Amüsiert, nicht etwa skandalisiert teilt Tom Wolfe solche Beobachtungen aus den USA unserer Tage mit. Der Mann mit den cremefarbenen Anzügen - über 40 davon soll er besitzen - betrachtet die Welt offensichtlich immer mehr als ein Kuriositätenkabinett, in dem er herumstöbert, hier und da ein merkwürdiges Objekt aus einer Kiste holt, es gegen das Licht hält und ein paar Bemerkungen dazu abgibt. Oft macht er sich nicht einmal die Mühe, es herumzudrehen und auch von der anderen Seite anzuschauen. So entgeht ihm manches. Zum Beispiel die neue Keuschheit unter Amerikas Jugendlichen, die sich in öffentlichen Selbstverpflichtungen äußert, bis zur Ehe unberührt zu bleiben. Dieses Phänomen könnte Tom Wolfes Beobachtung von den immer schneller absolvierten Baseball-Sex-Stationen widersprechen. Oder wenigstens ergänzen. Auf jeden Fall ist die Sache etwas komplizierter - weshalb er sie lieber nicht weiter verfolgt.
So ergeht es dem Leser dieser gescheiten, faktengesättigten, elegant und oft witzig formulierten Artikel häufig. Ja, aber - möchte er sagen, Wolfes Gedanken aufnehmen und weiterdrehen, relativieren oder ihnen entgegentreten. Die Stärke des Buches besteht darin, solche Aktivitäten auszulösen. Seine Schwäche: Dass sie nicht vorgesehen sind.
Von zweierlei ist Tom Wolfe zutiefst überzeugt: Der französische Naturalist Emile Zola ist der größte Schriftsteller aller Zeiten - und er, Tom Wolfe, der Zola unserer Zeit. Von Zola weiß man, dass er jedem seiner Romane umfangreiche Studien vorangehen ließ; er versuchte, vom Bergwerk bis zum Warenhaus alles über das jeweilige Milieu zu erfahren. Von Tom Wolfe weiß man dies auch. Nun ist Recherche für einen Romancier nicht von Nachteil, im Gegenteil. Es handelt sich aber doch eher um eine literarische Sekundärtugend. Für Wolfe ist sie indes das Maß aller Dinge, und er sieht weit und breit nur einen einzigen Autor, der ihm gerecht wird: sich selbst.
So ist "Hooking up" erfüllt von einer mal nur lustigen, mal ärgerlichen Selbstgefälligkeit und Rechthaberei. Dass Wolfes letzter Roman von den Kollegen Updike, Mailer und Irving verrissen wurde, veranlasste ihn zu einer weitschweifigen Replik, die hier abgedruckt ist: nicht weniger als 30 Druckseiten nimmt sie in Anspruch. Ganze 35 Jahre her ist die Attacke auf den "New Yorker". Sie machte den Journalisten Wolfe berühmt - und wird deshalb hier noch einmal wiedergekäut, Vor- und Nachwort inklusive. Man fragt sich ernsthaft, warum der Mann nicht auch ein paar Geniestreiche aus Highschool-Zeiten in diese Sammlung aufgenommen hat.
Dabei hat er doch genug "Neuigkeiten aus dem Weltdorf" - so der Untertitel - zu bieten. Etwa eine ausführliche Geschichte der amerikanischen Halbleiter- und Chip-Industrie, die von der Erfindung des Transistors und einem Kaff im Mittelwesten bis zur Firma Intel und dem Boom des Silicon Valley führt. Das ist spannend und verständlich erzählt - und hinterlässt doch Enttäuschung: Den durchschlagenden Erfolg der Garagenfirmen führt Tom Wolfe allen Ernstes auf etwas zurück, was er "andersgläubigen Protestantismus" nennt. Damit meint er unabhängige Kirchen wie die Kongregationalisten, denen die Familie des Intel-Gründers Noyce anhing. Diese religiösen Gemeinschaften hätten im 19. Jahrhundert ein moralisches Kapital akkumuliert, das die unternehmerische Energie noch ihrer Urenkel speiste, der hemdsärmeligen kalifornischen Silizium-Ingenieure. Ja, aber - möchte der Leser einwenden, erinnert sich dann aber daran, dass auch Wolfes Vorbild Emile Zola solche simplen Erklärungsmuster liebte. Allerdings erhielten sie durch das künstlerische Temperament, mit dem Zola seine deterministische Philosophie immer wieder durchkreuzte, eine visionäre, eine mythische Kraft. Vielleicht hätte Tom Wolfe doch lieber den Roman der Microchip-Industrie schreiben sollen. Vielleicht sollte er es noch tun. Das beste Stück in "Hooking up" ist nämlich eine Erzählung. Sie heißt "Hinterhalt in Fort Bragg" und schildert minutiös die Tricks, mit denen ein Fernsehsender drei Soldaten des Mordes an einem Homosexuellen überführt. "Sting TV" nennt man das in den USA, es arbeitet mit versteckten Video- Kameras und Wanzen und entfaltet zumindest für deutsche Verhältnisse alptraumhafte Qualitäten. Das kann er also immer noch, der einstige Erfinder des "new journalism" und "Mr. Zeitgeist, der in etlichen Beiträgen dieses Bandes unfreiwillig das Selbstporträt eines eitlen, reaktionären älteren Herrn gemalt hat.