Die Beobachtungen Brechts schrieb der Liedermacher Schorsch Kamerun, auch ein "digitaler Wikinger", im Auftrag der RuhrTriennale fort: er aktualisierte sie mit Szenen, die an Schicksale der Emigranten erinnerte, die auf Ellis Island ins "Auffanglager" gesperrt wurden und die es dann vor die Tore der Traumfabrik spülte. Für solche Erinnerungsarbeit erscheint die ehemalige Salzlagerhalle der Zeche Zollverein in Essen ein kongenialer Ort: die ehernen Zwänge jener historisch groß dimensionierten Jahre rufen sich da zwangsläufig ins Gedächtnis. Kokett führt eine mit Kinderstimme und impertinentem Lächeln aufreizende Hostess mit falschem blonden Haar die steile Treppe hinauf unters Dach - in eine museale Welt: Schorsch Kamerun lässt "klassische" Hollywood-Szenen vorführen und wie sie gefilmt werden: Track nach Westen in rauen Jahren.
Dann gewährt er, ebenso karikaturistisch zugespitzt, Impressionen vom Geschäfts- und Liebesleben größerer und kleinerer Lichter in der Sphäre des Glamours – die ganze Palette der Verheißungen und Bedrohungen, der Nötigungen und des verzweifelten Überlebenskampfs. Ein Produzent im Rollstuhl sorgt auf brachiale Weise für das, was er "Stimmung" nennt; er führt makabre Zaubertricks und abgekochten Zynismus vor. Rechts hinüber führt eine Revue-Treppe die ins Medien-Gefüge integrierte Jungschauspielerin, die zur Märchenprinzessin mutiert und der sich zwei finstere Kraken, zwei genauso lustig tänzelnde Fischlein und zwei Seepferdchen hinzugesellen. Links öffnet sich über dem Abgrund eine Muschel mit einem Quartett grell maskierter Musikerinnen – je eine Flötistin, Fagottistin, Bratscherin und eine Cellistin bestreiten den Part, den Hanns Eisler seiner Vertonung der Brechtschen Hollywood-Elegien zugedacht hat. Die Vier sekundieren der Mezzosopranistin Ulrike Mayer, die ein halbes Dutzend so anrührend nostalgische Gesänge wie einen Leitfaden in die Szenenfolge webt und damit an das Wechselspiel des Schönberg-Schülers Eisler erinnert, der die musikalischen Mittel vom linken Schlager bis zur hoch sensiblen Fortschreibung freier Atonalität so virtuos beherrschte. Und immer wieder wird diese so nostalgisch getönte Musik aufgebrochen.
"Hoffen heißt das Gewerbe". Schorsch Kamerun und sein Team haben eine Etude über das Prinzip der Biegsamkeit des Menschen zwischen immer wieder neuem Hoffen und großer Verzweiflung entwickelt – grob und subtil, theatralisch und musikalisch. Sie haben auf bemerkenswerte Weise mit historischem Material experimentiert und dessen Aktualität herausprozessiert.
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