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Hüter der Unabhängigkeit (2/5)
KFOR-Soldaten hinter Klostermauern

Die multinationale KFOR bewacht im Kosovo nur noch einen Ort rund um die Uhr: das serbisch-orthodoxe Kloster Dečani im Westen des Landes. Auf Wunsch der Regierung schützen nach wie vor Soldaten aus Italien, Moldau, Slowenien und Österreich die Anlage.

Von Christoph Kersting | 24.04.2018
    Die Klosterkirche Decani im Kosovo, aufgenommen am 17.07.2014. Foto: Thomas Brey/dpa (zu dpa "Serbische Kosovo-Klöster leiden unter albanischen Attacken")
    Das Kloster Dečani liegt im Westen des Kosovo, die Grenzen zu Albanien und Montenegro sind nur wenige Kilometer entfernt (dpa / picture-alliance / Thomas Brey)
    Vater Andrej ist spät dran an diesem Sonntagmorgen. Er eilt zur Kirche des serbisch-orthodoxen Klosters Dečani, und fünf Minuten später sitzt er neben seinen Brüdern auf einer Holzbank im Innern der düsteren Klosterkirche. Sie stammt wie das gesamte Kloster aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und ist das größte serbische Bauwerk aus dieser Zeit. Ebenso einzigartig sind die Freskenmalereien nach byzantinischem Vorbild. Und: Anfang der 1960er-Jahre war das Kloster Kulisse für den Karl-May-Streifen "Der Schut".
    Zwei größere Pilgergruppen aus Serbien und Montenegro besichtigen heute das Kloster, und die meisten Gläubigen besuchen auch die Sonntagsmesse.
    Das Kloster liegt im Westen des Kosovo, die Grenzen zu Albanien und Montenegro sind nur wenige Kilometer entfernt, genauso wie die gleichnamige Kleinstadt Dečani – wo allerdings seit dem Kosovo-Krieg keine Serben mehr leben. Die albanisch sprechenden Einheimischen nennen das Örtchen deshalb nur "Deçan".
    Kloster wird rund um die Uhr bewacht
    Nach der Messe verabschiedet Vater Andrej bei strahlendem Sonnenschein und mit Blick auf die umliegenden Berge noch einige der Besucher, hält ein Schwätzchen mit diesem oder jenem - auch mit den Uniformierten, die innerhalb der Klostermauern unterwegs sind: italienische und österreichische KFOR-Soldaten. Dass die Schutztruppe in und um das Kloster herum überall präsent sei, habe gute Gründe, erzählt Vater Andrej. Der 45-Jährige mit dem langen, langsam grau werdenden Bart hat einige Zeit in Australien gelebt und nutzt gerne jede Gelegenheit sein Englisch zu trainieren:
    "Wir sind hier der am häufigsten attackierte Ort seit dem Ende des Kosovokrieges 1999. Seitdem wurde das Kloster vier Mal beschossen, zuletzt im Jahr 2007. Da wurde aus dem Wald oberhalb des Klosters eine Mörsergranate abgefeuert, die die Klostermauer beschädigt hat. Zum Glück ist nie jemand verletzt worden."
    Und zum Glück waren sofort italienische KFOR-Soldaten zur Stelle, um die Anlage zu schützen. Ein Albaner wurde für den Angriff später zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bis heute wird das Kloster rund um die Uhr von der KFOR bewacht, die Soldaten am großen Torbogen kontrollieren jeden Besucher, jedes Fahrzeug, das auf dem Platz vor dem Kloster parkt. Wer hinein will, in die Anlage, muss bei den Soldaten seinen Ausweis abgeben.
