Im Computerspiel "World of Warcraft" wimmelt es von Nachtelfen, Trollen und Zwergen. Jeder Spieler ist Mitglied einer Fraktion und kämpft unentwegt gegen feindliche Gruppen. Fast wie im richtigen Leben also, nur virtuell - sollte man jedenfalls meinen bei einem Computerspiel. US-Geheimdienstler sind da allerdings ganz anderer Auffassung. Sie vermuten - so schreibt es Thomas Darnstädt in seinem Buch "Der globale Polizeistaat" - in der Fantasywelt einen Tummelplatz für Terroristen. US-Schlapphüte - verkleidet als Hexenmeister oder Jäger - verfolgen seither heimlich die Spuren, die vermeintliche islamische Fundamentalisten in der Parallelwelt des Computerspiels hinterlassen.
So skurril diese Episode auch sein mag, für Darnstädt spiegelt sie eine verhängnisvolle Entwicklung wider: Seit dem 11. September 2001 grassiert zunehmend die Angst vor dem globalen Terrorismus als asymmetrische, diffuse Bedrohung. Terroristen - so die weitverbreitete These - können jederzeit überall auftauchen, also müssen sie jederzeit und überall bekämpft werden.
Dabei verschwimmen aber zunehmend die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, zwischen Polizei und Militär, zwischen In- und Ausland; vor allem unterminiert der "Sicherheitswahn", wie der SPIEGEL-Redakteur Darnstädt es nennt, zunehmend die Grundlagen des freiheitlichen Verfassungsstaates. Fatal sei dieser Prozess auch deshalb, weil er auf Gefahren reagiere, deren Existenz gar nicht beweisbar sei.
"Gefahr ist ja nach unserer Vorstellung die auf sichere Basis gegründete Prognose über unmittelbar bevorstehende schlimme Ergebnisse. Genau darum geht es ja hier nicht! Es geht um Spekulationen, um Risikoaussagen, um Dinge, die möglicherweise zutreffen, möglicherweise nicht. Es lässt sich in keinem Fall überprüfen, ob eine solche Aussage berechtigt war. Denn wenn das als riskant prognostizierte Ereignis nicht eintritt, dann kann ja jeder - Herr Schäuble etwa oder das Bundeskriminalamt - sagen: 'Na, ja, da seht Ihr mal, wie gut die Vorsorge ist, die wir treffen.'"
Auf 350 Seiten, unterteilt in vier Abschnitten, analysiert Thomas Darnstädt den Terrorismus und was ihn so gefährlich macht. Er fragt, wie der Staat sich juristisch zur Wehr setzen kann. Im dritten Teil beschreibt er, wie beim Kampf gegen den Terrorismus die Weltordnung aus den Fugen gerät, und im vierten schließlich skizziert Darnstädt Schritte zu einem "zivilen Weltgewaltrecht". Wer den "Spiegel"-Stil mit seinen markigen Reportagen mag, kommt übrigens voll auf seine Kosten.
"Kein Zischen, kein Knall. Sinas al-Harthi hat nichts mehr gehört von dem Geschoss, das ihn tötete. Die Hellfire-Rakete, die am 4. November 2002 punktgenau in seinem Geländewagen einschlug, war schneller als der Schall."
Auf seine Kosten kommt aber auch, wer sauber recherchierte Informationen sucht, wobei der promovierte Staatsrechtler komplexe juristische Sachverhalte auf die Ebene gut lesbarer Analyse herunter bricht; etwa bei der Diskussion um den Begriff "Gefährder", einer unscharfen Umschreibung für Personen, die möglicherweise politisch motivierte Straftaten begehen, es aber noch nicht getan haben.
Selbstredend erfährt kein "Gefährder" von der Polizei, dass er beobachtet wird; selbstredend - so Darnstädt - ist genau dies Basis für eine unkontrollierte Sammelwut.
"In solchen Listen und Karteien werden ja nicht nur Terroristen selber, sondern auch Personen geführt, die in Verdacht stehen, Terroristen zu unterstützen oder die Kontakt haben zu Personen, die Terroristen unterstützen oder auch nur in Verdacht stehen, in Kontakt zu Personen zu stehen, die in Verdacht stehen, Terroristen zu unterstützen. Sie sehen: der Kreis derer, die zum Gegenstand der Sicherheitsbehörden werden, wird immer größer."
Größer wird auch die Gefahr unerlaubter Ermittlungsmethoden. Natürlich: US-Präsident Barack Obama will das Terrorgefängnis Guantánamo schließen, außerdem dürfen durch Folter erzwungene Aussagen - Waterboarding etwa oder Schlafentzug - in Gerichtsverfahren nicht mehr verwendet werden. Das Ende der Diskussion um die Rechtfertigung von Folter sei dies aber nicht.
