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Hochsee-Jäger in Gefahr

Biologie. - Viele Haiarten sind vom Aussterben bedroht - die moderne Fischerei setzt ihnen schwer zu. Eine Gefahr für die See-Räuber: Die Haie können den Schleppnetzen der Fisher nicht entkommen, indem sie zum Beispiel einfach in größere Tiefen ausweichen.

Von Jens Wellhöner |
    Haie können nicht in der Tiefsee leben: Fischereibiologe Rainer Fröse vom Kieler Ifm-Geomar-Institut kam buchstäblich über Nacht zu diesem Ergebnis:

    "Ja, mein Kollege Monty Pride, der hat hier in Kiel mal einen Vortrag gehalten und stellte diese Hypothese vor, dass es keine Haie in der Tiefsee gibt. Ich sagte ihm, ich könne das überprüfen, ich hätte einen Datensatz - und das habe ich über Nacht gemacht. Am nächsten Morgen konnte ich ihm bestätigen, dass er recht hat. Und da haben wir beschlossen, zusammen an dieser Studie zu arbeiten. "

    Rainer Fröse koordiniert von Kiel aus die Datenbank "FishBase" mit über zwei Millionen Daten über Meerestiere überall auf der Welt. Zum Beispiel über ihr Aussehen und die Gegenden, in denen sie leben.

    "Und die hat unter anderem eine Tabelle, wo alle Fundorte, wo Fische gefunden wurden, also wer Fische wo gefunden hat, dokumentiert sind."

    Im Internet ist "FishBase" frei verfügbar. Rainer Fröse war der erste, der sie nach den Fundorten von Haien durchforstete. Das Ergebnis: Haie leben fast nie in Wassertiefen unterhalb von 2.000 Metern. Jetzt fragen sich Fröse und seine Wissenschaftskollegen, warum ausgerechnet Haie nicht in größeren Tiefen leben können. Denn ihre Art ist sehr alt, die ersten Haie lebten schon vor über 100 Millionen Jahren - lange vor den Knochenfischen, die die Tiefsee längst für sich erobert haben. Anders als Haie:

    "Haie haben eine ölhaltige Leber. Öl ist auch leichter als Wasser, und die hilft ihnen, zu schweben. Allerdings braucht man viel mehr Energie, um so eine ölhaltige Leber zu entwickeln und aufzubauen. Und wir vermuten, dass das der Grund ist, warum die Haie nicht tiefer gehen konnten."

    Wahrscheinlich bräuchten Haie in der Tiefsee mehr Energie für ihre Leber als sie durch Nahrung aufnehmen könnten. Die Leber sei gar nicht für ein Leben in großen Tiefen konstruiert, meint auch der Kieler Fischereibiologe Reinhold Hanel:

    "Die Leber ist bei Haien sehr groß ausgebildet. Sie kann zehn bis 20 Prozent des Körpergewichts einnehmen. Das ist bei großen Haien bis zu einer Tonne. Von daher kann es natürlich schon sein, dass sich diese bei hohen Drücken ungünstig verhalten. Nur gibt es darüber zurzeit keine gesicherten Befunde. "

    Solche Befunde könnten nur Laborversuche liefern, in denen Haie in großen Aquarien hohem Wasserdruck ausgesetzt werden. Aber solche Versuche sind technisch sehr aufwendig und wurden bisher noch nicht unternommen. Die Kieler Forscher halten aber noch eine weitere Ursache für wahrscheinlich, warum Haie nicht in der Tiefsee leben können. Reinhold Hanel:

    "Die Tiefsee ist geprägt, zumindest in großen Regionen, durch extremen Nahrungsmangel. Die Lebewelt ist vollkommen abhängig von Nahrung, die aus den oberen Regionen herunter rieselt. Und Haie brauchen nun einmal große Nahrungsmengen. Viele davon zumindest."

    Haie sind im Vergleich zu Fischen der Tiefsee sehr groß. Einige Arten sind mehrere Meter lang. Der Walhai erreicht sogar 20 Meter. Deshalb brauchen sie ständig viel Nahrung. Wahrscheinlich können sie die in der Tiefsee aber nicht finden. Bei der Ursachenforschung für das Hai-Verhalten wird jedenfalls eines klar: Die Wissenschaft weiß eigentlich noch sehr wenig über die großen Raubfische. Dabei werde es dafür höchste Zeit, meint Biologe Rainer Fröse:

    "Ja, das ist so. Die Haie gehen drastisch zurück, weltweit. Und viele sind vom Aussterben bedroht. Die wachsen zu langsam. Und haben oft nur alle zwei oder drei Jahre Nachwuchs und sind gar nicht ausgerüstet, einen großen Fischereidruck auszuhalten. Sie sind vom Aussterben bedroht."

    Den modernen Fischfangflotten gehen viele Haie ins Netz. Die Fischer schneiden ihnen die Flossen ab und verkaufen sie zu Höchstpreisen, vor allem nach Fernost, wo sie als Delikatesse gelten. Die neue Studie beweist: Haie können den Netzen und Ködern nicht in tieferes Wasser ausweichen - das wirklich Alarmierende an den neuen Forschungsergebnissen. Wenn die Wissenschaft mehr über Haie wüsste, könnten in Zukunft gezielt neue Schutzgesetze erlassen werden. Darauf hoffen jedenfalls die Kieler Fischereibiologen.