Archiv


Horrorszenarien der Wissenschaftler

Vor einem Jahr grassierte die Vogelgrippe in Asien, eine tödliche Epidemie für Hühner, Puten und Wasservögel. Fieber, Durchfall und Atemprobleme sind die Symptome. Ab dann geht alles sehr schnell. Die Tiere sterben meistens innerhalb von Stunden. In Thailand und anderswo wurden damals Millionen Hühner getötet, um zu verhindern, das sich das Grippevirus ausbreitet. Einige Menschen, die in engem Kontakt mit Geflügel leben, erkrankten auch; manche starben.

Von Suzanne Krause |
    Bei der Weltorganisation für Tiergesundheit, OIE in Paris, diskutieren seit gestern Wissenschaftler über die Vogelgrippe. Sie befürchten Schlimmes. Denn einem offiziellen Brief aus dem sonst so wenig auskunftsfreudigen Nordkorea zufolge scheint die Vogelgrippe auch dort ausgebrochen zu sein. Zur Entwarnung besteht also kein Anlass.

    Seit gestern und bis heute Abend findet in Paris ein internationales Meeting zum Thema Vogelgrippe statt. Auf Einladung der Weltorganisation für Ernährung, FAO, und der Weltorganisation für Tiergesundheit, OIE, diskutieren um die 250 Experten aus der ganzen Welt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Eingeladen ist auch die WHO, die Weltorganisation für Gesundheit. Vor 15 Monaten ist die Epidemie in Südost-Asien ausgebrochen und laut Meinung der Spezialisten kann es 20 Jahre dauern, bis die Virenherde dort ausgerottet sein werden. Die Dringlichkeit der Lage wird belegt durch einen offiziellen Brief der Regierung in Nordkorea, der gestern im Pariser Hauptquartier der OIE, der Weltorganisation für Tiergesundheit, einging: erstmals bestätigt wird hierin, dass der Vogelgrippevirus auch in Nordkorea grassiert, dass dort schon Hunderttausende von Tieren getötet wurden. Bei dem verantwortlichen Virus scheint es sich um eine neue Untergruppe zu handeln. Und die Verantwortlichen bitten um internationale Hilfe, um der Epidemie Herr zu werden.

    " Die Vogelgrippe-Epidemie in Asien, die bislang unbekannte Ausmaße erreicht hat, ist noch nicht unter Kontrolle. Bisher sind 79 Menschen nachweislich an dem Vogelvirus erkrankt, die Todesrate liegt bei erschreckenden 62%. Es gibt Hinweise auf eine mögliche Virusmutation, die für eine Übertragung der Krankheit von Mensch zu Mensch verantwortlich sein könnte."

    Diese alarmierenden Worte zum Auftakt des Meetings stammen von Francois-Xavier Meslin von der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Vogelgrippe könnte aus Asien auch auf andere Kontinente überspringen, warnen so die Meeting-Organisatoren einmal mehr. Francois-Xavier Meslin von der WHO führt zur derzeitigen Lage in Asien aus:

    " Wir sehen eine gewisse Anzahl von Dingen, die sich entwickeln. Die Zahl der erkrankten Menschen steigt, auch wenn sie bislang noch begrenzt ist. Das Virus scheint seine Eigenheiten zu verändern."

    All das gibt den Verantwortlichen bei der WHO Grund zur Sorge. Selbst wenn es unmöglich ist, vorherzusagen, ob daraus eine weltweite Epidemie entsteht oder nicht, so ist dies doch möglich, meint Meslin:

    " Und manche Experten sagen, das eine Epidemie mehr als wahrscheinlich sei und natürlich hören wir auf diese Experten."

    Hinter den verschlossenen Türen beim Meeting entwirft so mancher Teilnehmer wild umstrittene Horrorszenarien. Der Ausgangspunkt : das Vogelvirus könnte zu einer Form mutieren, die eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich mache. Tauchte ein solches Virus im Großraum Paris auf, so würden sich innerhalb von knapp 2 Monaten 35 % der Bevölkerung damit infiziert, könnten bis zu 2 Millionen Menschen daran sterben. In den Vereinigten Staaten beginnen derzeit erste klinische Versuche am Menschen, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Kein leichtes Unternehmen, denn das Virus verändert sich sehr schnell. Meslin meint, dass es sicherlich einen großen Unterschied gibt zwischen reichen und armen Ländern, was den Schutz der Bevölkerung anbelangt. Gelingen wird dies vor allem den reichen Ländern, die über eine Pharmaindustrie verfügen, welche in der Lage ist, entsprechende Impfstoffe herzustellen. Der WHO-Experte kündigt an:

    " Um für mehr Gleichheit auch für die armen Länder zu sorgen, und das ist unsere Pflicht, müssen wir Institutionen wie der Weltbehörde für Ernährung und der Weltorganisation für Tiergesundheit helfen, die Krankheit dort zu bekämpfen, wo sie derzeit auftritt: bei den Tieren."

    In diesem Sinne sei es beispielsweise außerordentlich wichtig, die Kontakte zwischen Menschen und kranken Tieren zu begrenzen.

    Zum Abschluss des internationalen Meetings in Paris wird heute offiziell ein neues Netzwerk seine Arbeit aufnehmen, gegründet von den Weltorganisationen für Ernährung und für Tiergesundheit. Als notwendige Ergänzung zum schon gut etablierten Netzwerk der WHO rund um die menschlichen Fälle. Illaria Capua ist bei der OIE die wissenschaftliche Fachfrau im Bereich Vogelgrippe erläutert dessen Aufgaben :

    " Nachdem die Forschung im Bereich Vogelgrippe erst kürzlich in Mode kam, wollen wir nun die über die ganze Welt verstreuten Expertisen zum Thema zusammenführen und auch für die WHO zugänglich machen."

    Ebenso beabsichtigt sei, synergetische Forschungsprojekte zu entwickeln, um geldverschwenderische Doppelungen bei Experimenten zu vermeiden. Und ein weiteres wichtiges Ziel ist es, Verantwortliche in Entwicklungsländern auszubilden, ihnen bei der Virus-Diagnose und dem Management der Vogelgrippe-Krise zu helfen.
    Mit 100 Millionen Dollar wird beim Meeting das Budget beziffert, um die Vogelgrippe-Krise in Asien einzudämmen. Deutschland hat schon eine großzügige finanzielle Beteiligung angekündigt. Samuel Jutzi von der WHO ist davon überzeugt: für die Industriestaaten käme es wesentlich billiger, zu diesem Fond beizusteuern als im Falle einer Epidemie im eigenen Land die Bevölkerung schützen zu wollen:

    " Deswegen erstaunt uns teilweise schon der Mangel an politischem Willen unter Geberländern, nötige Ressourcen hinter Programme zu stecken."