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"Ich denke, wir sollten Griechenland verlassen"

Schon zu Wohlstandszeiten war die griechische Arbeitslosigkeitsquote hoch. Menschen in einfacher Arbeit verdienten selten mehr als 1000 Euro monatlich. Seitdem die Schuldenkrise ausgebrochen ist, gerät auch der Mittelstand in Gefahr - und sucht nach Alternativen im Ausland.

Von Jannis Papadimitriou | 20.06.2011
    Jannis Kitsopoulos hat eigentlich alles richtig gemacht: Gutes Abitur, Zahnarztstudium, Praxisgründung finanziert durch günstige Darlehen in den Nullerjahren, als die Banken ihren Kunden nahezu jeden Wunsch erfüllten. Wie viele andere Freiberufler in Griechenland hielt er seine Betriebskosten auf Sparflamme, nicht mal eine Aushilfe wollte er sich leisten. In der Nachbarschaft ist er bekannt und geschätzt, einen eigenen Patientenstamm hat er sich schon erarbeitet.

    Und dennoch: Seit über einem Jahr läuft seine Praxis im Athener Vorort Holargόs ziemlich schlecht. Viele Stammkunden bleiben aus oder sie kommen nur noch, wenn sie schlimme Zahnschmerzen haben. Die Wirtschaftskrise sei der Grund für die Patientenflaute, beklagt Jannis Kitsopoulos:

    "In Griechenland werden Zahnarztrechnungen in der Regel privat bezahlt, die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen praktisch keine Kosten. Deswegen hat die Krise eine wirtschaftliche Kettenreaktion in Gang gesetzt: Die Leute haben weniger Geld, also sparen sie auch bei den Arztkosten. Das hat leider sogar zur Folge, dass wichtige Gesundheitsprobleme oft nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden ... "

    Jannis Kitsopoulos ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist Alleinverdiener, seine Frau kümmert sich um den Nachwuchs. Er sei ein glücklicher Familienvater, sagt der 40-jährige Zahnarzt. Doch er weiß auch: Wäre er Single, dann könnte er gerade noch über die Runden kommen mit seinem bescheidenem Einkommen, aber für seine junge Familie reicht das Geld bei Weitem nicht aus. Deswegen sieht er sich nach Alternativen um und erwägt sogar, mit Frau und Kinder ins Ausland zu gehen.

    "Ich mache mir schon Sorgen um die Zukunft. Ich denke, wir sollten Griechenland verlassen. Vielleicht ergibt sich im Ausland eine bessere Perspektive für unsere Familie. Ich erkundige mich gerade nach Auswanderungsmöglichkeiten, zum Glück kann ich meinen Beruf ja fast überall ausüben. Und außerdem schätze ich mich glücklich, weil meine Frau nicht nur damit einverstanden ist, sondern mich geradezu ermutigt, einen Neuanfang im Ausland zu wagen."

    Nach jüngsten Umfragen erwägen zwei Drittel der jungen Akademiker in Griechenland, ihr Land zu verlassen. Denn heute werden Hunderttausende junge Menschen prekär oder illegal beschäftigt, zudem ist die Arbeitslosigkeit im zweiten Jahr nach Krisenausbruch auf knapp 16 Prozent gestiegen. Einen Familienvater können solche Zahlen traurig stimmen, denn er macht sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder, sagt Jannis Kitsopoulos. Und damit nicht genug:

    "Wer Kinder großzieht in Griechenland, hat auch ein zusätzliches Problem: Staatliche Leistungen, die im europäischen Ausland selbstverständlich sind, etwa eine vernünftige Schulausbildung oder eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau, müssen bei uns oft aus eigener Tasche bezahlt werden. Dadurch entstehen enorme Kosten für die Eltern"."

    Zu schaffen macht den meisten Griechen, dass ein Ende der wirtschaftlichen Talfahrt nicht abzusehen ist. In zwei oder vielleicht erst in 20 Jahren? Jannis Kitsopoulos hat kaum Hoffnungen auf schnellen Aufschwung.

    " "Wann es vorbei ist- wer weiß das schon? Ich glaube, es wird noch einige Jahre dauern. Wir haben ja lange Zeit in einer Welt von Scheinwohlstand gelebt, auch die Banken haben dafür gesorgt mit ihren verlockenden Krediten. Heute müssen wir die Konsequenzen ziehen ... "