"Mittlerweile kann man nicht mehr sicher sein in Deutschland, dass man dann nicht gefoltert wird. Es gibt Überlegungen vorerst nur auf Ebene der Berater des Ministeriums und der Polizei, die sagen: 'Na, ja, im Falle, dass eine Bombe tickt, der ticking-bomb-test, müsste es auch möglich sein, Personen, die darüber Auskunft geben können, wo eine solche Bombe versteckt ist beispielsweise, zu foltern."
Zu einer breiten Diskussion um das Folterverbot kam es 2002. Damals drohte der Polizeipräsident von Frankfurt am Main dem Kindesentführer Magnus Gäfken Folter für den Fall an, dass er das Versteck seines Opfers nicht preisgab. In der Folge wurde das absolute Folterverbot zwar gerichtlich bestätigt, verstummt ist die Diskussion darüber allerdings nicht.
"Ist die Verletzung des Folterverbots im Notfall erlaubt? Eine breit in der Rechtswissenschaft vertretene Ansicht neigt zu einem vorsichtigen 'Ja'. Der Osnabrücker Rechtsphilosoph Rainer Trapp fand auch gleich die richtigen Worte. Statt von Folter müsse man gegebenenfalls von 'selbst verschuldeter Rettungsbefragung (SRB)' sprechen. Auch der Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat offenbar schon mal darüber nachgedacht. Er sah jedenfalls dann keinen Verstoß gegen die Menschenwürde in solchen staatlichen Rettungsaktionen, wenn der Malträtierte 'die Situation in der Hand hat oder so herbeiführt, dass er als Subjekt voraussehbar die Bedingung für bestimmte Konsequenzen setzt und verantwortet'."
Bleibt die Frage, wie der globale Polizeistaat und das Ende unserer Freiheit verhindert werden können. Denn auch das ist klar: Die terroristischen Gefahren mögen teilweise überbewertet sein, real sind sie allemal. Thomas Darnstädts Vorschlag: mit einem Weltpolizeirecht in einem Weltstaat!
"Wenn es ein Weltstrafrecht gibt, warum kann es dann kein Weltpolizeirecht geben? Wenn es möglich ist, in der Grauzone zwischen innerer Sicherheit und Krieg mit den Mitteln der Strafe friedenstiftend zu wirken und Menschenrechte zu schützen, warum soll dies dann nicht präventiv ebenso möglich sein? Warum soll nicht die Abwehr besonders schwerer Bedrohungen - auch für die Menschenrechte - ebenfalls eine Angelegenheit der Weltgemeinschaft sein?"
Rezensiert von Mirko Smiljanic
Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten
Ein SPIEGEL-Buch erschienen in der Deutschen Verlags-Anstalt, München 2009
19.95 Euro.
So skurril diese Episode auch sein mag, für Darnstädt spiegelt sie eine verhängnisvolle Entwicklung wider: Seit dem 11. September 2001 grassiert zunehmend die Angst vor dem globalen Terrorismus als asymmetrische, diffuse Bedrohung. Terroristen - so die weitverbreitete These - können jederzeit überall auftauchen, also müssen sie jederzeit und überall bekämpft werden.
Dabei verschwimmen aber zunehmend die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, zwischen Polizei und Militär, zwischen In- und Ausland; vor allem unterminiert der "Sicherheitswahn", wie der SPIEGEL-Redakteur Darnstädt es nennt, zunehmend die Grundlagen des freiheitlichen Verfassungsstaates. Fatal sei dieser Prozess auch deshalb, weil er auf Gefahren reagiere, deren Existenz gar nicht beweisbar sei.
"Gefahr ist ja nach unserer Vorstellung die auf sichere Basis gegründete Prognose über unmittelbar bevorstehende schlimme Ergebnisse. Genau darum geht es ja hier nicht! Es geht um Spekulationen, um Risikoaussagen, um Dinge, die möglicherweise zutreffen, möglicherweise nicht. Es lässt sich in keinem Fall überprüfen, ob eine solche Aussage berechtigt war. Denn wenn das als riskant prognostizierte Ereignis nicht eintritt, dann kann ja jeder - Herr Schäuble etwa oder das Bundeskriminalamt - sagen: 'Na, ja, da seht Ihr mal, wie gut die Vorsorge ist, die wir treffen.'"
Auf 350 Seiten, unterteilt in vier Abschnitten, analysiert Thomas Darnstädt den Terrorismus und was ihn so gefährlich macht. Er fragt, wie der Staat sich juristisch zur Wehr setzen kann. Im dritten Teil beschreibt er, wie beim Kampf gegen den Terrorismus die Weltordnung aus den Fugen gerät, und im vierten schließlich skizziert Darnstädt Schritte zu einem "zivilen Weltgewaltrecht". Wer den "Spiegel"-Stil mit seinen markigen Reportagen mag, kommt übrigens voll auf seine Kosten.
