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Hinter den Mauern

Dass der Vatikan sich nicht gern in die Karten schauen lässt, fordert Journalisten und Schriftsteller besonders heraus. Und so haben drei österreichische Journalisten versucht, Strukturen und Vorgänge in den geheimnisumwitterten Hallen des Kirchenstaates aufzudecken. Was dabei herausgekommen ist, berichtet Hajo Goertz.

    Alles gar nicht wahr, was Dan Brown über die Geheimgesellschaft der Illuminaten oder eine Mörderbande namens Opus Dei zusammenphantasiert! Alles nicht wahr? Immerhin ist historisch eine ominöse Bruderschaft der Erleuchteten, der Illuminaten, belegt, die den Freimaurern glich. Und das Opus Dei versucht seit geraumer Zeit, wenn auch nicht mit Pistole oder Dolch, so doch mit viel Geld im Vatikan eigene Strippen zu ziehen, und dieses "Werk Gottes" soll bei der letzten Papstwahl ordentlich die Hände im Spiel gehabt haben.

    "Ich glaube, das ist ein wenig das Faszinosum des Katholizismus, die letzten Wahrheiten dort blühen ja offenbar im Verborgenen oder sind zumindest von einigem Weihrauch umnebelt. Und sie sehen ja, wie viel an religiöser Inbrunst, an religiöser Energie das mobilisieren kann, wie viel auch an literarischer Fantasie, wenn Sie an die einschlägigen Bestseller auf dem Buchmarkt denken. Der Vatikan leistet sich diese Aura wohl ganz bewusst, als absolute Monarchie steht er ja nicht im Wettbewerb mit demokratisch legitimierten Staaten","

    meint Andreas Pfeifer, Korrespondent des Österreichischen Rundfunks in Rom; er gehört zu den vaticanisti, jenen Journalisten, die Papst und Vatikan ständig im Visier haben und manchmal sogar den Weihrauch durchdringen.

    ""Der Vatikan ist eine Institution, die ein Mysterium verwaltet oder zumindest diesen Anspruch erhebt. Und einem Staat, dessen letzte Legitimation gewissermaßen im Jenseits liegt, haftet ja grundlegend etwas Geheimnisvolles an. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist die Geheimniskrämerei, eine Neigung zur Intransparenz also, die einem streng pyramidalen Machtgebilde nun einmal innewohnt."

    Pfeifer hat gemeinsam mit zwei Kollegen von der schreibenden Zunft, Heiner Boberski aus Wien und Josef Bruckmoser aus Salzburg, auch sie journalistische Experten in Sachen katholische Kirche, das Buch "Geheimnis Vatikan" vorgelegt. Es durchleuchtet die Strukturen eines sehr diesseitigen Machtapparates, den die Machthabenden gern als göttliche Stiftung ausgeben und damit ideologisieren. Leserinnen und Lesern wird aufschlussreich vorgeführt, wie eine absolutistische Staatsführung funktioniert, eben nicht als historische Reminiszenz, sondern als Gegenwart einer Institution, die geistlich eine Milliarde Menschen in der Welt repräsentiert und damit auch global politisch wirkt. Da erscheint der Vatikan reichlich widersprüchlich zwischen irdischem Dasein und himmlischer Ausrichtung, wie Josef Bruckmoser in seinen Kapiteln über die kurialen Einrichtungen charakterisiert:

    "Macht und Ohnmacht, Tradition und Reformgeist, der Buchstabe der Bürokratie, die töten kann, und der Geist des Evangeliums, der befreit und lebendig macht, liegen im Vatikanstaat und in den vatikanischen Behörden an der Via della Conciliazione und im römischen Stadtteil Trastevere eng beisammen. Oft genug gescholten wegen ihrer Weltfremdheit, vielfach beneidet wegen ihrer vergleichsweise hohen Effizienz bei geringstem Aufwand, stellt sich die römische Kurie so dar wie die Mauern des Vatikans, an denen der Rompilger zur Warteschlange vor den Vatikanischen Museen entlanggeht. Den einen ein Symbol der Standhaftigkeit und des Widerstandes gegen den Zeitgeist, ist sie den anderen der Inbegriff eines von Säkularisierung und Demokratisierung hinweggefegten Gebäudes antiquierter Vorschriften und Verbote."

