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Hundt: Die Weltkonjunktur wird Deutschland ein Stück weit mitreißen

ngesichts der labilen Wirtschaftsentwicklung hat Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt längere Arbeitszeiten und moderate Lohnabschlüsse gefordert. Im internationalen Vergleich werde in Deutschland zu wenig gearbeitet, sagte Hundt im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Optimistisch äußerte er sich zu den Wachstumsaussichten: sie seien derzeit höher als noch vor wenigen Monaten.

Moderation: Volker Finthammer |
    Finthammer: Herr Dr. Hundt, 2006 ist ein Jahr voller Hoffnungen. Ich vermute mal, eine Ihrer größten Hoffnungen dürfte ja wie bei so vielen sein, die Frage zumindest, ob Deutschland Fußballweltmeister wird. Sehen Sie die deutsche Elf auf einem guten Weg dahin?

    Hundt: Zunächst einmal ist Fußball für mich in der Tat die wichtigste Nebensache der Welt, und deshalb beschäftigt mich nebst der Verantwortung für mein Unternehmen und Ausübung des Amtes eines Arbeitgeberpräsidenten in Deutschland natürlich im Jahr 2006 auch die Frage, wie wohl die Fußballweltmeisterschaft ausgehen wird. Ich denke, die deutsche Fußballnationalmannschaft ist auf einem guten Weg. Ich halte die Art und Weise, wie Jürgen Klinsmann vorgeht, wie er die jungen Spieler motiviert, für sehr gut und bin überzeugt, dass wir nicht nur über die erste Gruppe hinwegkommen, sondern uns im Verlauf des Turniers steigern werden und relativ weit kommen.

    Finthammer: Sie sind dafür bekannt, dass Sie hin und wieder mal gerne Wetten eingehen. Das will ich jetzt hier nicht öffentlich tun, aber dennoch möchte ich Ihnen am 1. Januar mal die Frage stellen: Kommt die deutsche Elf Ihrer Meinung, Ihrer Hoffnung nach ins Finale?

    Hundt: Ich bin überzeugt, dass Deutschland unter die letzten Vier kommt. Und wenn ein bisschen Glück dabei ist, halte ich die Teilnahme am Finale, voraussichtlich dann gegen Brasilien, durchaus für denkbar.

    Finthammer: An die Weltmeisterschaft knüpfen sich ja nicht nur sportliche, sondern auch viele ökonomische Hoffnungen. Das ist ja Ihr eigentliches Thema. Sie haben es vorhin schon angedeutet. Wird denn die Weltmeisterschaft in Deutschland auch den hiesigen Wirtschaftsaufschwung beflügeln helfen?

    Hundt: Alle Prognosen über die Entwicklung des Wirtschaftswachstums in Deutschland sind derzeit höher als noch vor wenigen Monaten. Ich denke auch, dass wir im Jahre 2006 ein Wirtschaftswachstum in einem Bereich von mindestens 1,5 Prozent erzielen können. Die Weltkonjunktur wird Deutschland ein Stück mitreißen. Ich gehe vor allen Dingen auch davon aus, dass zumindest im zweiten Halbjahr 2006 durch die dann bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung eine Vorwegnahme von Käufen stattfindet und wir über den Konsum noch einen zusätzlichen Wachstumsimpuls erhalten. Letzterer wird allerdings im Jahr 2007 kompensiert werden, und deshalb halte ich für ganz, ganz wichtig, dass entsprechende Reformen kurzfristig verabschiedet werden, die verhindern, dass die Entwicklung 2007 wieder zu schlecht wird.

    Finthammer: Bleiben wir erst einmal bei den harten, ökonomischen Fakten. Kurz vor Weihnachten hatte ja das Münchner IFO-Institut die Konjunkturerwartungen für das jetzt beginnende Jahr deutlich nach oben geschraubt und gar von einer Wirtschaft im Aufschwung gesprochen. Statt der im Frühherbst erwarteten Wachstumsrate von 1,2 Prozent gehen die Münchner Forscher jetzt sogar von einer Wachstumsrate von 1,7 Prozent aus. Sie haben es schon angedeutet, aber sind das die Erwartungen, die Sie teilen und gibt es neben der WM auch noch wirklich andere triftige Gründe dafür, dass man sagen kann ja, da findet ein Aufschwung statt?

