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Horror im Kopf

Der britische Regisseur Peter Strickland verneigt sich mit seinem neuen Film "Berberian Sound Studio" vor der Kunst, im Film Angst zu erzeugen. Ihm gelingt eine schwarze Horrorkomödie mit surrealen Zügen, bei der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer wieder verschwimmen.

Von Rüdiger Suchsland | 08.06.2013
    "Excuse me: Do you speak..." - "No!"

    Wir befinden uns Mitte der 70er-Jahre; ein unscheinbarer verklemmter Brite, der auf den Namen Gilderoy hört, und seine besten Jahre schon hinter sich hat, kommt nach Italien. Er ist Tontechniker - ein Genie auf dem Gebiet der Soundeffekte, der Filmgeräusche. Während er eintaucht in die Welt der billigen italienischen Horrorproduktion, der sogenannten Giallos, die seinerzeit gerade große Mode waren, begegnen wir mit ihm einer im Bildmedium Kino meistens vernachlässigten Sphäre: der des Film-Tons.

    "The world of sound awaits you. A world that requires all your magic powers."

    Dies ist ein zauberhaftes Land voller Magie, in dem tatsächlich alles vorstellbar ist:

    Zunehmend vermischen sich für Gilderoy die Filmhandlung mit ihren ungewohnt grellen Effekten, sein Dasein in einem fremden Land und die Produktion selbst, die für ihn auch den Charakter eines Horrorfilms einnimmt.

    "Horror film? This is a Santini-film. Don't call my film horror again... This is going to be a fantastic film: brutal and honest."

    Genau! Der spießige Brite streitet sich nämlich bald mit dem exaltierten Italiener, der Handwerker mit dem Künstler, der sich als verkanntes Genie begreift. Ein Urkonflikt.

    So ist "Berberian Sound Studio" vor allem eine schräge Komödie über Kunstproduktion überhaupt und das Filmemachen im Besonderen. Weil sich Traumlogik und Realismus vermischen, und weil eben gerade auch im Kino nicht alles ist, was es scheint, bekommt der Film stellenweise surreale Züge.

    In seiner britischen Heimat ist Peter Strickland, der Regisseur ungarisch-deutscher Herkunft, der mit seinem kaum weniger kunstvollen Debüt "Katalin Varga" vor drei Jahren bei der Berlinale prompt einen großen Preis gewann, für dieses neue Werk bereits mit dem frühen David Lynch verglichen worden und mit dem schrägen Witz eines Roman Polanski, dessen Boshaftigkeit sich immer auch ein bisschen gegen die Zuschauer richtet - aber natürlich nur zu ihrem besten.

    Nicht zu unrecht. Denn der Film, der einerseits eine Hommage an die verborgene und im digitalen Zeitalter inzwischen vergessene Tontechnik ist, andererseits selbst eine Horrorkomödie, ist drittens und vor allem auch ein großes, sehr intelligentes Desillusionierungsunternehmen.

    Wenn zum Beispiel Köpfe krachen...

    "...sind das tatsächlich nur Wassermelonen. Was Sie jetzt im Radio nicht hören, werden Sie im Kino sehen -"

    wir sehen da, wie Gilderoy direkt vor dem Mikrofon Stängel von Radieschen ausreißt, mit einem Fleischermesser auf Kohlköpfe einsticht und Gemüse auf den Fußboden schmeißt, um den Schrecken auf der Leinwand zu vertonen.

    In der Sprecher-Kabine üben derweil Schauspielerinnen angsterfüllte Schreie, bis sie heiser sind, oder machen Knurr- und Fauchlaute, insgesamt eine bizarre schwarze Komödie der Kinokunst.

    Natürlich verliebt sich Gilderoy auch in eine Sprecherin, natürlich glaubt er sich irgendwann selbst in einen Horrorfilm versetzt und natürlich erlebt der alternde Mann eine Art zweiter Geburt: eine psychometaphysische Implosion von Furcht und Schrecken, Erschauern und Entsetzen.

    Doch neben all dem und vor allem ist "Berberian Sound Studio" eine große Hommage an die Filmkunst und die Kunst, im Kino Angst zu erzeugen. In grellen Farben, schräg anmutenden Bild-Schnitten und einigen wie im Drogenrausch wirrend - taumelnden Kamera-Schwenks und panischen Zooms verbeugt sich Strickland vor dem Kino solcher Großmeister wie Mario Bava oder dem immer noch aktiven Dario Argento.

    Dieser Film ist genau das, was Kino in seinen besten Momenten ist: eine schier unklassifizierbare Achterbahnfahrt der Emotionen, ein albtraumhaftes Traumspiel.