    Im Unterschied zu anderen politischen Akteuren, sucht der Vatikan nicht die öffentliche Darstellung, um für die eigene Position Beifall zu finden. Im Gegenteil, meint die römische Kirchenführung auch im Medienzeitalter noch, sich das Abschirmen gegen allzu neugierige Blicke leisten zu können. Andreas Pfeifer:

    "Es gibt zwar ein vatikanisches Presseamt, aber das ist eigentlich eine Behörde der offiziellen Verlautbarungen, die nur selten auf kritische Anfragen reagiert. Natürlich ist man da auf erfahrene vaticanisti angewiesen, die trefflich zwischen den Zeilen der knappen Communiques zu lesen verstehen, und vor allem auf persönliche Kontakte, die manches preisgeben, dabei aber immer anonym bleiben wollen. Das macht die Arbeit spannend, aber nicht wirklich einfach."

    Aus solchen informellen Quellen schöpfen die Autoren die Informationen für ihr Buch. Sie beschreiben, wie die Glaubenskongregation, auch unter der Leitung von Kardinal Ratzinger noch, Methoden ihrer Vorgängerbehörde, der Inquisition, pflegt, wie und warum Heinrich Heine auf den Index verbotener Bücher kam, Hitlers "Mein Kampf" aber nicht. Natürlich fehlen in dem Buch nicht die Skandalgeschichten aus der jüngeren Vergangenheit: die Verstrickung der Vatikanbank etwa in mafiöse Geldwäscherei einer Freimaurerloge, die bis heute unaufgeklärte Entführung der Tochter eines kleinen Vatikan-Angestellten oder Mordfälle unter Schweizer Gardisten. Die Leser erfahren Details über ominöse Todesfälle unter den Päpsten, die wenig bekannt waren, und sie bekommen Zusammenhänge vorgeführt, die bislang isoliert erscheinende Vorgänge miteinander verbinden. Die einzelnen Kapitel des Buches lesen sich wie Krimis und sind doch vatikanische Realität.

    "Wir erheben keinerlei literarischen Anspruch, ganz im Gegenteil. Es geht meinen Co-Autoren und mir vielmehr darum, das Wissbare, gewissermaßen das Objektivierbare zusammenzutragen und kritisch zu bewerten. Dieses Buch ist keine Brandschrift, aber auch keine Beweihräucherung des Vatikans. Im besten Falle leistet es solide Aufklärungsarbeit, die manches Geheimnis zumindest ein wenig entzaubert, wenngleich sie nicht jedes Geheimnis auch lüften kann."

    Zum Beispiel das der Vatikanfinanzen, die in dem Buch so unübersichtlich bleiben, wie sie tatsächlich von der Kurie gehalten werden, weshalb die Mär vom sagenhaften Reichtum des Vatikans nach wie vor ihre Nahrung findet. Doch der Skandal, der dem Ansehen der katholischen Kirche in jüngster Zeit am meisten geschadet hat, sind für Pfeifer die Vorgänge um sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester, die nur scheinbar ein Problem der amerikanischen Kirche sind.

    "Ich denke da an die Pädophilie und andere Sexskandale innerhalb der Kirche, zum einen, weil sie die Diskrepanz zwischen den ethischen Vorgaben und der Realverfassung dieser Kirche besonders deutlich zutage treten lassen, zum anderen auch, weil sie gezeigt haben, wie sich die Tabuisierung von Sexualität manchmal auswirken kann."

    Auf der einen Seite herrsche, so heißt es an einer Stelle des Buches, eine beinharte Haltung der römisch-katholischen Kirche gegenüber der Homosexualität, auf der anderen Seite gebe es schwule Praktiken bis in höchste vatikanische Kreise, die sogar karrierefördernd sein könnten. Was das Kirchenvolk besonders verstöre, seien nicht solche allzu menschlichen Verhaltensweisen, sondern der Umgang der Kirchenspitze mit ihnen, Skandale und kriminelle Vorgänge nicht aufzuklären, sondern sie so lange wie nur irgend möglich zu verschleiern, um sie auszusitzen und Probleme mit beteiligten Personen eher klammheimlich zu bereinigen.