    Hundt: Die weltwirtschaftliche Entwicklung ist gut, ist anhaltend gut und es spricht einiges dafür, dass diese Entwicklung entsprechende Auswirkungen auch auf die deutsche Konjunktur haben wird. Unser Export lief schon im letzten Jahr sehr erfolgreich, und ich gehe davon aus, dass jetzt im Jahr 2006 eher nochmals ein Anstieg zu verzeichnen sein wird. Die Fußballweltmeisterschaft wird einen gewissen Sondereffekt auf die deutsche Konjunktur haben, und wie gesagt, die Mehrwertsteuererhöhung zum 1.1.2007 wirkt sich sicherlich zum Ende dieses Jahres ebenfalls positiv aus.

    Finthammer: "Bundeskanzlerin" ist das Wort des Jahres 2005 gewesen. Ist das dann möglicherweise der Aufschwung Angela Merkels oder sind das Zeichen eben für die hohen Erwartungen an diese neue große Koalition?

    Hundt: Die deutsche Wirtschaft und die deutsche Bevölkerung haben natürlich hohe Erwartungen an die neugebildete große Koalition. Es wird jetzt an der Bundeskanzlerin und ihren wichtigen Ministern liegen, den zugesagten Reformweg auch zügig umzusetzen und damit die Voraussetzung zu schaffen, dass wir tatsächlich aus dem Tief der Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre dauerhaft heraus kommen.

    Finthammer: Sie haben es aber schon zweimal anklingen lassen. Für die Arbeitgeber oder für Sie explizit ist offenbar die Mehrwertsteuererhöhung, drei Prozentpunkte mehr ab dem Jahr 2007, die größte Konjunkturbremse, die sich diese neue Koalition selbst auferlegt hat?

    Hundt: Ich halte die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung nahezu ausschließlich zur Sanierung der Haushalte von Bund und Ländern nicht für richtig. Ich habe eine Mehrwertsteuererhöhung positiv begleitet, aber unter der Voraussetzung, dass die Mehreinnahmen zur Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge verwendet werden, um damit einen Beitrag zur Reduktion der zu hohen deutschen Arbeitskosten zu leisten als Voraussetzung dafür, dass die deutsche Wirtschaft auf den Weltmärkten erfolgreicher agieren kann. Die Mehrwertsteuererhöhung wird Ende dieses Jahres zu vorgezogenen Käufen führen mit einer Kompensation dann im nächsten und im übernächsten Jahr. Und eine entsprechende negative Entwicklung ist nur zu verhindern, wenn einschneidende nachhaltige Reformen kurzfristig umgesetzt werden.

    Finthammer: Sie sprechen von einer entsprechenden negativen Wirkung. Welche negative Wirkung erwarten Sie denn, wenn die Mehrwertsteuer angehoben werden sollte?

    Hundt: Wenn die Mehrwertsteuer zum 1.1.2007 angehoben wird, wird in 2007 das, was nach 2006 vorgezogen wurde, kompensiert. Und dieses ist dann ein Druck auf die Wirtschaftsentwicklung.

    Finthammer: Nun stehen wir am Anfang des Jahres 2006, haben also noch 12 volle Monate vor uns. Wenn die Zuversicht dort, zumindest bei der konjunkturellen Entwicklung, die Oberhand gewinnen sollte, gilt das auch für die Arbeitsplätze? Bislang gab es ja aus der Wirtschaft eher negative Signale. Abbau, Schließung und Verlagerung lautet ja der ehe pessimistische Dreiklang, der weite Teile des vergangenen Jahres bestimmt hat. Sehen Sie denn Anzeichen für eine Änderung, für eine Zunahme der Beschäftigten, vor allem der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten?

