In Treue fest: Jedes Jahr am 7. Oktober, dem Geburtstag Heinrich Himmlers, feiert Gerichtspräsident Höller, ein angesehener Repräsentant der bundesdeutschen Justiz, zusammen mit seinen beiden Schwestern den Ehrentag des "Reichsführers SS" mit einem festlichen Abendessen in intimem Ambiente:
"Und diese Geburtsfeier feiern wir ja ganz schlicht, ganz unter uns und im Stillen."
Zu Ehren des Herrn Reichsführers schlüpft Gerichtspräsident Höller - im früheren Leben stellvertretender Kommandant eines SS-Lagers im Osten - in seine frisch gebügelte Obersturmbannführer-Uniform und tut sich, so will es Thomas Bernhard, zusammen mit seinen Schwestern in aufgeräumter Stimmung an Kalbsmedaillons und einigen Bouteillen Sekt gütlich. In Elmar Goerdens präziser und in jeder Hinsicht überzeugenden Inszenierung gibt der deutsche Film- und Fernsehstar Michael Mendl den Altnazi Höller - als rüstigen Mallorca-Pensionär mit Herrenmenschen-Attitüde. Über Fragen der Demokratie und des Umweltschutzes macht sich Dr. Höller seine eigenen Gedanken:
"Ich rede von dem verbrecherischen, von dem unverschämten Juden rede ich, der unter dem Deckmantel der Demokratie die Natur ausbeutet und die Erdoberfläche zerstört. Skrupellos."
Bei seiner Uraufführung 1979 in Stuttgart wurde Thomas Bernhards Stück als bitterböser Kommentar zur sogenannten "Filbinger-Affäre" interpretiert. Damals musste der baden-württembergische Ministerpräsident wegen seiner Verstrickungen in die NS-Justiz zurücktreten.
"Vor dem Ruhestand" ist aber mehr als bloß die Charakterstudie eines SS-Verbrechers, der es sich nach dem Krieg gerichtet hat. Auf vivisektorische Weise arbeitet Bernhard - und das hebt sein Stück ins Zeitlose - die Psychopathologie einer Familie heraus: ein Bruder, zwei Schwestern, die einander in sadomasochistischem Hermetismus zugetan sind. Die im Rollstuhl sitzende Schwester Clara wird von den beiden anderen - nicht nur ihrer Behinderung wegen - nach Strich und Faden fertiggemacht. "Eine Komödie von deutscher Seele" nennt Thomas Bernhard sein Stück im Untertitel. Regisseur Elmar Goerden:
"Das muss man bei Bernhard ernst nehmen. Er legt im Grunde Wurzeln bloß, tut das mit der für ihn typischen Mitleidlosigkeit, die aber für eine große Genauigkeit sorgt. Ein guter Chirurg braucht eine kühle Hand. Auf die ist bei Bernhard Verlass. Er nimmt einen aber auch ordentlich ran. Sowohl die Schauspieler als auch die Zuschauer. Bei Bernhard sind das ja Operationen ohne Betäubung."
Gerichtspräsident Höller - ein bourgeoiser NS-Killer wie nur je einer - steht kurz vor der Versetzung in den Ruhestand. Mit den von ihm verantworteten Verbrechen im Osten ist der Mann im Reinen.
Rudolf Höller:
"Und ich habe nichts getan, das ich nicht verantworten könnte, im Gegenteil."
Vera Höller:
"Wer ehrlich handelt und mit reinem Gewissen, sagte Vater, der setzt sich schließlich durch, sagte Vater."
Rudolf Höller:
"Ich habe kein schlechtes Gewissen."
Vera Höller:
"Natürlich nicht."
Dass Elmar Goerdens Thomas-Bernhard-Inszenierung zum frenetisch akklamierten Theaterabend wurde, hat vor allem mit den grandiosen Schauspielerleistungen zu tun. Nicole Heesters in ihrer herben, eleganten Eisigkeit ist eine Idealbesetzung für die Rolle der Vera. Wie sie vom Kommandoton der in Ehren ergrauten Nazi-Schickse, die ihre im Rollstuhl sitzende Schwester malträtiert, in den lieblich-koketten Tonfall der gealterten BDM-Maid verfällt, die dem vergötterten Bruder um den Bart streicht, ist eine Klasse für sich. Ganz, ganz stark aber auch Sona MacDonald, das "Familienopfer" im Rollstuhl. In ihrem Mienenspiel paart sich giftmischerinnenhafte Devotheit mit lauernder Aggressivität, eine gequälte Seele, die auch ihre Lieben nach Kräften quält. Zu Hause bei den Höllers: ein dreistündiger Höllentrip, der unter die Haut geht.