"Kein Zischen, kein Knall. Sinas al-Harthi hat nichts mehr gehört von dem Geschoss, das ihn tötete. Die Hellfire-Rakete, die am 4. November 2002 punktgenau in seinem Geländewagen einschlug, war schneller als der Schall."
Auf seine Kosten kommt aber auch, wer sauber recherchierte Informationen sucht, wobei der promovierte Staatsrechtler komplexe juristische Sachverhalte auf die Ebene gut lesbarer Analyse herunter bricht; etwa bei der Diskussion um den Begriff "Gefährder", einer unscharfen Umschreibung für Personen, die möglicherweise politisch motivierte Straftaten begehen, es aber noch nicht getan haben.
Selbstredend erfährt kein "Gefährder" von der Polizei, dass er beobachtet wird; selbstredend - so Darnstädt - ist genau dies Basis für eine unkontrollierte Sammelwut.
"In solchen Listen und Karteien werden ja nicht nur Terroristen selber, sondern auch Personen geführt, die in Verdacht stehen, Terroristen zu unterstützen oder die Kontakt haben zu Personen, die Terroristen unterstützen oder auch nur in Verdacht stehen, in Kontakt zu Personen zu stehen, die in Verdacht stehen, Terroristen zu unterstützen. Sie sehen: der Kreis derer, die zum Gegenstand der Sicherheitsbehörden werden, wird immer größer."
Größer wird auch die Gefahr unerlaubter Ermittlungsmethoden. Natürlich: US-Präsident Barack Obama will das Terrorgefängnis Guantánamo schließen, außerdem dürfen durch Folter erzwungene Aussagen - Waterboarding etwa oder Schlafentzug - in Gerichtsverfahren nicht mehr verwendet werden. Das Ende der Diskussion um die Rechtfertigung von Folter sei dies aber nicht.
"Mittlerweile kann man nicht mehr sicher sein in Deutschland, dass man dann nicht gefoltert wird. Es gibt Überlegungen vorerst nur auf Ebene der Berater des Ministeriums und der Polizei, die sagen: 'Na, ja, im Falle, dass eine Bombe tickt, der ticking-bomb-test, müsste es auch möglich sein, Personen, die darüber Auskunft geben können, wo eine solche Bombe versteckt ist beispielsweise, zu foltern."
Zu einer breiten Diskussion um das Folterverbot kam es 2002. Damals drohte der Polizeipräsident von Frankfurt am Main dem Kindesentführer Magnus Gäfken Folter für den Fall an, dass er das Versteck seines Opfers nicht preisgab. In der Folge wurde das absolute Folterverbot zwar gerichtlich bestätigt, verstummt ist die Diskussion darüber allerdings nicht.
"Ist die Verletzung des Folterverbots im Notfall erlaubt? Eine breit in der Rechtswissenschaft vertretene Ansicht neigt zu einem vorsichtigen 'Ja'. Der Osnabrücker Rechtsphilosoph Rainer Trapp fand auch gleich die richtigen Worte. Statt von Folter müsse man gegebenenfalls von 'selbst verschuldeter Rettungsbefragung (SRB)' sprechen. Auch der Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat offenbar schon mal darüber nachgedacht. Er sah jedenfalls dann keinen Verstoß gegen die Menschenwürde in solchen staatlichen Rettungsaktionen, wenn der Malträtierte 'die Situation in der Hand hat oder so herbeiführt, dass er als Subjekt voraussehbar die Bedingung für bestimmte Konsequenzen setzt und verantwortet'."
Bleibt die Frage, wie der globale Polizeistaat und das Ende unserer Freiheit verhindert werden können. Denn auch das ist klar: Die terroristischen Gefahren mögen teilweise überbewertet sein, real sind sie allemal. Thomas Darnstädts Vorschlag: mit einem Weltpolizeirecht in einem Weltstaat!
"Wenn es ein Weltstrafrecht gibt, warum kann es dann kein Weltpolizeirecht geben? Wenn es möglich ist, in der Grauzone zwischen innerer Sicherheit und Krieg mit den Mitteln der Strafe friedenstiftend zu wirken und Menschenrechte zu schützen, warum soll dies dann nicht präventiv ebenso möglich sein? Warum soll nicht die Abwehr besonders schwerer Bedrohungen - auch für die Menschenrechte - ebenfalls eine Angelegenheit der Weltgemeinschaft sein?"
Rezensiert von Mirko Smiljanic
Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten
Ein SPIEGEL-Buch erschienen in der Deutschen Verlags-Anstalt, München 2009
19.95 Euro.