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Hochkultur und irrationale Macht

Hans Peter Raddatz gehört zu den Orientalisten, die sich nicht um die politische Korrektheit kümmern, sondern die Sachverhalte beschreiben, so wie sie gewesen sind oder so wie sie sich aus den Quellen erschließen. Auch in seinem neuen Buch, diesmal über den Iran, seit zwei Wochen auf dem Markt, will er ein umfassendes Bild dieses Landes und seiner Bevölkerung bieten.

    Dieses Buch kann also von der Anlage her kein Schnellschuss sein, entstanden etwa wegen der aktuellen Iran-Krise. Dafür sind auch die einzelnen Kapitel zu dicht, zu wissenschaftlich, angereichert mit zahlreichen Fußnoten.
    Herr Raddatz, Sie sind Orientalist, haben den Blick auf die gesamte islamische Welt. Wann haben Sie zuerst den Gedanken gefasst, dieses Buch zu schreiben, was war der Auslöser?

    Hans Peter Raddatz:
    Der eigentliche Auslöser kam in der letzten Zeit mehr und mehr dadurch zustande, dass ja mit dem islamistischen Regime auch eine gewisse Radikalisierung wieder erkennbar geworden war, die dann entscheidend sich verschärfte, als Ahmadinedschad Präsident wurde.

    Liminski:
    Der Iran hat eine viertausend Jahre alte Geschichte. Der islamische Teil macht also noch nicht einmal die Hälfte aus.
    Sie beschreiben auch in den ersten Kapiteln das antike Persien, die Zeit des Zarathustra, die Spuren bis ins Mittelalter. Natürlich widmen Sie dem islamischen Iran dann fünf Sechstel der rund 300 Seiten. Aber gibt es so etwas wie eine historische Schwerkraft, also eine Wirkmächtigkeit der Geschichte, die den Iran auch wieder zu einem nicht-islamischen Land machen könnte?

    Raddatz:
    Diese Schwerkraft gibt es ganz bestimmt. Diese Frage ist ungeheuer wichtig, einfach deswegen, weil der Iran eben gerade durch seine vor-islamische Geschichte sich entscheidend von der arabischen Welt dadurch unterscheidet, dass er bereits eine quasi monotheistische Religion hervorgebracht hat vor dem Islam, nämlich mit dem Zoroastriertum, und innerhalb dieser
    vor-islamischen Religion auch schon sehr stark ausgeprägte individuelle und Gerechtigkeitsvorstellungen entwickelt hat. Die haben dann ein Eigenleben innerhalb der islamisierten iranischen Geschichte geführt bis auf den heutigen Tag und dadurch auch dazu beigetragen, dass die Iraner, ganz im Gegensatz zu den Arabern, eben eine Revolution hervorgebracht haben, die im arabischen Raum so nicht denkbar ist, einfach deswegen, weil die Araber nicht die Tradition des Gerechtigkeitsdenkens und auch des Messianismus haben, der mit der Zarathustra-Religion einhergeht.

    Liminski:
    Wie ist denn das Verhältnis der Iraner zu den arabischen Nationen?

    Raddatz:
    Die Iraner sehen allerdings, konkret und objektiv kann man schon fast sagen, auf die Araber herab, weil sie sich ihrer Geschichte sehr bewusst sind und sie auch bis heute noch ganz bewusst pflegen. Also, darüber muss man sich im klaren sein. Sie sind sich ihrer Traditionen vorislamischer Art sehr bewusst - immer wieder zum Leidwesen der Mullahs.

    Liminski:
    Wie werden die Mullahs denn mit dieser Vorgeschichte fertig?

    Raddatz:
    Ja, natürlich ist es ihnen immer wieder ein Dorn im Auge, weil Individualismus im orthodoxen Islam alles andere als willkommen ist. Wir wissen, dass die Orthodoxie islamischer Art natürlich den Menschen sich vorstellt als Teil der Gemeinschaft und auch das Sein, das menschliche Sein, im Islam eben in dieser Form gelebt und gedacht wird. Zarathustra hat ja das Prinzip des Einzelnen, der sich eines Seins bewusst ist und der auch seiner Gottheit entsprechend gegenübertritt, nämlich dem Gott Waruna, später Ahura Mazdah, der Gott des Guten. Die Vorstellung, dass das Gute dem Bösen entgegensteht und eben vorzuziehen ist und vom Menschen ganz bewusst anzustreben ist und dadurch auch ein Gewissen entsteht, ist etwas, was es in dieser Form im arabischen Raum nicht gegeben hat.

    Liminski:
    Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass der Islam als kollektivistische Religion dem Iran sozusagen aufgepfropft ist?