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Zu Ehren des Herrn Reichsführers schlüpft Gerichtspräsident Höller - im früheren Leben stellvertretender Kommandant eines SS-Lagers im Osten - in seine frisch gebügelte Obersturmbannführer-Uniform und tut sich, so will es Thomas Bernhard, zusammen mit seinen Schwestern in aufgeräumter Stimmung an Kalbsmedaillons und einigen Bouteillen Sekt gütlich. In Elmar Goerdens präziser und in jeder Hinsicht überzeugenden Inszenierung gibt der deutsche Film- und Fernsehstar Michael Mendl den Altnazi Höller - als rüstigen Mallorca-Pensionär mit Herrenmenschen-Attitüde. Über Fragen der Demokratie und des Umweltschutzes macht sich Dr. Höller seine eigenen Gedanken:
"Ich rede von dem verbrecherischen, von dem unverschämten Juden rede ich, der unter dem Deckmantel der Demokratie die Natur ausbeutet und die Erdoberfläche zerstört. Skrupellos."
Bei seiner Uraufführung 1979 in Stuttgart wurde Thomas Bernhards Stück als bitterböser Kommentar zur sogenannten "Filbinger-Affäre" interpretiert. Damals musste der baden-württembergische Ministerpräsident wegen seiner Verstrickungen in die NS-Justiz zurücktreten.
"Vor dem Ruhestand" ist aber mehr als bloß die Charakterstudie eines SS-Verbrechers, der es sich nach dem Krieg gerichtet hat. Auf vivisektorische Weise arbeitet Bernhard - und das hebt sein Stück ins Zeitlose - die Psychopathologie einer Familie heraus: ein Bruder, zwei Schwestern, die einander in sadomasochistischem Hermetismus zugetan sind. Die im Rollstuhl sitzende Schwester Clara wird von den beiden anderen - nicht nur ihrer Behinderung wegen - nach Strich und Faden fertiggemacht. "Eine Komödie von deutscher Seele" nennt Thomas Bernhard sein Stück im Untertitel. Regisseur Elmar Goerden:
"Das muss man bei Bernhard ernst nehmen. Er legt im Grunde Wurzeln bloß, tut das mit der für ihn typischen Mitleidlosigkeit, die aber für eine große Genauigkeit sorgt. Ein guter Chirurg braucht eine kühle Hand. Auf die ist bei Bernhard Verlass. Er nimmt einen aber auch ordentlich ran. Sowohl die Schauspieler als auch die Zuschauer. Bei Bernhard sind das ja Operationen ohne Betäubung."
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"Ich habe kein schlechtes Gewissen."
Vera Höller:
"Natürlich nicht."
Dass Elmar Goerdens Thomas-Bernhard-Inszenierung zum frenetisch akklamierten Theaterabend wurde, hat vor allem mit den grandiosen Schauspielerleistungen zu tun. Nicole Heesters in ihrer herben, eleganten Eisigkeit ist eine Idealbesetzung für die Rolle der Vera. Wie sie vom Kommandoton der in Ehren ergrauten Nazi-Schickse, die ihre im Rollstuhl sitzende Schwester malträtiert, in den lieblich-koketten Tonfall der gealterten BDM-Maid verfällt, die dem vergötterten Bruder um den Bart streicht, ist eine Klasse für sich. Ganz, ganz stark aber auch Sona MacDonald, das "Familienopfer" im Rollstuhl. In ihrem Mienenspiel paart sich giftmischerinnenhafte Devotheit mit lauernder Aggressivität, eine gequälte Seele, die auch ihre Lieben nach Kräften quält. Zu Hause bei den Höllers: ein dreistündiger Höllentrip, der unter die Haut geht.
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