Archiv


Hoffen auf den strahlenden Nachschub

Medizin. - Radionuklide, mit denen Schilddrüsenerkrankungen, Krebs und Herzkrankheiten diagnostiziert und therapiert werden, werden in nur drei Reaktoren in Europa gewonnen. Weil die Meiler derzeit alle stillstehen, besteht ein weltweiter Mangel an den wichtigen Substanzen. Doch noch wirkt sich das nicht auf die Versorgung aus.

Von Julius Stucke |
    "Es misst dann zehn Sekunden und es ist so eingestellt, dass ab einer Aktivität von fünf Becquerel die Türen sich nicht mehr öffnen."

    Professor Markus Dietlein verlässt über die Sicherheitsschleuse den Therapiebereich der Klinik für Nuklearmedizin. Die Strahlung an seinen Händen und Füßen liegt knapp unter dem Sicherheitswert der Schleuse von fünf Becquerel. Viel ist das nicht, verglichen mit der natürlichen Strahlung jedes Menschen, die bei mehreren tausend Becquerel liegt. Therapiert werden in der Kölner Klinik etwa 1000 Patienten pro Jahr, deutlich häufiger ist die nuklearmedizinische Diagnose und die Operationsvorbereitung, zum Beispiel bei Brustkrebs:

    "Es stehen heute Vormittag hier vier Untersuchungen auf dem Programm, wo Patientinnen mit einem Brustkrebs zu uns kommen in der Fragestellung, den Wächterlymphknoten zu markieren. Der Wächterlymphknoten ist repräsentativ für alle weiteren, nachgeschalteten Lymphknoten. Den Patientinnen bleibt dann erspart: die Entnahme von zwölf Lymphknoten, ein Standard vor etwa zehn Jahren. Und das ist aber nicht erforderlich, wenn sie den entscheidenden Lymphknoten herausfinden."

    Um diesen Lymphknoten aufzufinden, werden der Patientin Stoffe in die Haut gespritzt, die mit Radionukliden, also radioaktiven Teilchen, markiert sind. Sie fließen in den Lymphknoten, den man dann anhand der Strahlung genau lokalisieren kann. Für viele ihrer Untersuchungen nutzen Nuklearmediziner das Radionuklid Technetium-99. Gewonnen wird dieses aus dem Isotop Molybdän, an welchem es in Europa momentan mangelt. Der Grund: Alle drei europäischen Reaktoren, die Molybdän produzieren, sind zurzeit außer Betrieb. Um einen vollständigen Lieferausfall zu verhindern, wurde auf Reaktoren in Südafrika und Kanada zurückgegriffen – weitere Produktionsstätten existieren nicht.

    Als die Probleme bekannt wurden, machte sich bei einigen Kliniken die Sorge breit, kein Molybdän mehr zu bekommen. Um dies zu vermeiden, arbeiten die sonst konkurrierenden Lieferfirmen zusammen, und die Verteilung der Stoffe aus den Ausweichreaktoren wurde auf europäische Ebene geregelt:

    "Wir wären zum Beispiel Kunde gewesen einer Firma, die kein Molybdän mehr bekommen hätte und sind sozusagen auch in den Genuss gekommen dieser europäischen Regelung, dass eben keiner von dieser Belieferung ausgeschlossen wird."

    Momentan ist die Situation, so Professor Dietlein, nicht dramatisch. Im Notfall bestünde außerdem die Möglichkeit auf andere, wenn auch teurere Stoffe auszuweichen. Kleine Veränderungen im Klinikalltag werden in Köln dennoch vorgenommen:

    "Untersuchungen, die genauso gut in drei bis vier Wochen sein könnten bei einem anzunehmenden gutartigen Schilddrüsenknoten, werden etwas nach hinten gesetzt."

    So soll sichergestellt werden, dass kurzfristig angesetzte lebenswichtige Therapien nicht an den Engpässen scheitern, die vermutlich noch bis Anfang November andauern. Sorge vor erneuten Versorgungsnotfällen hat Markus Dietlein nicht:

    "Also in den letzten 30 Jahren ist eine solche Konstellation nicht aufgetreten und die Erwartung ist, dass es auch in den nächsten zehn, 20 Jahren nicht zu einer gleichzeitigen Wartung von drei Anlagen kommt. Was aber zu bedenken ist, ist: der Reaktor, über den wir jetzt versorgt werden, aus Kanada, der ist 52 Jahre alt und vielleicht auch irgendwann in die Jahre gekommen."

    Das Alter der Reaktoren ist ein Grund, weshalb sich die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin, DGN, über zukünftige Versorgungssicherheit Gedanken macht. Die DGN regt an, bei kommenden Enpässen alternative Radionuklide schneller zuzulassen und wünscht sich ein EU-weites Informationsnetzwerk. Auf deutscher und europäischer Ebene finden Beratungen statt, wie künftig die Versorgung geregelt wird – langfristig steht auch die Errichtung neuer Produktionsreaktoren zur Diskussion. Für die Patienten scheint die Situation vorerst jedoch nicht kritisch zu sein:

    "Alle Untersuchungen, die dringlich sind oder bei stationären Patienten erforderlich sind, werden alle auch durchgehend angeboten, da braucht sich keiner Sorgen zu machen. Es läuft im Prinzip alles seinen normalen Gang."