    Raddatz:
    Das kann man mit Fug und Recht so sagen. Die iranische Geschichte zeigt es auch immer wieder durch Durchbrüche individualistischer Bewegungen, die sich dann aufgrund des Gegendrucks durch die Orthodoxie messianisch ausgedrückt hat. Das heißt also: Es haben sich heilandsartige Führerfiguren hervorgetan, die dann Bewegungen angeführt haben, die zu Gerechtigkeit führen sollten, weil immer wieder die islamischen Herrscher, natürlich aufgrund ihrer schariatischen Legitimation, d. h. also aufgrund der Machtvollkommenheit, die ihnen durch Koran und Prophetentradition zuwächst, sich immer wieder in Ungerechtigkeit und in Druck und in Ausbeutung haben hinein verleiten lassen, was im Iran aufgrund des Gerechtigkeitsdenkens dann auf besonders starken Widerstand gestoßen ist und schließlich in der Moderne - und das ist das Interessante, und ich versuche es auch in dem Buch herauszuarbeiten -, in der Moderne dann zu ganz verblüffenden ideologischen Parallelen geführt hat, nämlich zu der europäischen, westlich-modernen Ideologie.

    Liminski:
    Im letzten Teil unter dem Titel Euran, Allahs Kolonie bezeichnen Sie die Frauen als säkularen Sprengsatz im Iran. - Gilt das nicht für alle islamischen Länder? Wo ist die Besonderheit des Iran?

    Raddatz:
    Auch hier wirkt sich zunächst einmal wieder die iranische Individualität aus - aber versehen mit einer Spezialität gegenüber den Arabern insofern, als aus der vorislamischen Iran-Geschichte heraus die Frau schon immer eine weitaus bevorzugtere Stellung eingenommen hat als die arabische Frau. Das heißt also: Im Zoroastriertum, dem Zarathustra-Glauben, übte die Frau z. B. in der Familie auch die Funktion einer den Gottesdienst leitenden Person aus. Das sind natürlich Dinge, die sich zwar dann in der islamischen Zeit nicht mehr haben halten können, aber die virtuell mitschwingen und die sich immer wieder, auch z. B. in der Dichtung, in der phantastischen Dichtung des Iran, ausdrücken durch eine Hochachtung gegenüber der Frau, wie sie im arabischen Raum nicht denkbar ist.


    Liminski:
    Die Iran-Krise, Herr Raddatz, ist mit dem Begriff der islamischen Atombombe verknüpft. Sie schreiben, die Bombe, das wäre eine Art Holocaust. Glauben Sie, dass die Mullahs die Bombe auch gebrauchen würden? Man hat ja gerade in Europa die Vorstellung, dass die Mullahs, einmal im Besitz der Bombe, vernünftig würden und den Gesetzen des Kalten Krieges, also der Abschreckung, folgen würden.

    Raddatz:
    Hier wirkt sich das messianische Element der Shia, der schiitischen Version des Islam insofern fatal aus, als sich die Führer sozusagen als messianische Heilsbringer für ihr Volk verstehen und insofern auch sich nicht nur von Allah legitimiert sehen, sondern auch das, was ihnen z. B. vom Öl, vom Gas und den enorm gewachsenen Öl-Einkünften zugewachsen ist, als Geschenk Allahs sehen, das entsprechend ihrer Führerfunktion einzusetzen ist. Es kommt also aus Sicht insbesondere, ich will es mal etwas salopp sagen, eines strammen Schiiten wie Ahmadinedschad und Chamenei überhaupt nicht in Frage, auf die Atombombe zu verzichten. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Geschenk Allahs.

    Liminski:
    Könnte es sein, Herr Raddatz, dass bei dem Thema islamische Bombe auch die den Schiiten eigene Märtyrer-Mystik eine Rolle spielt, dass man also diese Bombe tatsächlich einsetzt – ohne Rücksicht auf Verluste?