    Hundt: Diese Frage zu beantworten ist im Moment realistischerweise nicht möglich, weil hier über die wirtschaftliche Entwicklung hinaus ganz wesentliche Fragen noch nicht beantwortet sind. Ich denke diesbezüglich beispielsweise an die Tarifrunde jetzt im Frühjahr dieses Jahres. Insgesamt wird ein Wirtschaftswachstum im Bereich von 1,5 bis 1,7 oder 1,8 Prozent kaum ausreichend sein, um deutlich Arbeitsplatzaufbau zu sichern. Und mit derartigen Werten wird vielmehr günstigstenfalls eine Abschwächung, möglicherweise auch ein Stillstand des Arbeitsplatzabbaus erreicht werden. Wesentlich für die Beschäftigungsentwicklung ist die Tarifrunde. Wenn die Tarifvertragsparteien verantwortungsbewusst handeln und Abschlüsse vereinbaren, die im Rahmen der Produktivitätssteigerung abgedeckt sind, dann wirkt sich dieses positiv auf die weitere Arbeitsplatzentwicklung aus. Wenn allerdings Forderungen, wie sie beispielsweise von der IG Metall jetzt im Raum stehen, nach Entgelterhöhungen um bis zu 5 Prozent auch nur annähernd die Abschlüsse bilden sollten, dann wird ein deutlicher weiterer Arbeitsplatzabbau nicht zu verhindern sein.

    Finthammer: Herr Hundt, das ist aber doch ein schmaler Grat, auf dem sich die Wirtschaft, die Konjunktur insgesamt da bewegt. Bei Ihrem letzten Auftritt vor der Bundespressekonferenz kurz vor Weihnachten haben Sie die schlechte oder die schleichende Binnenkonjunktur beklagt, die sich um die Nulllinie herum schlängeln werde. Gleichzeitig aber haben Sie, wie Sie es gerade auch wieder getan haben, die Gewerkschaften vor zu hohen Forderungen in der anstehenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie gewarnt. Woher soll denn das Geld kommen, um der Inlandsnachfrage wieder auf die Beine zu helfen, die ja notwendig wäre, um zu einem nachhaltigen Wachstumsschub zu kommen?

    Hundt: Zunächst stimme ich Ihnen zu, dass die aktuelle Wirtschaftsentwicklung, der leichte Wirtschaftsaufschwung, tatsächlich sehr labil ist und deshalb unterstützende Maßnahmen durch die Politik erforderlich sind. Die Konsumzurückhaltung in Deutschland ist meines Erachtens ganz wesentlich darauf zurück zu führen, dass die Menschen verunsichert sind, teilweise Angst vor der zukünftigen Entwicklung haben. Und deshalb ist meine Forderung an die Politik, dass wir ein Gesamtkonzept präsentieren. Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern klar machen, wo wir uns als deutsche Wirtschaft, als Deutschland insgesamt derzeit befinden, wo wir hin müssen, was dieses für den Einzelnen bedeutet und auch, was uns dort dann erwartet. Eine derartige Vision fehlt uns. Diese ist auf der anderen Seite Voraussetzung dafür, dass die Menschen auch zu Einschränkungen, zu Zugeständnissen bereit sind. Und ich behaupte, dass die Bereitschaft, Reformen zu akzeptieren, in der Bevölkerung auch in Deutschland wesentlich größer ist, als wir dieses in der politischen Diskussion akzeptieren.

    Finthammer: Wenn Sie hier von Visionen sprechen, die notwendig wären – was wäre denn aus Ihrer Sicht notwendiger Bestandteil solcher Visionen und wie sähe der Beitrag der Arbeitgeber aus?

    Hundt: Die Sendung heute Vormittag reicht sicherlich nicht aus, um diese Frage ausführlich zu diskutieren. Deshalb will ich es mit ganz wenigen Worten versuchen. Wir müssen nach meiner Überzeugung zu einem Paradigmenwechsel in Deutschland kommen dahingehend, dass unsere Beschäftigten mehr Netto für ihr derzeitiges Bruttoentgelt behalten können, behalten dürfen. Auf der anderen Seite muss der Einzelne dann auch mehr Eigenverantwortung und mehr Eigenvorsorge übernehmen. Dieses ist nach meiner Beurteilung eine ganz wesentliche Stellschraube dafür, dass wir die Herausforderungen der Zukunft in Deutschland erfolgreich bewältigen. Eine zweite Stellschraube für mich ist die Dauer der Arbeitszeit. Wir arbeiten in Deutschland insgesamt zu wenig, deutlich weniger als alle Länder, mit denen wir auf den Weltmärkten im Wettbewerb liegen. In welcher Form mehr gearbeitet wird, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Dazu gibt es auch unterschiedliche Modelle. Hier sind verschiedene Wege möglich, aber wir müssen im Endeffekt zu längerer Arbeitszeit, entsprechend der jeweiligen Auftragslage der Unternehmen, kommen.