    Lage ist weitestgehend stabil
    Zuständig für die Sicherheit in diesem Landesteil und damit auch für Dečani ist die "Multinational Battle Group West". Die 750 KFOR-Soldaten unter italienischem Kommando sind im 20 Kilometer entfernten Peja stationiert. Neben Italienern gehören der Einheit Soldaten aus Moldau, Slowenien und Österreich an. An diesem Sonntag schieben Soldaten des österreichischen Bundesheeres Dienst am Eingang zum Kloster. Drei junge Rekruten mit Schnellfeuergewehren laufen vor ihrem Wachhäuschen aus Holz auf und ab, kontrollieren die Besucher. Doch im Umfeld des Klosters seien stets weitere Soldaten sofort einsatzbereit, erzählt der österreichische Kompaniechef Christoph Seirer.
    "Das Kloster in Dečani ist unser einziges Schutzobjekt, das KFOR noch direkt bewacht, und dementsprechend haben wir hier 24 Stunden, sieben Tage die Woche eine Bewachung sicherzustellen. Die politische Lage ist mir derzeit so weit bekannt, dass es nach wie vor Wunsch der Regierung ist, dass KFOR sich hier um das Kloster kümmert und die Sicherheit vor Ort sicherstellt. Ich bin jetzt seit sechs Monaten hier, in unserer Zeit gab es keine nennenswerten Vorfälle, also wir haben hier einen ganz ruhigen Wachdienst."
    KFOR ein paar hundert Meter von Decani - Das Visoki Decani Kloster
    Wachposten kontrollieren den Zugang zum serbisch-orthodoxen Kloster im Westen des Landes (Archivbild) (imago stock&people/ Chris Huby /Le Pictorium )
    Die Lage ist weitestgehend stabil, so, wie im Rest des Landes eigentlich auch. Aber eben nur weitestgehend. Mitte Januar etwa wurde in der nordkosovarischen Stadt Mitrovica der kosovoserbische Politiker Oliver Ivanović vor seinem Haus erschossen. Täter und Motiv liegen noch im Dunkeln, doch der Mordanschlag belastet erneut das Verhältnis zwischen Belgrad und Pristina – genauso wie die spektakuläre Verhaftung des Belgrader Chefunterhändlers für den Kosovo, Marko Djuric, Ende März ebenfalls in Mitrovica.
    Vergangenheit lässt sich nicht ausblenden
    Auch in Dečani sei der letzte ernsthafte Vorfall noch gar nicht so lange her, betont Vater Andrej. Vor zwei Jahren wurde eine Gruppe Salafisten vor dem Kloster festgenommen, in ihrem Auto waren Schusswaffen gefunden worden. Immer wieder gebe es auch Drohungen über die sozialen Netzwerke, er und seine 21 Mitbrüder müssten stets wachsam sein. Alleine oder gemeinsam mit anderen Mönchen ins nahe Städtchen Dečani fahren? Der serbische Geistliche antwortet mit einem leicht zynischen Lächeln im Gesicht:
    "Wenn ich als Märtyrer enden wollte, könnte ich das tun. Da ich es aber nicht wert bin als Märtyrer zu enden, werde ich das lieber lassen. Nein, es ist einfach zu gefährlich für uns dort. Dabei haben wir vielen Albanern geholfen im Kosovokrieg, ihnen Unterschlupf gewährt. Aber wir werden hier von den Muslimen zuallererst als Serben gesehen, nicht als Christen oder Mönche. Und man kann sich vorstellen, wie sich jene Serben im Kosovo fühlen müssen, die nicht von der KFOR und dicken Klostermauern.
    Doch der serbisch-orthodoxe Mönch weiß, dass es auch für die Kosovaren nicht einfach ist, das, was geschehen ist, auszublenden.
    Am schwersten habe es bis heute ein Kosovo-Albaner, der als Serben-Freund gelte, sagt er nachdenklich. Bis die KFOR ihre Wachposten vorm Kloster räumen könne, das werde jedenfalls noch lange dauern, ist sich der Mönch sicher. Dafür müsse das Land, in dem er lebt, ein Rechtsstaat sein. Davon sei der Kosovo allerdings noch weit entfernt.