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Historiker in der Praxis

Geschichte ist ja bekanntlich etwas sehr Schönes – schade nur, dass die deutschen His-toriker in aller Regel so wenig Fähigkeiten besitzen, diese Schönheit auch zu vermitteln. Dabei werden diese immer wichtiger: Wer nicht als Geschichtslehrer in der Schule lan-det, und keine der immer knapper werdenden Stellen an der Universität erwischt, dem bleibt nur noch, sich irgendwie auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Doch was dafür erforderlich ist, vermittelte das Geschichtsstudium bislang kaum. Immer mehr Universi-täten versuchen jetzt gegenzusteuern; etwa die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Privatdozent Thomas Hill sorgt sich dort um die künftigen Historiker:

Tillmann Bendikowski |
    Wir helfen ihnen bei der Suche nach Praktika, wir bieten ihnen auch das eine oder andere Mal ’nen Workshop zur Förderung ihrer rhetorischen Fähigkeiten oder so an, aber im Mittelpunkt stehen immer die Projekt-Arbeit, so dass wir möglichst für Auswärtige Projekte durchführen, indem wir also auch ein Pro-dukt erstellen, sei es eine kleine Ausstellung, sei es Führungen durch Ausstellungen, eine kleine Broschüre oder ein Tourismuskonzept, von dem auch die auswärtigen Partner etwas haben.
    "Historiker in der Praxis" – kurz HIP – nennt sich das Projekt, das nach einem Neustart vor zwei Jahren auf Hochtouren läuft: Hier soll der Nachwuchs möglichst praxisnah erleben, welche Berufsfelder es gibt, etwa welche Chancen der Journalismus für Histo-riker bietet, welches Interesse Unternehmen an Geschichte haben, welche Aussichten bestehen, eine Ausstellung zu verkaufen. Dafür müssen die Studierenden auch einmal ihre gewohnte Sichtweise in Frage stellen.

    Wir haben’s ganz deutlich ’mal gesehen, als wir so’n Tourismuskonzept für die Ver-marktung von Gasthöfen an einem alten historischen Weg hatten, die Schwierigkeit, sich wirklich von der Geschichte und seinen vielen interessanten Aspekten zu lösen und die andere Perspektive einzunehmen: die der Touristen, die aber auch der, die vom Tou-rismus leben wollen. Sich darauf einzustellen, das war die entscheidende Schwierigkeit. Und wenn dieser Sprung gelungen ist, dann geht das auch.

    Und wer diesen Sprung in einem Projekt einmal geschafft hat, so die stille Hoffnung, entdeckt vielleicht auch schon die Lust an neuen beruflichen Perspektiven. Die frühe Auseinandersetzung mit der Praxis prägt deshalb die Projekte, die Thomas Hill anbietet. Besonders beliebt sind dabei die Ausstellungsprojekte. Im vergangenen Jahr brachte HIP eine Wanderausstellung über den Historiker Theodor Mommsen zustande, die auf ihrer Tournee unter anderem in der Landesvertretung Schleswig-Holsteins in Berlin zu sehen war. Auch in diesem Jahr gibt es wieder eine neue Ausstellung, diesmal über die Geschichte des Historischen Seminars der Universität Kiel im Dritten Reich.
    Sie zeigt die Geschichte dieses Seminars zwischen 33 und 45 beispielhaft an fünf Wis-senschaftlern, die eben alle Fachrichtungen, die damals hier in Kiel gelehrt und erforscht wurden, vertreten waren. Und sie sind vor allem – und das ist wichtiger – repräsentativ damit, dass sie Handlungsmöglichkeiten, Handlungsgrenzen von Wissenschaftlern im Dritten Reich zeigen.

    Herausgekommen ist ein wichtiger Denkanstoß für die Uni Kiel, über deren Geschichte im Dritten Reich bislang vergleichsweise wenig bekannt ist. Bis zum 28. November ist die Ausstellung noch in der Kieler Universitätsbibliothek zu sehen, anschließend will sie auch die Uni Flensburg zeigen. Für die Kieler "Historiker in der Praxis" ist das eine wichtige Anerkennung. Doch vom Einzelfall einmal abgesehen, ist es noch zu früh, ge-nerelle Erfolge auf dem Arbeitsmarkt wirklich beurteilen zu können. Dass diese Bemü-hungen dennoch weiter vorangetrieben werden müssen, liegt für Thomas Hill auf der Hand:

    Solche Projekte gibt es ja in verschiedener Richtung, an verschiedenen Universitäten auch, die werden durchaus immer begrüßt; es fehlt im Moment das Geld, die öffentliche Hand hat auch kein Geld, die zu fördern. Aber ich denk’, die Zukunft liegt in solchen Projekten.