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Hollywood Elegien

Für Emigranten ist die Ankunft im gelobten Land nicht unbedingt ein Zuckerschlecken. "In den Hügeln wurde Hold gefunden / An der Küste findet man Öl", so erinnerte sich Bertolt Brecht im Sommer 1942 in seinen Hollywood-Elegien. Aber: "Größere Vermögen bringen die Träume von Glück / Die man hier auf Zelluloid schreibt". Dies Los Angeles, über dem die Abfangjäger kreisten, erschien Brecht als "klassischer Ort, wo man Elegien schreiben muss". Und so entstanden melancholische Texte, präzise, böse, intime Diagnosen. "Gegengift" zur Welt des Glanzes und der flimmernden Demagogie, an deren Rand sich so mancher Emigrant ansiedelte, um von den Brosamen etwas zu erhaschen, die von den Tischen der reichen Medien-Herren abfielen.

Ein Beitrag von Frieder Reininghaus |
    "Unter den grünen Pfefferbäumen", so notierte Brecht in jenen Hollywood-Elegien, "gehen die Musiker auf den Strich". Dorthin, wo sich bereits die Schriftsteller um Aufträge drängeln und auch andere überqualifizierte Intellektuelle Schlange stehen, um wenigstens einen kleinen Auftrag zu erhalten. "Das Dorf Hollywood ist entworfen nach den Vorstellungen / Die man hierorts vom Himmel hat", heißt es in diesem kleinen Gedichtzyklus, den der bereits vor dem Freund Brecht in die USA emigrierte Komponist Hanns Eisler in einem schäbigen Hotelzimmer am Stadtrand von Los Angeles in Musik setzte: "Die Stadt ist nach den Engeln genannt / Und man begegnet allenthalben Engeln ..."

    Die Beobachtungen Brechts schrieb der Liedermacher Schorsch Kamerun, auch ein "digitaler Wikinger", im Auftrag der RuhrTriennale fort: er aktualisierte sie mit Szenen, die an Schicksale der Emigranten erinnerte, die auf Ellis Island ins "Auffanglager" gesperrt wurden und die es dann vor die Tore der Traumfabrik spülte. Für solche Erinnerungsarbeit erscheint die ehemalige Salzlagerhalle der Zeche Zollverein in Essen ein kongenialer Ort: die ehernen Zwänge jener historisch groß dimensionierten Jahre rufen sich da zwangsläufig ins Gedächtnis. Kokett führt eine mit Kinderstimme und impertinentem Lächeln aufreizende Hostess mit falschem blonden Haar die steile Treppe hinauf unters Dach - in eine museale Welt: Schorsch Kamerun lässt "klassische" Hollywood-Szenen vorführen und wie sie gefilmt werden: Track nach Westen in rauen Jahren.

    Dann gewährt er, ebenso karikaturistisch zugespitzt, Impressionen vom Geschäfts- und Liebesleben größerer und kleinerer Lichter in der Sphäre des Glamours – die ganze Palette der Verheißungen und Bedrohungen, der Nötigungen und des verzweifelten Überlebenskampfs. Ein Produzent im Rollstuhl sorgt auf brachiale Weise für das, was er "Stimmung" nennt; er führt makabre Zaubertricks und abgekochten Zynismus vor. Rechts hinüber führt eine Revue-Treppe die ins Medien-Gefüge integrierte Jungschauspielerin, die zur Märchenprinzessin mutiert und der sich zwei finstere Kraken, zwei genauso lustig tänzelnde Fischlein und zwei Seepferdchen hinzugesellen. Links öffnet sich über dem Abgrund eine Muschel mit einem Quartett grell maskierter Musikerinnen – je eine Flötistin, Fagottistin, Bratscherin und eine Cellistin bestreiten den Part, den Hanns Eisler seiner Vertonung der Brechtschen Hollywood-Elegien zugedacht hat. Die Vier sekundieren der Mezzosopranistin Ulrike Mayer, die ein halbes Dutzend so anrührend nostalgische Gesänge wie einen Leitfaden in die Szenenfolge webt und damit an das Wechselspiel des Schönberg-Schülers Eisler erinnert, der die musikalischen Mittel vom linken Schlager bis zur hoch sensiblen Fortschreibung freier Atonalität so virtuos beherrschte. Und immer wieder wird diese so nostalgisch getönte Musik aufgebrochen.

    "Hoffen heißt das Gewerbe". Schorsch Kamerun und sein Team haben eine Etude über das Prinzip der Biegsamkeit des Menschen zwischen immer wieder neuem Hoffen und großer Verzweiflung entwickelt – grob und subtil, theatralisch und musikalisch. Sie haben auf bemerkenswerte Weise mit historischem Material experimentiert und dessen Aktualität herausprozessiert.

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