Die zunehmende Durchdringung von Wahrheit und Fiktion ist seit der Romantik auf eine prägnante Formel gebracht: Das Leben sei ein Roman, und der Roman sei Leben. Mit ihrer nüchternen Art greift die Autorin diese Vorstellung auf, um sie in einer postmodernen Mixtur erneut durchzuspielen. Vielleicht die Hälfte des Buches besteht nämlich aus Verweisen auf andere Texte, Autoren, Prominente - wir betreten die Welt des Glamour. Ischa Meijer gehörte zu ihr. Er hatte u.a. eine Talkshow und eine tägliche Zeitungskolumne. Connie Palmen gelang damals, 1991, der Durchbruch als Schriftstellerin. Die furiose Anfangsszene von I.M. mündet in der Beschreibung jenes Interviews, durch das beide sich kennengelernt haben. Fortan erzählt sie über gut zweihundert Seiten von zwei Menschen, die ohne tiefere Irritationen glücklich miteinander sind. Pure Fiktion also, wie im Märchen. Nach der Autorin müßte man es aber für authentisch halten.
Jetzt ist Klärung über die Frage von Fiktion und Leben gefordert, und dieser widmet sie sich ausgiebig in mehreren essayistischen Passagen sowie in Gesprächen, welche die beiden Liebenden führen während ihrer langen Reisen durch die USA und Europa. Um die Klärung jedoch wird selten tatsächlich gerungen. Sie wird von der Autorin zu oft bereits fertig serviert und beschränkt sich bisweilen sogar auf Dialoge wie diesen: "Connie redet so viel von der Liebe. Was ist das nur? - Oh, das ist so komplex, sagte Tas, da liest du am besten "L’amour et l’occident von Denis de Rougement."
Ah ja, möchte man sagen, dann ist es das wohl. Komplex, aber durch einen gezielten Griff in den Bücherschrank bereits gebannt. Die Erzählerin merkt zwar an, daß dieses Buch doch nicht das richtige sei. Gewonnen ist dadurch jedoch nichts. Die Autorin sieht ihr Vorgehen so:
"Ich meine, manchmal muß man auch für eine Weile mal eine Antwort sich geben. Eigentlich nur, um durchdenken zu können. Denken wird nicht, wenn es nur alles wird komplexer und komplexer. Auch wenn das vielleicht wahr ist, muß man so eine Ruhestelle einbauen und sagen, jetzt ist dies mal wahr. Ich nehme dies als wahr an. Das gibt mir die Gelegenheit weiterzudenken, vielleicht muß ich dann concludieren, daß diese Wahrheit, womit ich es eine Weile geschafft habe, daß ich auch diese Wahrheit ändern muß. Aber das geht nie ganz total."
Die eigene Wahrheit sucht das Liebespaar vor allem in den USA. Es ist reizvoll, daß Connie Palmen nicht von ihrem gemeinsamen Leben inmitten der Amsterdammer Prominenz erzählt, sondern von den privaten Reisen der beiden. In den USA allerdings drehen sich die Liebenden um die Publicity anderer. Das Private spricht erneut vom Öffentlichen - und es beginnt ein ermüdender Kreislauf der Faszination für andere. Die Romanautorin sieht hierbei mehr Spielraum:
"Ich möchte gern etwas mehr wissen über dieses Phänomen, was das ist, Glamour? Und ich möchte etwas verstehen über den Unterschied, was ein Heiliger ist in Europa, das ist ein Star in Amerika. Es hat also etwas Religiöses in diesem Phänomen und das interessiert mich. Und wie ein richtiger Professor des Glamour muß ich dann natürlich nach Amerika fahren und nach Hollywood gehen und mir endlich mal Graceland ansehen usw. und wie andere in Europa zu Kathedralen gehen und zu Museen, die Akropolis sehen möchten, Athene, so gehe ich nach Amerika."
Das Dilemma des Romans ist in einem zentralen Satz enthalten, der heißt: "Je mehr ich verstehe, umso weniger leide ich." Denn hier klaffen die Ansprüche an Roman und Leben auseinander. Connie Palmen hat diese, ihre persönliche Geschichte verstehen gelernt, über einen persönlichen, sehr schweren Schicksalsschlag, den Verlust ihres Mannes. Das ist die Seite der Erinnerungen, des Zeugnisses, der Autobiographie. Daraufhin reichert sie als Erzählerin den Stoff soweit an, bis eine vielschichtige, intertextuelle Romanform gebildet ist, die über das eigentliche Geschehen weit hinausreicht. Sie möchte nicht nur ihr Leben mit Ischa Meijer begreifen, sondern auch die eigenständigen Fiktionen, die sie geteilt haben und die jeder teilt, den der Glamour fasziniert. Der ursprüngliche Impuls der Klärung, des Verstehen-wollens, wird dabei aufgegriffen und soweit angewandt, daß die existenzielle Not, das Leiden, ins Hintertreffen gerät. Und das ist gut so im Leben. Doch nicht für den Roman.