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"Ich bin ein Rocker, der über Politik spricht"

In Israel werden sie in den großen Radiostationen gespielt, doch ihre Musik ist roh und für den Massengeschmack eher speziell. Der Sänger Nitzan Horesh führt das Trio an - und äußert sich gerne zur israelischen Politik.

Von Dirk Schneider | 19.04.2013
    "Es gibt in Tel Aviv eine wachsende Szene von, nennen wir sie: Indie-Bands. Eine kleine Gemeinschaft, wir kennen uns, arbeiten zusammen. Aber ich denke, dadurch, dass wir etwas abseits sind vom musikalischen Geschehen in den USA oder Großbritannien – ich habe ja zwei Jahre in London gelebt, wo man jedem Trend hinterher rennt – fällt es uns leichter, unser eigenes Ding zu machen."

    Erklärt Nitzan Horesh, Sänger von Electra, die Vorteile, in Israel Popmusik zu machen. Die Band aus Tel Aviv gehört in ihrer Heimat zu den Stars der Independent-Szene und hat inzwischen sogar Mainstream-Erfolg. Ihr zweites Album, "Second Hand Love", ist auch etwas gefälliger geworden. Die Drei-Mann-Band hat den puren Rock ’n’ Roll der ersten Platte mit Bläsern und Streichern angereichert, etwa im Hit "Time And Place".

    Trotzdem sind Electra mehr als nur eine Popband. "Coming To Get You" war vor vier Jahren ihr erster Hit, entstanden ist er während der so genannten "Operation gegossenes Blei": Im Winter 2008 startete die israelische Armee massive Angriffe auf Einrichtungen der Hamas im Gaza-Streifen.

    Mit "Coming To Get You" adressieren Electra hier keineswegs die Palästinenser, sondern die rechten politischen Kräfte des eigenen Landes.

    "Immer wenn Israel in einen Konflikt eintritt, sagen die rechten Kräfte: Lasst sie uns umbringen, diesmal erledigen wir sie. Ich weiß nicht, ob man schon von einer faschistischen Bewegung sprechen kann, aber die Rechte ist in der israelischen Regierung sehr stark. Und die bewaffneten Konflikte machen sie nur stärker."

    Auch auf dem neuen Album gibt es so ein Stück, das die Situation in Israel beschreibt, wenn auch etwas subtiler.

    "Israels Gesellschaft wird immer gewalttätiger und aggressiver.

    Die erste Single des neuen Albums, "Charge!", handelt von einem Soldaten, der sein freies Wochenende in Tel Aviv verbringt und tanzen geht. Und er bringt die ganze Energie, die Brutalität des Kriegs, mit auf die Tanzfläche. (...) Ich verstehe dieses Lied durchaus als einen Anti-Kriegs-Song."

    In Israel ist alles politisch aufgeladen

    Nitzan Horesh ist als Sänger von Electra in seinem Land ein prominentes Gesicht. Er ist aber auch regelmäßiger Gast in einer Nachtsendung des israelischen Fernsehens, in der über Kultur und Politik diskutiert wird.

    "Ich bin dabei der Rocker, der über Politik spricht. Die meisten anderen in der Runde sind Journalisten."

    Aus seiner linken politischen Einstellung macht der 36-Jährige in der Öffentlichkeit keinen Hehl. Dennoch ist Electra für ihn in erster Linie eine Band, die Musik macht. Die Politik ist sein Anliegen, die beiden anderen Bandmitglieder halten sich da sehr zurück. Doch in Israel ist wohl alles politischer aufgeladen als bei uns, selbst in der Küstenstadt Tel Aviv, die berühmt für Hedonismus und das ausschweifende Nachtleben ist:

    "Krieg ist ein dauerndes Thema in Israel. Die ständige Spannung mit den Palästinensern und den anderen Nachbarn ist immer präsent, wenn man in Israel lebt."

    Wie heikel das Thema israelische Politik gerade in Deutschland ist, weiß Horesh, wenn er jetzt durch das Land tourt, für dessen Regierungschefin Israels Sicherheit höchste Priorität hat. Dass er die Politik seines Landes kritisiert, ist für ihn allerdings Ausdruck seiner Liebe zu Israel:

    "Ich sage all das, weil mir mein Land wichtig ist. Das bedeutet Patriotismus für mich: Zu sagen, dass ich gegen die Kriegspolitik der Regierung bin und möchte, dass die Leute einen anderen Blickwinkel bekommen. Tja, Israel ist ein kompliziertes Land."