    Finthammer: Herr Hundt, Ihre Formel mehr Netto fürs Brutto möchte ich gerne noch mal aufgreifen und vorwärts blicken auf die jetzt beginnende Tarifrunde. Da schließen ja die Metallarbeitgeber, denen Sie ja auch angehören, nicht aus, sie seien zumindest nicht sicher, ob sie die Reallöhne in dieser Tarifrunde überhaupt halten können durch die möglichen Zugeständnisse. Dabei geht es ja vielen in der Branche überhaupt nicht schlecht. Sind die Zeiten wirklich so, dass die Arbeitnehmer mit Reallohnverlusten in Zukunft werden weiter leben müssen`?

    Hundt: Wir haben in der deutschen Wirtschaft, und ganz besonders stark ausgeprägt auch in der deutschen Metall- und Elektroindustrie, eine sehr unterschiedliche wirtschaftliche Situation der Firmen. Es gibt tatsächlich und glücklicherweise Firmen, insbesondere auch Großfirmen, mit der Möglichkeit, entsprechende Wertschöpfungen im Ausland zu schaffen, die sehr gute Ergebnisse ausweisen. Auf der anderen Seite gibt es aber insbesondere im mittelständischen Bereich eine überwiegende Zahl von Unternehmen, die keine ausreichenden Gewinne erwirtschaften, die um die Nulllinie herum abschließen und darüber hinaus einen beträchtlichen Anteil von Firmen, die rote Zahlen schreiben. Die Kunst wird jetzt sein, eine dieser unterschiedlichen Situation angemessene Tarifregelung zu finden, wobei ich meine, dass betriebsindividuelle Lösungskomponenten mit in den Tarifabschluss aufgenommen werden müssen.

    Finthammer: Höre ich da heraus, dass Sie für eine stärkere Differenzierung und Diversifizierung der Tarifpolitik eintreten, nicht mehr der Abschluss für alle?

    Hundt: Wir benötigen betriebsindividuelle Regelungsmöglichkeiten. Wir müssen im Interesse der Fortsetzung unserer Tarifautonomie ohnehin zu einer neuen Balance zwischen tarifvertraglichen Regelungen einerseits und betriebsindividueller Gestaltungsmöglichkeiten andererseits kommen, wobei sichergestellt werden muss, dass derart differenzierte Lösungen nicht zu zweiten Tarifrunden in den Unternehmen führen.

    Finthammer: Herr Hundt, die Wirtschaft fordert ja schon seit langem konsequente Reformen um die Verbesserung der Rahmenbedingungen im Arbeits- und im Tarifrecht, bei den Steuern, Sie haben es ja zum Teil schon erwähnt, und den Lohnnebenkosten. Mit der Arbeit, oder vorsichtiger formuliert mit den politischen Vorhaben der großen Koalition scheinen Sie aber bislang nicht sehr zufrieden zu sein.

    Hundt: Die Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und SPD enthält eine Reihe wichtiger und richtiger Vorhaben. Ich denke etwa an die Föderalismusreform, ich denke an die Reformen in der Rentenversicherung, die Anhebung des Renteneintrittsalters war und ist sicherlich nur im Rahmen einer großen Koalition umsetzbar gewesen. Ich denke ganz besonders stark auch an die wichtige Aufgabe der Sanierung der desolaten Haushalte und ich denke insbesondere an die vorgesehene Erbschaftssteuerregelung, die den Fortbestand von Unternehmen gerade in der mittelständischen Wirtschaft sichert. Ich halte die im Koalitionsvertrag mehrfach genannte Festlegung, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent abzusenken, darüber hinaus für außerordentlich wichtig, geradezu für existenziell notwendig für die deutsche Wirtschaft. Mir fehlt nur die Lösung, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Und meine Sorge ist, dass wir in ganz kurzer Zeit, sowohl in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch in der Pflegeversicherung und möglicherweise darüber hinaus kurzfristig auch wieder in der Rentenversicherung, sogar vor Beitragserhöhungen stehen, wenn nicht kurzfristig einschneidende Reformen, und zwar vor allen Dingen Reformen auf der Ausgabenseite dieser Sozialversicherungssysteme, festgelegt und umgesetzt werden. Deshalb mein Appell, meine Forderung an die Regierung und an die Politik, in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der Pflegeversicherung und auch in der Rentenversicherung ganz schnell wirksame Reformen zu vereinbaren.