    Umso notwendiger ist ein solches Buch. Und es ist gerade deswegen lesenswert, weil es nicht, wie viele Vatikan-Sezierbücher sonst, hämisch-sarkastisch daherkommt, sondern sachlich-informativ bleibt. So resümiert Heiner Boberski die von ihm vorgestellten Skandalgeschichten:

    "In manchen kirchlichen Kreisen heißt es, in die römisch-katholische Kirche sei seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil der Rauch Satans eingedrungen. Konservative verstehen darunter meist modernistische Ideen, wie sie etwa im Kirchenvolksbegehren von 1995 geäußert wurden: Lockerung der Sexualmoral, kein Pflichtzölibat, Weiheämter für Frauen, Mitsprache der Ortskirchen bei Bischofsernennungen. Anderen erscheinen die Machtkämpfe und Intrigen, die Verwicklungen in Wirtschaftskriminalität und die Heuchelei in der Kirchenzentrale als wesentlich größere Übel.

    Aber auch sie sind nur ein Teil der vatikanischen Realität. Auch wenn es manche, die Schwarz-Weiß-Muster lieben, enttäuschen mag: Der Vatikan ist weder eine Ansammlung von Heiligen, auch wenn es dort sicher heiligmäßig lebende Personen gibt, noch eine solche von Kriminellen, auch wenn dafür einige Indizien existieren. Im Vatikan spiegeln sich mit all ihren Höhen und Tiefen 2000 Jahre Geschichte einer Religion."

    Diese Geschichte einer bis heute geschichtenträchtigen und geschichtsmächtigen Institution wird geprägt von Menschen mit ihren jeweiligen Eigenheiten, nicht zuletzt von dem Mann an der Spitze. Deshalb ist es eines der interessantesten und höchst aktuellen Kapitel des Buches, das sich befasst mit der Verschiebung der Machtkonstellationen im Vatikan unter Papst Benedikt XVI. Sein Vorgänger Johannes Paul II. sei eher an der Außendarstellung der Kirche interessiert gewesen, weniger am Innenleben des Vatikans. Dadurch seien, wie Andres Pfeifer meint, kuriale Eigenwilligkeiten und Eigenmächtigkeiten sehr befördert worden.

    "Benedikt XVI. hingegen ist ein Papst, der die Innenpolitik wieder aufgreift, der den Reformenstau erkennt. Das zeigt sich auch daran, dass er sehr viel Macht für sich selbst beansprucht. Sowohl William Levada, sein Nachfolger in der Glaubenskongregation, als auch Tarcisio Bertone, der neue Kardinalstaatssekretär, haben wenig eigenen Gestaltungsspielraum. Die Richtung wird da sehr klar vom Papst persönlich vorgegeben, der auch inhaltlich andere Prioritäten setzt."

    Und doch ist Benedikt XVI., wie man ihm zugute halten möchte, falschen oder zumindest unzulänglichen Informationen aufgesessen, als er kürzlich den bisherigen Bischof von Plock und früheren Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes, Stanislaw Wielgus, zum Erzbischof von Warschau und damit an die Spitze der polnischen Kirche berief. So vermisst man in dem Buch von Bobersiki, Bruckmoser und Pfeifer ein Kapitel über das Geheimnis der Personalentscheidungen im Vatikan, wie etwa Verfahren zur Kür von Bischöfen verlaufen. Es gibt Hinweise genug, dass dabei eher Seilschaften von Karrieristen eine Rolle spielen als die Qualitäten möglicher Kandidaten. Das bringt den Vatikan immer wieder in die Bredouille, und die Kurie scheint daraus nichts lernen zu wollen. Dennoch bieten die Autoren dieses Vatikan-Buches mit ihren Einblicken hinter die Fassaden der päpstlichen Paläste zugleich eine Hilfestellung, die Vollzüge der römischen Kirchenleitung in ihren Stellenwerten besser einzuordnen.

    Heiner Boberski, Josef Bruckmoser, Andreas Pfeifer: Geheimnis Vatikan
    Ecowin, Salzburg 2006, 226 Seiten, 22 Euro