    Raddatz:
    Die Bombe ist eben nicht ein Instrument des Märtyrers. Die Bombe ist die ultimative Waffe, und das Märtyrertum hat sich auch im Rahmen des Irak-Krieges doch so stark abgenutzt, dass es bis heute wenig Anklang findet im Iran selbst. Etwas anderes ist es, wenn man über die Hisbollah spräche, den Terrorarm des Iran, der hauptsächlich ja bekanntlich im Libanon tätig ist. Diese Leute pflegen eine messianische Märtyrer-Ideologie in der Tat und führen auch diese Gedanken, die ja von Khomeni entwickelt worden sind und im Irak-Krieg realisiert worden sind, weiter. Aber im Iran selbst würde ich diesen Gesichtspunkt für nicht besonders ausgeprägt halten, insbesondere deswegen nicht, weil, wie gesagt, die Atombombe nicht die Waffe ist, die dem Märtyrer angemessen ist. Sie ist die ultimative Waffe, und sie macht eben Opfer aus denen, gegen die sie eingesetzt wird. Also, alles in allem gesehen, muss man, glaube ich, das vorläufige Fazit ziehen, dass die Bedrohung durch die iranische Atombombe weitergeht, insbesondere weil die von mir beklagte europäische Unentschlossenheit hier eine fatale Rolle spielt. Bedenken Sie z. B., dass über die langen Jahre, die Deutschland, Großbritannien und Frankreich sich jetzt als Unterhändler betätigen, im Grunde nichts geschehen ist, aber währenddessen die Iraner ein gutes Stück weitergekommen sind in Sachen Technologie, in der Urananreicherung und vor allen Dingen sehr viel weitergekommen sind in der Entwicklung von Trägerraketen. Wenn das alles stimmt, was von den Geheimdiensten durchsickert, dann muss man befürchten, dass sie unmittelbar vor einer neuen Reichweitenstufe stehen, die bis an die Alpen reicht.

    Liminski:
    Im letzten Teil des Buches widmen Sie ein ganzes Kapitel den deutsch-iranischen Beziehungen. Es heißt Muster-Mullahs in Deutschland. Gibt es eine Special Relationship, eine Sonderbeziehung, die über die Episode namens Soraya hinausgeht?
    Raddatz:
    Die gibt es ganz sicher im wirtschaftlichen Bereich. Traditionell bestehen seit vielen Jahren sehr enge und voluminöse Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Iran. Ich selbst war lange Jahre in diese Beziehungen auch miteingebunden. Dagegen ist im Grunde auch nichts einzuwenden, wenn denn es sich nicht so in den letzten Jahren entwickelt hätte, wie es sich entwickelt hat, nämlich, dass im Rahmen dieser Beziehungen die Politik im Grunde überhaupt keine Rolle mehr spielt. Früher hat man noch von Menschenrechten gesprochen. Z. B. in den 70er, auch noch Anfang der 80er Jahre hat der Gesichtspunkt der Menschenrechte für die dortige Bevölkerung eine gewisse Rolle gespielt. Was die islamistische Regierung betrifft, ist das ja nun überhaupt nicht mehr der Fall. Das heißt, die Blickrichtung, unsere Blickrichtung aus Europa auf den Iran und nicht nur den Iran, sondern auf den radikalen Islam insgesamt, hat sich insofern völlig gewandelt, als wir die Gewalt, die konstitutives Element des radikalen Islam ist, schlicht und einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder können. Die Gewalt wird immer wieder als etwas weggeredet, das angeblich mit dem Islam nichts zu tun hat, das eine Art Missbrauchsform des Islam, wenn überhaupt, darstellt. Aber insgesamt wird abgelehnt, über die Gewalt als zum Wesen des Islam gehörendes, also als integrales Merkmal des Islam überhaupt zu sprechen. Und das hat natürlich fatale Auswirkungen im wirtschaftlichen Bereich insofern, als im Grunde jede Verbindung, jede Lieferung mit einem solchen Land in irgendeiner Form entschuldet, entschuldigt werden kann, sei sie auch noch so fragwürdig, auch noch so brisant – wir wissen, dass Deutschland ganz besonders intensiv in die Lieferung atomwaffenrelevanter Güter eingeschaltet gewesen ist und bis heute ist, und das vor dem Hintergrund unserer seit Jahrzehnten laufenden Aufarbeitung der Shoah, des Holocaust. Das macht natürlich irgendwo wenig Sinn, wenn man Menschenrechte und Demokratie und Rechtsstaat noch ernst meint. Und das versuche ich eben im letzten Kapitel, das Sie hier angesprochen haben, aufzuarbeiten oder dem Leser vorzulegen, nämlich dass wir hier in Deutschland eine wachsende Riege von Menschen haben, die inzwischen sogar völlig unbedarft den Ausdruck des Menschenrechts-Fundamentalismus in den Mund nehmen. D. h. also, sie wollen sagen, dass es eine Art Zumutung für Muslime ist, ihnen mit Menschenrechten zu kommen.

    Liminski:
    Das war der Orientalist Hans Peter Raddatz zu seinem neuen Buch Iran – Persische Hochkultur und irrationale Macht, erschienen ist es vor zwei Wochen im Herbig-Verlag in München, es hat 287 Seiten und kostet 19 Euro 90.