    Finthammer: Sie haben sich ja persönlich kurz vor Weihnachten noch mal ganz stark für das Modell der Kopfpauschalen oder Bürgerpauschalen in der Krankenversicherung stark gemacht, weil solch eine einheitliche Pauschale die Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten endlich deutlich entlasten würde, wie das schon lange gefordert wurde. Wenn man das Modell aber einmal konsequent zu Ende denkt, dann bedeutet das doch, dass sich die Arbeitgeber an den steigenden Kosten der Gesundheitsfürsorge der Gesellschaft nicht mehr beteiligen wollen. Zwar erklären die Arbeitgeber, sie wollen einen Teil, sagen wir mal 6,5 Prozent, als festen Lohnbestandteil auszahlen, aber steigende Kosten der Gesundheitsvorsorge müssten dann allein die Arbeitnehmer zahlen. Ist das mit dem Modell der sozialen Marktwirtschaft, wie wir es kennen gelernt haben, vereinbar?

    Hundt: Ich halte dieses Konzept mit dem Modell der sozialen Marktwirtschaft für vereinbar, weil dies eine Voraussetzung dafür ist, dass die deutsche Wirtschaft im ständig schärfer werdenden internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen kann und damit die Voraussetzung dafür bietet, Beschäftigung in Deutschland zu halten und aufzubauen.

    Finthammer: Vor dem Hintergrund der großen Koalition und der gegensätzlichen Position, die da im vergangenen Jahr im Wahlkampf gerade in der Gesundheitspolitik aufgebaut wurde, kann man nüchtern gesprochen doch eigentlich kaum damit rechnen, dass solch ein Radikalmodell eine Chance hat. Also rechnen Sie damit, dass es da zu einem Mischmodell aus Bürgerversicherung und Kopfpauschale kommen wird?

    Hundt: Wir werden im Endeffekt ein Modell mit der Pauschale sicherstellen und erreichen müssen. Ich bin Realist genug, davon auszugehen, dass das möglicherweise nicht in einem Schritt möglich ist, sondern entsprechende erste Schritte getan werden müssen. Ich denke diesbezüglich beispielsweise insbesondere an ein Festschreiben des Arbeitgeberanteils in die gesetzliche Krankenversicherung als Vorläufer für eine später notwendige Entkoppelung der Krankenversicherungsbeiträge vom Arbeitsverhältnis. Wir müssen in diese Richtung Reformen durchführen, wenn wir unsere Arbeitskosten entlasten wollen und damit auf den internationalen Märkten als deutsche Wirtschaft den notwendigen Erfolg erzielen wollen.

    Finthammer: In der Rentenpolitik will die Koalition ja eine Ihrer langjährigen Forderungen umsetzen, die Rente mit 67. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erscheint dieser Schritt ja sicherlich logisch und zwingend. Aber er setzt voraus, dass die Menschen auch so lange in Arbeit bleiben können. Was unternimmt die deutsche Wirtschaft, damit die Beschäftigungsquote älterer Mitarbeiter wieder kräftig ansteigt?

    Hundt: Wir haben in der Vergangenheit alle gemeinsam – Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften – den Fehler begangen, die Menschen immer früher aus dem Arbeitsprozess heraus zu nehmen. Anfang der 90er Jahre stand hinter diesem Vorgehen der Gedanke, junge Menschen verstärkt in den Arbeitsprozess integrieren zu können. Wir müssen feststellen, dass mit Blick auf die Zukunft, mit Blick auf die zukünftige demografische Entwicklung, es erforderlich sein wird, ältere Beschäftigte länger im Arbeitsprozess zu halten. Dazu wird uns schon die normative Kraft des Faktischen zwingen.

