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Hintertür für Geheimdienste frei Haus

Seit den Anschlägen auf das World-Trade-Center in New York wurde die Überwachung des Internets in allen Staaten der westlichen Welt dramatisch verstärkt. Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa entschlossen sich die Staaten dazu, systematische Abhörschnittstellen von Internetprovidern zu verlangen. Die Ausrüster hielten sich indes bislang mit technischen Lösungen dazu zurück, denn sie fürchten um Reaktionen ihrer Abnehmer angesichts Produkten, die Hintertüren für Dritte enthalten. Doch diese Zweifel scheinen zunehmend zu schwinden.

26.07.2003
    Von Pia Grund-Ludwig

    Nicht mehr die Frage, ob man bei der Netzüberwachung mitmacht, sondern nur noch deren Umsetzung beschäftigt seit den Anschlägen des 11. September die Gremien und Ingenieure, die für die Technikentwicklung im Internet zuständig sind. Einer ihrer Vordenker ist Fred Baker. Er war jahrelang Vorsitzenden der Internet Engineering Task Force und Chefentwickler des Routerspezialisten Cisco. Vor kruzem hat er gezeigt, wie sich die Abhörinstallationen an Routern am besten realisieren lassen Die Debatte nach dem 11. September schaffe Nachfrage nach solchen Produkten, und die müsse man eben befriedigen:

    Mehrere unserer Kunden, große und kleine Internet Service Provider überall auf der Welt, bekamen einstweilige Verfügungen für Abhöraktionen und sie standen schlicht vor der Wahl - entweder lösen sie das Problem oder man macht ihnen den Laden zu. Man mag politisch dazu stehen wie man will, aber man muss auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Unsere Kunden hatten ein sehr spezielles Problem, da haben wir uns hingesetzt und uns darum gekümmert. Genau das tun wir.

    Und nicht nur Cisco als einzelnes Unternehmen tut das, nach Bakers Vorstellungen sollen auch die Normierungsgremien diese Techniken absegnen. Bislang würden vor allem zwei Verfahren genutzt, um IP-Datenpakete von Verdächtigen auszuspähen. Eine häufig eingesetzte Möglichkeit ist es, den gesamten Datenverkehr über eine zweite, parallele Leitung abzusaugen und im Bedarfsfall diejenigen Informationen herauszufiltern, die die Behörden brauchen. Dieses System hat Lücken, denn die Daten werden erst beim Übergang vom Netz eines Providers in das öffentliche Netz abgegriffen. Kommunizieren zwei Teilnehmer des selben Providers, entgehen sie deshalb der Überwachung. Techniker nennen das das Haarnadelproblem. Bei der zweiten Lösung wird jedes Datenpäckchen aus dem Haus des Verdächtigen kopiert und vom Service Provider an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Doch könne man dabei eben nicht ganz ausschließen, dass sich jemand Beweise manipuliert. Ciscos neuer Vorschlag soll alle Probleme auf einmal lösen.

    In unserem Ansatz werden wir die Funktion in den Router hinein verlagern. Wir können damit das Haarnadel-Problem lösen und können auch den Ansprüchen an die Verläßlichkeit gerecht werden. Wir sind noch nicht ganz fertig, aber wir wollen in nächster Zeit genau dahin kommen.

    Baker will auch die Internet Engineering Task Force IETF davon überzeugen, sich mit den von ihm entwickelten Technologien zu beschäftigen. Möglicherweise sogar mit Erfolg, denn unter den dort organisierten Technikern, die bislang die Überwachung ablehnen, setzt ein Umdenken ein. Das meint Scott Bradner, der lange Jahre Vorsitzender des Gremiums war:

    Viele Leute haben nach dem 11. September ihre Ansichten über das Verhältnis von staatlicher Macht und individuellem Datenschutz geändert. Und genau deswegen ist es so wichtig, dass jede Art von Überwachungstechnik so organisiert ist, dass sie ein Maximum an Schutz für den individuellen User sichert, während sie die Regierungen befähigt zu tun, was sie entsprechend ihren Gesetzen tun dürfen.

    Genau dabei soll der Zugriff über die Router helfen. Er sei die beste und vielleicht einzige Möglichkeit, effektiv und punktgenau abzuhören. Welche Bedeutung die Abhörtechnologie inzwischen bekommen hat, zeigt Bakers aktueller Terminkalender. In Deutschland ist er in dieser Woche unterwegs gewesen, um Ciscos neue Ideen vorzustellen. Er hatte Termine mit der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und Internet Service Providern. Anschließend fährt er nach Amsterdam. Eine ausgedehnte Asienreise steht in den kommenden Monaten an. Überwachung ist also weltweit ein Topthema. Angesichts der Verbreitung der Router stellt sich natürlich die Frage, ob Cisco als amerikanisches Unternehmen nicht der dortigen Regierung eine generelle Hintertür öffnen muss. Chefentwickler Baker will sich nicht so recht festlegen lassen:

    Soweit ich weiß, gibt es keine Schlüsselhinterlegung bei der US-Regierung. Vielleicht wird etwas in der Richtung getan, wovon ich nichts weiß. Es gab diesbezügliche Vorschläge in der Vergangenheit, Verfahren für die Schlüsselhinterlegung wurden in verschiedenen Zirkeln diskutiert. Und manche hätten das bestimmt gerne. Es gibt die Leute in dieser Welt, die finden, eswäre einfach perfekt, ein Mikrofon unter jedem Bett zu haben. Aber so weit ich weiß, haben sie nicht das Recht dazu.