volk der Saami zusammen, die seit Jahrtausenden im Norden von Norwegen, Schweden und Finnland von der Rentierzucht leben. Seit einem Jahr versorgt die so genannte Polar View-Initiative diese Züchter mit Satellitenkarten zur aktuellen Schneeverteilung. "Polar View" ist ein Programm der Europäischen Kommission und der Europäischen Weltraumorganisation Esa und will den Bewohnern der Polarregionen Satellitenfotos zugänglich machen. Richard Hall vom Kongsberg Satelliten Service im norwegischen Tromsö, ist der Koordinator dieses Projekts.

    "Für die Schneekarten nutzen wir zwei Informationsquellen. Zum einen den Satelliten Envisat der Esa, der uns über sein Radarsystem ein Bild von der Oberfläche liefert. Die andere Informationsquelle ist der Satellit Modis, der uns optische Bilder liefert – allerdings nur, wenn der Himmel wolkenfrei ist."

    Um aussagefähige Bilder liefern zu können, sind die optischen Sensoren auf Tageslicht angewiesen. Deshalb funktioniert das System bisher erst nach der Wintersonnenwende am 21. März. Gerade dann beginnt für die Rentierzüchter eine kritische Zeit, da sie ihre Herden im Frühjahr auf die Sommerweiden treiben. Dank der Satellitenkarten können sie ihre Routen nun besser planen, denn sie zeigen ihnen an, wo noch viel Schnee vorhanden ist und wo er bereits taut. Die Bilder werden täglich aktualisiert im Internet veröffentlicht. Die Züchter können sie auch per Handy abrufen. Auch die Wetterforscher profitieren von den Wetterkenntnissen der Rentierzüchter, sagt Anders Oskal.

    "Rentierzüchter wissen viel über die unterschiedlichen Schneebedingungen. Die Saami beispielsweise haben mehr als 200 Ausdrücke für Schnee und Eis und wie es sich verändert. Sie wissen, wie man sich an veränderte Klimabedingungen anpassen kann und diese Erfahrungen sind auch für uns sehr wertvoll. Doch um dieses traditionelle Wissen nutzen zu können, müssen wir es mit unserer naturwissenschaftlichen Forschung und neuen Technologien zusammenbringen."

    Dass sich das Klima in der Arktis verändert, bedeutet für die Rentierzüchter aber nicht nur, dass sich die Schneeverhältnisse ändern. Bisher lebten sie weitgehend ungestört in einer unwirtlichen Region, für die sich sonst kaum jemand interessierte. Doch immer mehr Gebiete sind jetzt - zumindest im Sommer - eisfrei und damit zugänglicher für den Tourismus und für die Suche nach Öl und Gasvorkommen. Oskal:

    "Eine wärmere Arktis lässt sich besser erkunden und wir befürchten, dass es in Zukunft eine regelrechte Explosion von menschlichen Aktivitäten geben wird. Das würde sich natürlich auch negativ auf die Zucht auswirken, weil die Rentierherden gestört werden. Doch auch hier können uns die Satellitenkarten helfen, indem sie die Veränderungen der Landschaft in den Gebieten überwachen und aufzeigen, die für die Rentierzucht wichtig sind."

    Diese Informationen können die Rentierzüchter zukünftig ebenfalls mit in ihre Routenplanung einbeziehen. Wenn möglich, weichen sie dann in Gebiete aus, in denen es noch keine menschliche Aktivität gibt.