    Finthammer: Bundespräsident Horst Köhler hat sich vor kurzem wirklich lautstark darüber beklagt, dass da zu wenig geschieht. "Da muss man sich mehr einfallen lassen", zitiere ich den Bundespräsidenten. Das heißt ja, dass die Unternehmen im Umkehrschluss noch zu wenig tun. Gibt es konkrete absehbare Initiativen der deutschen Wirtschaft, um dieses Problem wirklich ernsthaft anzugehen?

    Hundt: Ich stimme dem Bundespräsident mit seiner Forderung vollinhaltlich zu. Ich akzeptiere auch, dass noch zusätzliche Informationsunterziehungsarbeit auf Seiten der Unternehmen erforderlich ist. Wir unterstützen seitens der Verbände, ganz konkret auch als Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft, die entsprechende Entwicklung. Hilfreich wird sein, dass die demografische Entwicklung schon in ganz kurzer Zeit die Firmen zwingen wird, ältere Beschäftigte länger im Arbeitsprozess zu halten.

    Finthammer: Aber die große Koalition scheint Ihnen ja nicht ganz zu trauen. Da wurde kurzerhand vor Jahresende die sogenannte 58er-Regelung noch einmal verlängert, um die älteren Arbeitnehmer nicht zusätzlich dafür zu bestrafen, dass sie keine Arbeit mehr bekommen. Sie haben das zumindest beklagt, aber nach wie vor fehlen ja konkrete Angebote.

    Hundt: Wenn wir erreichen wollen, dass ältere Menschen länger im Arbeitsprozess bleiben, dann sind alle Regelungen, die ein Anreiz für eine Frühverrentung darstellen, zu stoppen. Jede Fortsetzung steht diesem Bemühen natürlich kontraproduktiv im Wege.

    Finthammer: Ein letztes arbeitsmarktpolitisches Thema: Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, hat kurz vor Weihnachten angekündigt, dass man das Thema des Niedriglohnsektors mit Kombilohnmodellen etc. in diesem Jahr offensiv angehen werde. Auch dies ist eine Forderung, die Sie schon lange in den Raum gestellt haben. Läuft man bei solchen Modellen nicht Gefahr, dass ein ganz neuer Subventionssektor entsteht, weil natürlich jeder Unternehmer, der wirtschaftlich denkt, sagen muss: Ein bezuschusster Arbeitnehmer ist mir lieber als einer, den ich voll bezahlen muss?

    Hundt: Wir leisten uns in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern um uns herum – Niederlande, Skandinavien – den Luxus, dass wir den Sektor der niedrig bezahlten Tätigkeiten zu wenig nutzen. Dies muss verändert werden, wenn wir eine deutliche Entlastung auf dem Arbeitsmarkt erreichen wollen, sprich wenn wir die Zahl unserer Arbeitslosen deutlich reduzieren wollen. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, auch im niedrig bezahlten Bereich – ich denke hier insbesondere an den personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungssektor – wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass im niedrig bezahlten Sektor mehr Menschen tätig sind. Dazu ist das Kombilohnmodell ein Instrument, das sich positiv auswirkt. Wir müssen schauen, dass möglichst viele Menschen auch in niedrig bezahlten Tätigkeiten aktiv sind und gegebenenfalls, wo die Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht ausreichen, entsprechende Unterstützungszahlungen additiv leisten.

    Finthammer: Wären Sie aber damit einverstanden, dass man strenge Regularien finden müsste, um eben die vielfach befürchteten Mitnahmeeffekte zu vermeiden?

    Hundt: Ein gewisser Bereich von Mitnahmeeffekten wird tatsächlich in der Praxis nicht auszuschließen sein. Ich halte diesen aber nicht für bedeutungsvoll und bin der Meinung, dass die Vorteile derartiger Kombieinkommensregelungen die möglicherweise in geringem Umfang bestehenden Nachteile deutlich überwiegen. Wir haben mit dem Kombilohn die Möglichkeit, in großer Zahl derzeit arbeitslose Menschen in Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, und dieses ist in jeder Beziehung vorteilhaft.